Besonders in Krisenzeiten ist es wichtig, politische Entscheidungen auf demokratische und transparente Weise zu fällen. Andernfalls ist es den Bürger:innen nicht möglich, die Entscheider:innen in die Verantwortung zu nehmen. Daran musste die EU-Bürgerbeauftragte nun auch EU-Kommission und Rat erinnern.
Vor allem bei diesen zwei Institutionen sieht EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly großen Nachholbedarf bei Transparenzfragen. Gegen beide hat sie vergangene Woche Untersuchungen eingeleitet. Deren Vertreter:innen müssen sich nun einer unbequemen Frage stellen: Haben sie den Ausnahmezustand genutzt, um Entscheidungen zu treffen, die unter normalen Umständen öffentlichen Widerstand provoziert hätten?
EU-Kommission: Verstoß gegen Transparenz-Richtlinien?
In ihrem Schreiben an die Kommission bemerkt O'Reilly, es habe "einige Verwirrung" darüber gegeben, "welche Treffen mit Interessenvertretern aufgezeichnet und veröffentlicht werden sollten". Zudem hätten auch Treffen mit Interessenvertreter:innen stattgefunden, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht im EU-Transparenzregister eingetragen waren – ein klarer Verstoß gegen EU-Recht.
"Höchste Transparenzstandards - nicht trotz, sondern wegen der Krise"
Auch an den Rat der EU hat O'Reilly Fragen zu Transparenz während der Corona-Krise, haupsächlich mit Blick auf die mangelhafte Dokumentation von Entscheidungsprozessen. Weil weniger Unterlagen als sonst veröffentlich wurden, befürchtet die Bürgerbeauftragte, dass die nun verabschiedeten Regelungen zu noch intransparenteren Entscheidungen führen könnten. Und sie spricht eine Mahnung aus: Zwar sei verständlich, dass der Rat seinen Entscheidungsprozess in der gegenwärtigen Situation anpassen müsse. "Trotzdem gilt es gerade jetzt, die höchsten Standards an Transparenz aufrecht zu erhalten – nicht trotz, sondern genau wegen der Krise und den anstehenden, wegweisenden Entscheidungen."
Notorisch intransparent: Rat der EU
Das Transparenzdefizit im Rat ist allerdings kein neues Phänomen. Zuletzt wiesen wir in unserer neuen Studie zu Lobbyeinflüssen auf die Bundesregierung darauf hin. Diese wollte sich des Themas ursprünglich während ihrer seit Juli laufenden Ratspräsidentschaft annehmen. Doch der kürzlich veröffentlichte Vorschlag der Bundesregierung fällt entäuschend aus. Von einer Veröffentlichung der Treffen zwischen den im Rat vertretenen Regierungen mit Lobbyist:innen zum Beispiel ist dort nichts zu lesen.
Genau das ist aber eines der größten Transparenzprobleme des Rats: Werden Lobbytreffen nicht dokumentiert, dann ist auch unklar, welche Interessen wie Einfluss auf die Arbeit der Staats- und Regierungschef:innen genommen haben. Eine Kritik an unausgeglichener Interessenvertretung wird so erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Deswegen sollten die Regierungen ihre Treffen mit Lobbyist:innen zu EU-Themen - auf nationaler wie auf EU-Ebene - dringend veröffentlichen.
Mit Scheinreformen wird es in Zukunft nicht getan sein. Vor allem der Rat als mächtigstes EU-Organ muss transparent machen, welche Interessen und Industrien genau seine Arbeit beeinflussen. Aktuell scheinen die notwendigen Reformen noch in weiter Ferne - wir halten Sie auf dem Laufenden!
Weitere Infos:
- Brief der EU-Bürgerbeauftragten an die EU-Kommission bezüglich Transparenz während der Covid-19-Krise
- Brief der EU-Bürgerbeauftragten an den Rat der EU bezüglich Transparenz während der Covid-19-Krise
- Industrie in der Hauptrolle? Studie mit Corporate Europe Observatory zu Lobbygefahren der deutschen Ratspräsidentschaft
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