Zahlreiche Anwaltskanzleien in Brüssel betreiben Lobbyarbeit, glänzen aber durch Abwesenheit im EU-Transparenzregister. Dabei geht es nicht um ein paar kleine Kanzleien mit wenigen Kunden, die vom Lobbyregister nichts mitbekommen haben. In einer neuen Studie zeigen wir neun große, international agierende Anwaltskanzleien, die das (freiwillige) Lobbyregister schlicht boykottieren. Die Mehrheit hat einen Eintrag im verpflichtenden US-Lobbyregister.
Studie zeigt Anwaltskanzleien als mächtige Lobbyisten
Die neue Studie „Anwälte als Lobbyisten – ein undurchsichtiges Geschäft“, die wir gemeinsam mit unserer Brüsseler „Allianz für Lobbytransparenz und ethische Regeln“ (ALTER-EU) herausgeben, zeigt die Anwaltskanzleien als mächtige Lobbyisten in Brüssel. Sie haben das juristische Know-How, um ihre Kunden über Probleme neuer politischer Vorhaben aufzuklären, können diese mit EU-Beamten diskutieren und die passenden Änderungsanträge für das EU-Parlament schreiben. Unter anderem werben sie damit, für ihre Kunden EU-Regulierungen „zu navigieren und zu gestalten“ oder damit, wie sie die EU-Chemierichtlinie REACH zugunsten eines Industriekonzerns verändert haben. Mehrere der beschriebenen Kanzleien, wie Sidley Austin oder White & Case, machen in Brüssel Druck für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, vermutlich auch weil sie als Kanzleien bei Konzernklagen im Rahmen von Investitionsschutzabkommen viel Geld verdienen.
Fehlen der Anwaltskanzleien zeigt, dass der freiwillige Ansatz scheitert
Die Studie erscheint pünktlich zum Abschluss der dreimonatigen „Öffentlichen Konsultation zu einem Vorschlag für ein verbindliches Transparenzregister“ der EU-Kommission. Jean-Claude Juncker hatte vor seiner Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten 2014 versprochen, das bisher freiwillige Register in ein verpflichtendes umzuwandeln, das alle Akteure einbezieht, die Lobbyarbeit bei den europäischen Institutionen durchführen.
Das Fehlen der wichtiger Lobby-Kanzleien zeigt: Von Junckers verpflichtendem Lobbyregister sind wir leider meilenweit entfernt. Die EU-Kommission möchte immer noch ein verpflichtendes Register ohne rechtliche Grundlage hinbekommen, als Vereinbarung zwischen den beteiligten Institutionen (EU-Kommission und EU-Parlament). Statt direkten Sanktionen für Fehlverhalten soll das Register über „Anreize“ funktionieren.
Allerdings: Die EU-Kommission hat ihren schärfsten Anreiz schon vor anderthalb Jahren eingeführt: EU-Kommissare und ihre höchsten Mitarbeiter dürfen sich nur mit registrierten Lobbyisten treffen. Und doch ignorieren so viele Anwaltskanzleien das Transparenzregister.
Vertrauensschutz darf nicht für Lobbykunden gelten
Ein gängiges Argument der Anwälte ist, dass ihnen die Gesetzgebung ihres Mitgliedstaates die Nennung der Kundennamen nicht erlaubt, die im Register verpflichtend vorgeschrieben ist. Den Vertrauensschutz der Kunden preiszugeben, sei ihnen gesetzlich verboten. Der Vertrauensschutz ist selbstverständlich ein hohes Gut, wenn es um die Vertretung von Klienten vor Gericht geht – aber nicht, wenn Anwaltskanzleien im lukrativen Geschäft der Lobbyarbeit mitmischen. Auch die Lobbyagenturen müssen ihre Kunden im Transparenzregister angeben. Der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union sieht das inzwischen auch so – wünscht sich aber ein gesetzlich verbindliches Register, um alle Unwägbarkeiten auszuräumen.
Für die Mehrheit der in der Studie gezeigten Kanzleien kann diese Argumentation allerdings sowieso nicht gelten. Sie sind im US-Lobbyregister als Lobbyfirmen zu finden. Auch in den USA musste man ein verbindliches Register einführen, weil die Kanzleien den Eintrag verweigerten. Das sollte der EU-Kommission eine Lehre sein.
Heiße Phase für Lobbyregisterdebatte in der EU ab Herbst
In der zweiten Jahreshälfte will die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie das verpflichtende Lobbyregister erreicht werden soll – dann treten wir in eine sehr entscheidende Debatte für das EU-Lobbyregister ein. Wir sind gespannt, wie die EU-Kommission das Problem der Anwaltskanzleien lösen will. Wir werden einfordern, dass die Kommission langfristig einen Weg für eine gesetzliche Grundlage finden muss. Kurzfristig muss sie die das Verbot der Treffen mit Lobbyisten, die das Register boykottieren, auf alle EU-Beamten ausweiten.
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