Heute wird der neue EU-Kommissar für Lobbytransparenz und Ethikregeln, Maroš Šefčovič, vom EU-Parlament angehört. Immer noch können zu viele Lobbyist:innen der Transparenz entgehen, Lobbyregeln werden nicht durchgesetzt. Deshalb ist es mehr als besorgniserregend, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Transparenz zum Nischenthema abwertet. Wie ernsthaft wird der zukünftige EU-Kommissar das Thema angehen?
Eine Denkfabrik aus Viktor Orbans autoritärem Netzwerk verbreitet seit einigen Jahren in Brüssel rechtes Gedankengut und Desinformation und wiegelt Bauern gegen die EU-Klimapolitik auf – wohl mit Geld, das unter anderem aus Putins Ölmilliarden stammt. Sie nutzt dabei ein Schlupfloch des EU-Transparenzregisters, so dass sie keine Angaben über die Herkunft ihrer Gelder machen muss. Das ist bei weitem nicht der einzige Fall, in dem autoritäre Staaten Lobbyarbeit in Brüssel betreiben oder betrieben haben, aber das Lobbyregister keine Auskunft darüber geben konnte.
Auch drücken sich immer noch Wirtschaftsberatungsfirmen, die eindeutig Lobbyarbeit bei der EU-Kommission leisten, um den Eintrag in das Register. Und eine EU-Kommissarin gibt offenbar ein Drittel ihrer Lobbytreffen nicht öffentlich an – ohne dass dies Folgen hat. Um die europäische Demokratie effektiv vor fragwürdiger Einflussnahme zu schützen, müssen die guten, bestehenden Regeln für Transparenz und Ethik endlich auch häufiger durchgesetzt werden!
Transparenz- und Ethikregeln in der neuen EU-Kommission nur noch Nischenthema
Umso unverständlicher ist, dass Ursula von der Leyen in ihrer zweiten Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin diesem Thema kaum mehr als eine Nische einräumt: In der vergangenen Wahlperiode hatte das Thema noch ein eigenes Ressort zusammen mit der Durchsetzung des Rechtsstaats und der Demokratie in Europa. Der künftig zuständige EU-Kommissar Maroš Šefčovič wird nun zugleich Kommissar für Handel und ökonomische Sicherheit – zwei Themen, die angesichts der angespannten geopolitischen Lage allein seine volle Aufmerksamkeit verlangen. Es steht insofern zu befürchten, dass die Themen Lobbyismus und Ethikregeln auf der Strecke bleiben.
Dabei steht eigentlich jede Menge konkrete Arbeit auf dem Programm: Bis Juli 2025 muss die EU eine offizielle Überprüfung des EU-Transparenzregisters vornehmen. Die drei beteiligten Institutionen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Ministerrat haben sich dazu 2020 selbst verpflichtet. Ziel ist es, Schwächen, die aus dem praktischen Umgang mit dem Register zu beobachten sind, zu beheben und gemeinsam Verbesserungen zu beschließen. Die letzte Überprüfung 2013 war ein intransparenter und im Ergebnis enttäuschender Prozess. Und der zuständige Kommissar war damals: Maroš Šefčovič! Das macht nicht gerade Hoffnung auf eine umfassende Überprüfung, die so dringend nötig wäre.
Für eine EU-Lobbykontrolle mit Biss!
Korruptionsskandale zeigen, dass die EU-Lobbyregeln nicht ernst genommen werden. Deshalb braucht es eine unabhängige Kontrollbehörde mit Biss!
Jetzt Appell unterschreiben!Lichtblick: Lücke im EU-Lobbyregister soll geschlossen werden
Aber einen Lichtblick gibt es: Seit Jahren fordern wir, dass die EU-Kommission mit einer relativ einfachen Maßnahme endlich eines der klaffendsten Schlupflöcher im EU-Transparenzregister schließt: Lobbyist:innen ohne Lobbyregistereintrag dürfen sich bisher noch mit den Beamt:innen unterhalb der Ebene der Generaldirektor:innen treffen (vergleichbar mit den deutschen Staatssekretär:innen). Das sind diejenigen, die konkret an Gesetzen arbeiten. Damit sollte nun endlich Schluss sein. Mehr Beamt:innen sind in Zukunft in das Verbot, unregistrierte Lobbyist:innen zu treffen, mit einbezogen – und damit auch selbst besser vor fragwürdigen Lobbyakteuren geschützt.
Zuletzt haben wir Kommissionspräsidentin von der Leyen dazu vor der Wahl in einem offenen Brief gemeinsam mit anderen Transparenz-Organisationen aufgefordert. Nun steht es in der Aufgabenbeschreibung, die von der Leyen Šefčovič mit auf den Weg gegeben hat! Das ist ein echter Erfolg unserer Arbeit und muss jetzt schnell umgesetzt werden. Dafür werden wir uns beim neuen EU-Kommissar einsetzen.
Aufbau eines zahnlosen Ethikgremiums
Eine zweite große Aufgabe: Šefčovič muss das in der vergangenen Wahlperiode beschlossene Ethikgremium aufbauen. Es soll in Zukunft bei der Erarbeitung von Ethikstandards für die EU-Institutionen mithelfen. Erstmals dürfen unabhängige Expert:innen mitdiskutieren, welche ethischen Minimumstandards gelten sollten. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Überwachung und Durchsetzung der Standards bleiben aber den einzelnen Institutionen überlassen. Und damit packt das Gremium das eigentliche Problem nicht an: Die Regeln sind schon jetzt gar nicht so schlecht – aber sie werden nicht durchgesetzt. So hat die amtierende konservative EU-Kommissarin für Demografie und Demokratie, Dubravka Šuica, mehr als ein Drittel ihrer Lobbytreffen nicht offengelegt. Darunter z.B. ein Treffen mit dem Europäischen Verband katholischer Familien – der lauthals gegen Abtreibungsrechte Lobbyarbeit betreibt.
Der Verhaltenskodex schreibt den EU-Kommissar:innen die Veröffentlichung aller Lobbytreffen vor. Ist es wirklich unbeabsichtigt, wenn die für Demografie zuständige EU-Kommissarin ausgerechnet so ein Treffen unveröffentlicht lässt? Fast noch schwerwiegender ist ihr Verstoß gegen eine weitere Regel: EU-Kommissar:innen dürfen nur ins Transparenzregister eingetragene Lobbyist:innen treffen. Šuica hat sich aber unter anderem mit der nicht registrierten Heritage Foundation getroffen – eine Denkfabrik, die Trumps autoritäre Agenda in den USA vorantreibt.
EU-Institutionen halten ihre Regeln nicht ein
Das sind schwerwiegende Verstöße gegen den Verhaltenskodex. Einige Abgeordnete haben deshalb zurecht Sanktionen gefordert. Doch die EU-Kommission lehnt dies ab und findet jede Menge fadenscheiniger Ausreden, warum dies kein Bruch der Verhaltensregeln gewesen sein soll.
Reihenweise wechseln hochrangige Beamt:innen aus der EU-Kommission in gut bezahlte Lobbyjobs – als Lobbyist:innen für die Konzerne, die sie vorher noch kontrolliert haben. Erst kürzlich haben wir uns bei der EU-Kommission über einen besonders skandalösen Fall beschwert. Aber wenn die EU-Institutionen nicht dafür sorgen, dass ihre bestehenden Regeln auch eingehalten werden, schwächen sie ihre Integrität und Durchschlagskraft und gefährden damit auf Dauer die europäische Demokratie. Gerade jetzt, wo autoritäre Staaten und skrupellose rechtsgerichtete Politiker:innen jede Chance nutzen, der Demokratie zu schaden, ist die Durchsetzung der Regeln wichtiger denn je. Denn diese Akteure scheren sich nicht um Integrität und Regeln.
Die Durchsetzung der Regeln wird für uns daher in den kommenden 5 Jahren ein Schwerpunkt sein. Wir werden uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie sie in die Tat umgesetzt werden kann, und dabei Expert:innen einbeziehen.
Was passiert heute im Hearing?
Wenn Šefčovič heute „gegrillt“ wird, wie es die Abgeordneten nennen, wird es für uns zunächst einmal darauf ankommen, ob das Thema überhaupt vorkommt. Denn bei den schriftlichen Fragen, die Abgeordnete vorab an die Kommissar:innen stellen können, hat das Thema sich nicht durchsetzen können. Das ist auch eine Folge der neuen konservativen Mehrheiten im Parlament. Das Hearing behandelt beide Themenbereiche des kommenden EU-Kommissars.
Wir haben den Abgeordneten verschiedene Fragen geschickt und sie dazu aufgefordert, sie heute zu stellen. Dabei geht es um die Durchsetzung der Ethikregeln, aber auch um die nötigen Verbesserungen im Transparenzregister. Auch die allgemeine Frage, wie wichtig er das Thema nehmen wird, haben wir gestellt. Wir hoffen sehr, dass Šefčovič das Thema diesmal mit mehr Engagement angehen wird als beim letzten Mal.
Die Hearings werden live übertragen, wer kann, sollte sie sich unbedingt ansehen. Es geht schließlich um eine Institution, die über zentrale Fragen unseres alltäglichen Lebens mitbestimmt.
Wie der Hearingprozess weitergeht
Der Hearingprozess läuft noch bis zum 12.11.2024. Erst wenn alle EU-Kommissar:innen gehört und vom Parlament bestätigt wurden, kann die ganze EU-Kommission vom EU-Parlament bestätigt werden. In der Vergangenheit wurden auch stets noch einzelne Kandidat:innen abgelehnt. Bis die neue EU-Kommission steht, kann es daher durchaus Januar werden.
Zum Weiterlesen:
- Fragen an Šefčovič , die wir den Abgeordneten geschickt haben
- Infos und Termine der Hearings der designierten EU-Kommissar:innen sowie zu den Hearings