Eine von Greenpeace veröffentlichte Studie zeigt: Die EU-Kommission wurde zu neuen Emissionsstandards von Kohlekraftwerken vor allem von der Industrielobby beraten. Mit verheerenden Folgen: Die Regeln für Luftverschmutzung wurden EU-weit verwässert. Darüber hinaus gilt: Die Beratergruppen der EU-Kommission sind insgesamt unausgeglichen besetzt – zugunsten von Unternehmenslobbyisten. Ob bei Klima- und Steuerpolitik oder Finanzmarktregulierung: Trotz Druck des EU-Parlaments und der Zivilgesellschaft hat sich daran bedauerlicherweise nichts geändert.
Gesundheitsgefährdend: Einseitige Beratung durch Luftverschmutzer
Im Vorfeld des diesjährigen UN-Klimagipfels in Paris hätte man meinen können, dass die EU die Chance nutzt, um mit ambitionierten Emissionsstandards für Kohlekraftwerke ein Signal für einen Aufbruch beim Klimaschutz zu senden. Doch der Einfluss von Unternehmenslobbyisten hat dafür gesorgt, dass dabei Standards herumgekommen sind, die niedriger sind als die in China und den USA, wie die Umweltorganisation Greenpeace analysiert.
Greenpeace hat in einer neuen Studie aufgezeigt, dass insbesondere eine technische Beratergruppe zur Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke fragwürdig besetzt war. In diese entsandten EU-Mitgliedstaaten ihre eigenen Delegationen – hier waren eigentlich reine Fachleute gefragt. Und wen schickten die nationlen Regierungen? Unter den 352 Mitgliedern dieser Gruppe waren 183 Industrievertreter. Das sind mehr als 50 Prozent aller Mitglieder. Allein fünf der neun britischen Vertreter arbeiten für Unternehmen, die für Emissionen in Europa verantwortlich sind. Darunter die deutschen Energiekonzerne RWE und E.ON. Noch schlimmer ist es um die spanische Delegation bestellt: Acht der neun Delegierten sind Industrievertreter.
Expertengruppen der EU-Kommission unausgeglichen besetzt
Auch wenn es in diesem Fall einmal nicht die direkte Schuld der EU-Kommission war: Seit langem kritisieren wir die unausgewogene Besetzung der Beratergruppen der EU-Kommission – der sogenannten Expertengruppen. In allen EU-Generaldirektionen gibt es Gruppen, in denen Unternehmenslobbyisten deutlich überrepräsentiert sind. Häufig werden auch Unternehmensvertreter als vermeintlch neutrale Experten eingeladen. Lesen Sie mehr hierzu in unserer Studie ‘A Year of Broken Promises.’
EU-Kommission übergeht Bedenken der Parlamentarier
Die Situation hat bereits mehrfach den Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments alarmiert. Ende Oktober 2014 ließen deren Mitglieder nun schon zum zweiten Mal den Haushaltsposten für die Expertengruppen in Teilen einfrieren. Das Parlament wollte damit Druck auf die EU-Kommission ausüben, endlich etwas an der unausgewogenen Besetzung zu ändern.
Allerdings ist es der Kommission dieses Mal gelungen, das Einfrieren zu umgehen. Nach kontroversen Verhandlungen mit dem Parlament über den Haushalt aus anderen Gründen ist das Einfrieren des Postens für die Expertengruppen schlichtweg unter den Tisch gefallen. Offensichtlich hat hier auch der Haushaltsausschuss des Parlaments nicht richtig aufgepasst. Denn die Kommission begründete die Aufhebung der Budgetsperre damit, dass sie beträchtliche Fortschritte bei der ausgeglicheneren Besetzung der Expertengruppen gemacht habe. Was in Anbetracht der weiterhin unausgeglichenen Besetzung skandalös ist.
Kritik der Europäischen Bürgerbeauftragten
Die europäische Bürgerbeauftragte (auch Ombudsfrau genannt) Emily O’Reilly teilt unsere Kritik an den Expertengruppen. Sie machte dies Ende Januar in einem offenen Brief an Kommissionspräsident Juncker deutlich. Darin forderte sie die EU-Kommission auf, grundlegende Reformen bei den Expertengruppen einzuleiten und machte sehr sinnvolle Vorschläge, wie mehr Transparenz und eine ausgewogenere Besetzung erreicht werden können.
EU-Parlament sollte erneut Druck aufbauen
Die unausgeglichen besetzte Beratergruppe zu Emissionen von Kohlekraftwerken ist ein gutes Beispiel dafür, welch negative Folgen die unternehmensdominierte Beratung der EU-Kommission hat. Deshalb ist es wichtig, dass das EU-Parlament seine Verantwortung wahrnimmt und der Kommission deutlich macht, dass sie so nicht davonkommt.
Mit der Rückendeckung der Ombudsfrau ist dies möglich. Emily O’Reilly hat Kommissionspräsident Juncker um eine Rückmeldung zu ihrer Kritik bis zum 30. April 2015 Zeit gegeben. Das Parlament sollte sich öffentlich den Forderungen der Ombudsfrau anschließen. Nur so könnte es zu einer grundlegenden Änderung des Unternehmenseinflusses auf die EU-Politik kommen. Kommissionspräsident Juncker stünde es dabei gut zu Gesicht, wenn er nicht nur mehr Transparenz schafft, sondern auch für ausgeglichenere Interessenvertretung sorgt. Denn Transparenz kann nur der erste Schritt zu einem demokratischeren Europa sein.
Weitere Infos:
- Studie von Greenpeace zur Verwässerung der Luftverschmutzungsstandards
- Artikel zu der Greenpeace-Studie in der englischen Tageszeitung „The Guardian“
- Unsere Studie zu den Expertengruppen der EU-Kommission ‘A Year of Broken Promises‘
- Kritik der Europäischen Bürgerbeauftragten an der Zusammensetzung der Expertengruppen der EU-Kommission
Bildquelle: Bodoklecksel; Foto: RWE Kohlekraftwerk Niederaußem 2012 ; Lizenz: CC BY-SA 3.0
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