Im VW-Abgasskandal hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Autolobby am längeren Hebel sitzt als Verbraucher- und Umweltschützer. Bei der Abstimmung zum neuen Abgas-Messverfahren haben sich die europäischen Autobauer mit ihren Interessen durchgesetzt. Es ist ein Trauerspiel, dass sich das EU-Parlament und die Kommission offenbar dem Druck der Autolobby und ihrer Unterstützer in der Bundesregierung nicht widersetzen konnten. Die ungute Nähe zwischen Autolobby und politischen Entscheidungsträgern geht einmal mehr zu Lasten der Gesundheit vieler Menschen.
Endlich realistische Messverfahren?
Nachdem die Manipulationen bei der Messung der Abgaswerte im September 2015 an die breite Öffentlichkeit gelangt waren, war ein neues europäisches Testverfahren nicht mehr aufzuhalten. Statt unrealistischer Laborwerte sollte es nun ein Verfahren geben, dass den Bedingungen auf der Straße entsprechen sollte. Doch die Autolobby intervenierte, so dass das Testverfahren nun mit einem sogenannten Konformitätsfaktor ausgestattet ist. Dieser erlaubt es den Autobauern, die Grenzwerte um einen bestimmten Faktor überschreiten zu dürfen.
Intervention aus Berlin
Die EU schlug zunächst vor, den Faktor auf 1,6 zu setzen, das heißt, dass eine Überschreitung der Grenzwerte um bis zu 60% möglich gewesen wäre. Die Autolobby protestierte. Ausschlaggebend war laut Spiegel letztendlich ein Anruf der Kanzlerin bei Kommissionspräsident Juncker, den sie auf Druck des Präsidenten des Deutschen Automobilverbands, Matthias Wissmann, am Tag des entscheidenden Treffens unternahm: Der Faktor wurde schließlich auf 2,1 hochgesetzt. Im Klartext: Es sollte erlaubt sein, die realen Werte bis 2021 um 110% und danach noch immer um 50% überschreiten zu dürfen. Im Dezember 2015 lehnte der Umweltausschuss des Europa-Parlaments diesen Vorschlag mehrheitlich ab. Vor wenigen Tagen stand das neue Messverfahren nun zur Abstimmung im Plenum – und diesmal stimmte das Parlament zu. Dem Druck von Autolobbyisten und ihren Komplizen aus den nationalen Regierungen – vor allem Deutschland – konnten die ParlamentarierInnen offenbar nicht standhalten.
EU-Parlament winkt Neuregelung durch
Eine Studie unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory weist anhand zahlreicher interner E-Mail-Wechsel zwischen Autolobbyisten und EU-Kommission nach, dass die Lobbyisten der deutschen Autokonzerne gemeinsam mit dem europäischen Autolobbydachverband ACEA massiv Druck ausgeübt haben. So führten ihre Interventionen immer wieder dazu, dass bereits bestehende Vorschläge abgeschwächt wurden und der Prozess sich immer wieder verzögerte.
Veränderungen bis ins kleinste Detail
Nicht nur der sogenannte Konformitätsfaktor wurde heiß umkämpft. Bis ins kleinste Detail veränderten die ACEA-Lobbyisten bestehende Vorschläge für Testbedingungen – sie verkleinerten die Temperaturspanne für die Messungen, sie schlossen einen Kaltstart des Motors genauso aus wie den Gebrauch des Scheibenwischers. CEO formuliert es so: „Verpackt in technischer Sprache will ACEA sichergehen, dass alle Dinge, die normale Menschen tun, wenn sie Autofahren, nicht als ’normal‘ angesehen werden sollten, weil es dadurch schwerer wird, die Euro 6- Abgaswerte einzuhalten.“
Ungute Nähe zwischen Regulierern und Autobauern
Die Lobbyschlacht um das neue Abgas-Messverfahren zeigt, dass die Autolobbyisten offenbar eng eingebunden waren in die Ausgestaltung der Neuregelung. Diejenigen, die im Interesse des Gesundheitsschutzes reguliert werden sollten, konnten so – wieder einmal – ihre Regulierung in ihrem Sinne mitschreiben. Diese ungute Nähe zwischen Regulierern und Autolobbyisten muss endlich beendet werden.
Zum Weiterlesen:
- Spiegel-Artikel vom 7.11.2015 Autoindustrie: Täter und Komplizen
- CEO-Studie Scandal-hit car industry in the driving seat for new emissions regulations
Fotos: Nick Jaussi/LobbyControl (Showroom), LobbyControl (U-Bahn-Werbung)
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