Lobbyismus in der EU

Bundesregierung muss Steuertransparenz in der EU endlich zur Priorität machen

Gastbeitrag: 50 bis 70 Milliarden Euro entgehen den Regierungen der EU-Länder einer Schätzung zufolge jedes Jahr, weil Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. Gastbeitrag von Vicky Cann (Corporate Europe Observatory) und Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit).
von 18. November 2020

50 bis 70 Milliarden Euro: Diese Summe entgeht den Regierungen der EU-Länder einer Schätzung zufolge jedes Jahr, weil Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. Die so entgangenen Milliardenbeträge fehlen am Ende dort, wo sie eigentlich dringend benötigt werden. Auch deutsche Lobbyverbände tragen daran Mitschuld. Ihnen sind Pläne für mehr Transparenz schon lange ein Dorn im Auge, so Vicky Cann (Corporate Europe Observatory) und Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit) im Gastbeitrag.

Gerade jetzt, da das Coronavirus die öffentlichen Haushalte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt, sollte die stärkere Bekämpfung von Steuervermeidung eine Selbstverständlichkeit sein. Doch um Steuergerechtigkeit herzustellen zu können, braucht es zunächst einmal Steuertransparenz. Denn ohne genaue Angaben darüber, wo Unternehmen wie viel verdienen, kann der Fiskus sie auch nicht angemessen besteuern.

Schon seit vier Jahren wird in der Europäischen Union ein Vorschlag zur öffentlichen länderspezifischen Berichterstattung („public country-by-country reporting“ – pCBCR) diskutiert. Mit der Einführung des pCBCR wäre gewährleistet, dass Großunternehmen ihre Gewinne und Steuerzahlungen für alle einsehbar offenlegen müssen, damit die Regierungen tatsächlich alle fälligen Steuern eintreiben und Steuervermeidungsmanöver unterbinden können. Schätzungen zufolge entgehen den Haushalten der EU-Staaten jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro. Gelder, die dringend gebraucht werden: für Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Infrastruktur.

Blockade im Ministerrat

Doch die Gesetzesinitiative kommt nicht voran. Einige Mitgliedsstaaten setzen sich für eine niedrigere Körperschaftsteuer ein und leisten im EU-Ministerrat hartnäckig Widerstand gegen pCBCR – obwohl immer mehr Stimmen aus der breiten Öffentlichkeit mehr Steuertransparenz und -gerechtigkeit fordern.

Jetzt aber gibt das Umschwenken Österreichs neuen Anlass zur Hoffnung. Im Rat befürwortet damit eine knappe Mehrheit, das Thema pCBCR wieder auf den Tisch zu bringen und nach Verhandlungen mit den anderen EU-Institutionen gesetzlich zu verankern. Das ist zwar eine gute Nachricht, doch jetzt kommt es ganz auf die Bundesregierung an. Diese hat aktuell die Ratspräsidentschaft inne und legt fest, welche Themen es auf die Tagesordnung des Rates schaffen.

In der Bundesregierung ist das Thema pCBCR seit Langem heiß umstritten: Die SPD sprach sich 2017 in ihrem Programm für pCBCR aus, und der SPD-Finanzminister Olaf Scholz unterstützte diese Position nach einigem Zögern. Die Union hingegen – allen voran CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier – schließt deutsche Unterstützung für pCBCR kategorisch aus. Die Folge: Bei Abstimmungen in der EU zum Thema hat Deutschland sich bisher konsequent enthalten, und den Vorschlag so praktisch blockiert.

Unternehmenslobby stellt sich gegen Steuertransparenz

Eine Herzenssache war transparente Finanzberichterstattung für die Bundesregierung noch nie, - was nicht zuletzt auch ein Ergebnis der intensiven Lobbyarbeit jener Unternehmen sein dürfte, denen Steuertransparenz ganz allgemein ein Dorn im Auge ist. Zumindest scheint es der Unternehmenslobby gelungen zu sein, die Unterstützung der Unionsparteien für pCBCR zu verhindern.

Die Stiftung Familienunternehmen, die die Interessen von 500 fast ausschließlich international agierenden Konzerne wie Haribo, Schwarz und Henkel vereint, bezeichnete den Vorschlag als „Angriff auf die deutsche Wirtschaft“, und der Lobbyverband „Die Familienunternehmer“ vergab das Prädikat „unternehmensschädlich“ und „geradezu unsäglich“.

Diese überzogenen Aussagen aus Wirtschaftskreisen kommen nicht von ungefähr: Viele deutsche Konzerne nutzen Steueroasen und andere Werkzeuge, um Gewinne zu verschieben und so ihre weltweite Steuerlast zu reduzieren. Dabei ist höhere Steuertransparenz das letzte, was sie wollen.
Schätzungen zufolge hat allein der Chemieriese BASF seine Steuerlast zwischen 2010 und 2014 durch Steuervorteile in mehreren EU-Ländern um 923 Millionen Euro gedrückt. Dem Gesundheitskonzern Fresenius wird derweil vorgeworfen, seit 2010 weltweit bis zu 2,9 Milliarden Euro an Steuern vermieden zu haben. Und auch dem Coronatest-Hersteller Qiagen ist es gelungen, seit 2010 die Steuerrechnung um mehrere Millionen Euro zu reduzieren.

Deutschland muss sich entscheiden

Der Bundesregierung bietet sich jetzt die einmalige Gelegenheit, klare Ansagen in Richtung der Wirtschaft zu machen: Geheimniskrämerei bei der Steuerberichterstattung sowie Steuervermeidung werden nicht länger toleriert. Noch während der verbleibenden deutschen Ratspräsidentschaft im November könnte diese das Thema pCBCR auf die Agenda eines der drei Treffen des Rats für Wettbewerbsfähigkeit setzen. Dabei könnte sich die Bundesrepublik sogar wie gewohnt der Stimme enthalten und müsste den zuständigen Ministerinnen und Ministern eine Abstimmung lediglich ermöglichen. Selbst ohne deutsche Unterstützung könnte das pCBCR die nächste Hürde im Rechtsetzungsverfahren nehmen, die Mehrheitsverhältnisse sprechen dafür.

Es wäre ein kleiner Schritt für die Bundesregierung, aber ein großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger der EU.

Doch die Zeichen stehen derzeit nicht gut: Im September 2020 hatte Olaf Scholz noch erklärt, man werde im Rahmen der Ratspräsidentschaft die Diskussion und den Entscheidungsfindungsprozess zu pCBCR unterstützen. Genau dazu hatte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bei der Ratssitzung im Oktober Gelegenheit, und es wäre ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Abstimmung im November gewesen. Stattdessen wurde die Sitzung von der deutschen Ratspräsidentschaft ohne Angabe von Gründen abgesagt.

Druck für mehr Steuergerechtigkeit

Die deutsche Ratspräsidentschaft muss endlich den Aufforderungen ihrer europäischen Partnerstaaten folgen und das Thema pCBCR im November zur Abstimmung bringen. Sollten die Unionsfraktion und Minister Altmaier den Einfluss des Ratsvorsitzes auf die Themensetzung missbrauchen um diese Abstimmung zu verhindern, würde das Deutschlands Glaubwürdigkeit weiter beschädigen. Die Bundesregierung muss die Karten auf den Tisch legen.

Bürgerinnen und Bürger, die ihre öffentlichen Haushalte gerade während der Coronakrise gestärkt sehen wollen, können steuervermeidenden Unternehmen jetzt die Stirn bieten und die deutsche Regierung dazu auffordern, das Thema pCBCR noch vor Ende des Jahres auf die Tagesordnung des Rates zu setzen.

Von Vicky Cann (Corporate Europe Observatory) und Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit)

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