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Abschiedsbesuch bei der EU-Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly (mitte)
Lobbyismus in der EU

Abschied von Emily O’Reilly: Eine Lotsin geht von Bord

Kein EU-Bürgerbeauftragter hat dieses Amt so geprägt wie Emily O’Reilly. Nach 11jähriger Amtszeit kann sie nun nicht mehr antreten. Warum sie so wichtig für unsere Arbeit war.

von 16. Dezember 2024

In der vorigen Woche waren wir bei der EU-Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly, um sie zu verabschieden. Schön, dass sie sich ausführlich für uns Zeit genommen hat, um über die kommenden Herausforderungen zu diskutieren. Wir werden sie vermissen! Sie ist eine Hoffnungsträgerin für Transparenz und ethische Regeln in der EU.

EU-Bürgerbeauftragte – was ist das?

Aber was macht eine EU-Bürgerbeauftragte (in Brüssel nennt sie sich „Ombudsman“) überhaupt? Ihre Aufgabenbeschreibung lautet: Die EU-Institutionen und -Agenturen zur Rechenschaft ziehen und eine ordnungsgemäße Verwaltung sicherstellen. Einfacher formuliert: Wenn man sich von den EU-Institutionen und ihrer Verwaltung schlecht behandelt oder benachteiligt fühlt, kann man sich bei ihr beschweren. Das kann alles zwischen einer fehlenden Antwort und einer groben Ungleichbehandlung sein.

Keine ihrer beiden Vorgänger:innen hat dieses Amt bisher so engagiert und effektiv ausgefüllt wie Emily O’Reilly. Sie hatte einen Blick dafür, welche Themen für die Bürger:innen relevant sind, und nutzte viel häufiger als zuvor das Instrument der strategischen Untersuchungen. Das heißt, sie ist zwar erstmal selber darauf angewiesen, dass Bürger:innen sich bei ihr beschweren. Sie kann dann aber Fälle aufgreifen und ihre eigene Untersuchung aufnehmen. Dies hat sie in zahlreichen wichtigen und heiklen Fragen getan. Die EU-Institutionen sind dann verpflichtet, sie mit den benötigten Dokumenten zu versorgen.

Ein Gespür für heikle Fälle

Wiederholt hat sie sich mit besonders verletzlichen Gruppen befasst. Sie untersuchte unter anderem, ob die Grenzschutzagentur Frontex 2023 alles was möglich war getan hat, um das Sinken des Fischkutters Ariana mit 600 Geflüchteten an Bord zu verhindern. Das Zerriebenwerden von Menschen zwischen den nationalen und den EU-Behörden und das Fehlen eindeutiger Verantwortung war ein wiederkehrendes Thema ihrer Amtszeit.

LobbyControl - CC-BY-NC-ND 4.0
Emily O’Reilly (2. v. li.) im Gespräch mit LobbyControl
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Emily O’Reilly (2. v. li.) im Gespräch mit LobbyControl

Ein ganz anderes Beispiel ist die Frage, welche Dokumente die EU-Kommission im Rahmen des Informationsfreiheitsrechts an Interessierte herausgeben muss – und welche nicht. Dieser Streit entzündete sich an den Textnachrichten, die Ursula von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla vor dem Kauf der für die EU-Bürger:innen so wichtigen Corona-Impfstoffe durch die EU-Kommission ausgetauscht hatten. Die EU-Kommission hatte sie für „kurzlebig und flüchtig“ erklärt und somit nicht von der Informationsfreiheit gedeckt. Eine Auffassung, der die Ombudsfrau klar widersprochen hat. Auch Chats müssten demnach offengelegt werden, sofern sie sich um politische Inhalte drehen. Dieser Streit liegt inzwischen beim Europäischen Gerichtshof.

Neben diesen bekannteren Fällen hat O’Reilly uns bei den Themen Lobbytransparenz und Ethikregeln immer wieder unterstützt. Ohne sie hätten wir in einer Reihe von wichtigen Auseinandersetzungen mit der EU-Kommission auf Granit gebissen, hier einige Beispiele:

Ein Lobbyist und Ex-Beamter als Vorsitzender des Ethikkomitees?

Alles begann mit Michel Petite, kurz nachdem O’Reilly im Jahr 2013 ihr Amt angetreten hatte: Der ehemalige Generaldirektor des juristischen Dienstes war durch die Drehtür zu einer Anwaltskanzlei gegangen, die Lobbyarbeit betrieb. Unter anderem beriet er dort den Tabakkonzern Philipp Morris und bekam privilegierte Lobbyzugänge für den Konzern zu seiner ehemaligen Abteilung. Nun wollte die EU-Kommission diesen Mann zum zweiten Mal zum Vorsitzenden des Ethikkomitees machen – ein Unding! Das Komitee überprüft Seitenwechsel ehemaliger Kommissar:innen darauf, ob dabei Interessenkonflikte entstehen. Die EU-Kommission ignorierte unseren Protest. Deshalb beschwerten wir uns bei der Ombudsfrau. Kurz bevor O’Reilly mit einer klaren Missbilligung herauskam, lenkte die Kommission ein und besetzte die Stelle neu – hier die ganze Geschichte zum Nachlesen.

EU-Kommissionspräsident darf Lobbyist bei Goldman Sachs werden

Später hatten wir dann den Fall des Ex-Kommissionspräsidenten Barroso und seinen unglaublich dreisten Gang durch die Drehtür zur Investmentbank Goldman Sachs. Das bereits erwähnte Ethikkomitee hat Barroso schlicht geglaubt, dass er keine Lobbyarbeit betreiben wird. Eine Beteuerung, die sich später als falsch herausstellte. Die Ombudsfrau konnte diesen Seitenwechsel zwar nicht rückgängig machen. Aber sie hat nach unserer Beschwerde die Arbeit des Ethikkomitees als viel zu handzahm kritisiert. Ein Zustand, den die Kommission leider nicht grundlegend geändert hat.

Mehr Transparenz im Rat

Mit viel Energie hat die Ombudsfrau immer wieder deutlich gemacht, dass die Entscheidungsfindung der nationalen Regierungen in der EU viel zu undurchsichtig ist. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, welche Regierung beispielsweise welchen Standpunkt in Beratungen einnimmt. Denn wer nicht weiß, wofür die eigene Regierung im Rat eintritt, kann sie dafür auch nicht zur Rechenschaft ziehen. Das ist problematisch, denn in einem demokratischen System müssen sich alle gesetzgebenden Institutionen für ihr Handeln gegenüber der Öffentlichkeit verantworten, wie auch der Europäische Gerichtshof geurteilt hat.

Auch in den Trilogen, in denen EU-Kommission, Rat und Mitgliedsstaaten Gesetze final aushandeln, ist es extrem schwer zu erfahren, wer gerade was vertritt. Wir haben uns über diese Problematik auch bei der Ombudsfrau beschwert. Diese teilte unsere Kritik. Trotz ein paar Verbesserungen in Trippelschritten gab es hier aber enorme Beharrungskräfte bei den nationalen Regierungen. Das Thema sollte auch die künftige Bürgerbeauftragte im Blick behalten.

Interessenkonflikte bei der Vergabe von Aufträgen

Emily O’Reilly hat auch Interessenkonflikten bei der Vergabe von Aufträgen durch die EU-Kommission an Beratungsfirmen einen Riegel vorgeschoben. Wir hatten uns bei ihr über die EU-Wettbewerbsbehörde beschwert, weil wir bei einer Vergabe einen massiven Interessenkonflikt sahen: Die Überprüfung ihrer Fusionskontrollverfahren sollte die Wirtschaftsberatungsfirma RBB Economics übernehmen, die selbst Großkunden wie Google vertritt und deshalb keine neutrale Position bei der Bewertung einnehmen könnte. Nachdem die Ombudsfrau eine Untersuchung einleitete, beendete die EU-Kommission den Auftrag vorzeitig.

Die EZB und die Finanzlobby

Den 2018 noch amtierenden EZB-Chef Mario Draghi forderte sie auf, die hochkarätige Finanzlobbygruppe Group of 30 zu verlassen. Eine derart institutionelle Nähe des Chefs der Europäischen Zentralbank zur Finanzlobby untergrabe die Integrität der mächtigen geldpolitischen EU-Institution.

Viel erreicht trotz nicht bindender Instrumente

Auch wenn der EU-Bürgerbeauftragten als Instrumente nur Tadel – das schärfste Schwert davon: der Vorwurf von Missständen in der Verwaltungsarbeit – oder Empfehlungen zur Verfügung stehen: Emily O’Reilly wusste diese Instrumente wirksam einzusetzen und hat so unheimlich viel in Sachen Transparenz erreicht. Und wo sie nicht so viel erreicht hat, weil Institutionen auf stur gestellt haben, ist es ihr zumindest gelungen, innerhalb der Brüsseler Blase Debatten anzustoßen. Sie hatte keinerlei Skrupel, sich unbeliebt zu machen.

Mit einigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegenüber der EU-Kommission verärgerte sie die Europäische Volkspartei (EVP), die größte und einflussreichste Fraktion auf EU-Ebene (und die politische Heimat von Präsidentin Ursula von der Leyen) so sehr, dass die EVP aktiv versuchte, ihr zweites Mandat 2019 zu blockieren – ohne Erfolg. Die Neuwahlen stehen am 17. Dezember an. Es wird spannend, ob die rechte Mehrheit im Parlament diesmal eine handzahme Kandidatin durchsetzt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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