Verstöße gegen Lobbyregeln werden in den EU-Institutionen nicht geahndet. Für Politiker:innen entsteht der Eindruck, dass ihnen niemand auf die Finger schaut. So hat spätestens der 2022 bekannt gewordene Skandal um mutmaßliche Bestechungsgelder aus Katar und anderen Ländern schonungslos offengelegt: Wer demokratische Prozesse unterlaufen will, hat mit den aktuellen Kontrollinstrumenten nichts zu befürchten.
Keine Abhilfe wird hier das zahnlose, beratende Ethikgremium schaffen, welches die Institutionen gerade beschließen. Was wir brauchen sind funktionierende Lobbyregeln, ein verpflichtendes EU-Transparenzregister und eine unabhängige Kontrollbehörde, die die Einhaltung der Regeln aktiv überwacht und Sanktionen ausspricht.
Sehr geehrte Frau von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission),
sehr geehrte Frau Metsola (Präsidentin des EU-Parlaments),
sehr geehrter Herr Alexander de Croo (Premierminister Belgien, hat die Ratspräsidentschaft inne),
sehr geehrter Herr Michel (EU-Ratspräsident),
die schwache Kontrolle und Durchsetzung der Ethik- und Transparenzregeln in den EU-Institutionen ist eine echte Gefahr für die Demokratie, denn der nächste Korruptionsskandal ist so vorprogrammiert. Dass mit dem gemeinsamen Ethikgremium mehr Bewusstsein für die Lobbyregeln geschaffen wird, ist gut. Das allein wird aber keinen Lobbyskandal verhindern.
Sorgen Sie für eine wirksame und unabhängige Kontrolle der Regeln und schaffen Sie:
Eine Lobbykontrolle mit Biss: Dafür braucht es eine unabhängige und schlagkräftige Behörde mit Ermittlungskompetenzen, die für die Kontrolle des Transparenzregisters ebenso zuständig sein wird wie für die Durchsetzung der Ethik- und Transparenzregeln in den EU-Institutionen.
Ein Transparenzregister, das funktioniert: Es muss sichergestellt sein, dass sich keine unregistrierten Lobbyist:innen mehr mit Vertreter:innen der EU treffen können, und dass die Informationen im Register korrekt sind.
Mit freundlichen Grüßen
Hintergrund
Was ist das Problem mit den Lobbyregeln auf EU-Ebene?
Die Lobbyregeln auf EU-Ebene sind unter dem Druck der Zivilgesellschaft immer weiter entwickelt worden und eigentlich nicht schlecht. Das Problem ist aber, dass sie nicht durchgesetzt werden.
Noch nie wurde eine Sanktion für einen Verstoß gegen die Regeln für Integrität und Transparenz im EU-Parlament verhängt. So müssen Abgeordnete den Regeln zufolge ihre Lobbytreffen veröffentlichen, doch dass beispielsweise die Mehrheit der AfD-Abgeordneten es trotzdem gar nicht oder nur sporadisch tut, bleibt bislang folgenlos.
Auch Lobby-Nebentätigkeiten für Abgeordnete des EU-Parlaments sind laut Verhaltensregeln verboten. Doch zumindest einige Abgeordnete haben Nebentätigkeiten, die wir durchaus als Lobby-Jobs einordnen würden. Kontrolliert wird das nie.
Wer kontrolliert bisher, ob die Regeln eingehalten werden?
Es gibt keine systematischen und funktionierenden Kontrollmechanismen, die für alle EU Institutionen gleichermaßen gelten würden. Im Parlament übernehmen das Mitarbeiter:innen der Parlamentsverwaltung und ein Gremium aus Abgeordneten, in der Kommission überprüft ein Ethikgremium aus hohen Beamten die Einhaltung des Ethikkodex.
Die jahrelange Erfahrung mit dieser Praxis zeigt: Freiwillige Selbstkontrolle funktioniert nicht! Denn wer tagtäglich zusammenarbeiten muss, ist eher unwillig, streng zu prüfen oder gar Sanktionen zu verhängen, wie das Beispiel EU-Parlament zeigt: Selbst wenn Hinweise auf Verstöße gegen Regeln in der Vergangenheit an die Parlamentspräsident:innen herangetragen wurden, hatte dies keine Konsequenzen.
Es herrscht auf höchster Ebene offenbar mangelnder Antrieb, Verstöße gegen Regeln zu ahnden und es fehlt der unabhängige Blick auf die jeweiligen Sachverhalte.
Warum wäre eine unabhängige Behörde besser?
Eine Behörde, wie wir sie fordern, wäre eine eigenständige Institution, besetzt mit neutralen Expert:innen, die eigeninitiativ kontrollieren dürfte. Solche Expert:innen könnten unvoreingenommen einschätzen, ob ein Regelverstoß vorliegt und wie schwerwiegend er ist.
Diese Institution würde auch kleinere Verstöße gegen den Verhaltenskodex wie das Verschweigen von Lobbytreffen aufgreifen. Wenn allen Abgeordneten, Kommissar:innen und Beamt:innen klar ist, dass auch geringfügige Verstöße gegen Transparenz- und Integritätsregeln aufgedeckt und sanktioniert werden, ist dies zugleich eine wichtige Präventionsmaßnahme gegen massive Korruptionsskandale wie Katargate.
Denn so würde das Bewusstsein bei Politiker:innen erhöht, dass ihnen jemand auf die Finger guckt. Das ist gerade in Brüssel, das für die Menschen deutlich weiter weg erscheint als die jeweiligen nationalen Parlamente, äußerst wichtig.
Was wären die Aufgaben einer solchen Behörde?
Die unabhängige Kontrollbehörde mit Biss, die wir fordern, wäre zuständig für alle Bereiche der Lobbyregeln: Die Beaufsichtigung des EU-Transparenzregisters – so heißt das Brüsseler Lobbyregister – ebenso wie die Einhaltung der Verhaltensregeln bei den verschiedenen Institutionen. Dazu würde z. B. die Prüfung von finanziellen Interessenerklärungen gehören, oder das Überprüfen von potenziellen Interessenkonflikten, z. B. bei Nebentätigkeiten.
Zugleich würde die Lobbybehörde alle Informationen zum Thema zentral zur Verfügung stellen. So würde sie Ressourcen bündeln und Bürokratie abbauen. Anstatt vieler einzelner Kontrollgremien und komplizierter Zuständigkeitsfragen, gäbe es nur eine Lobbybehörde, die für alles zuständig wäre.
Die Behörde dürfte von selbst tätig werden, wenn sie einen Verstoß gegen Ethikregeln erkennt oder auf ihn aufmerksam gemacht wird. Sie könnte zum Beispiel Einsicht in Dokumente nehmen, um sich ein Bild zu verschaffen, ob Lobbyregeln verletzt wurden. Sie dürfte auch Sanktionen aussprechen – oder zumindest öffentlich anmahnen.
Gibt es bereits Beispiele dafür, dass eine solche unabhängige Behörde funktioniert?
Länder wie Frankreich oder Kanada machen bereits vor, dass unabhängige Kontrollinstitutionen funktionieren und effizient sind! In Frankreich z.B. gibt es für diese Zwecke seit einigen Jahren die „Hohe Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben“.
Sie prüft Vermögensentwicklungen von Beamten und die Erklärungen über Vermögen und finanzielle Interessen von Abgeordneten. Ebenso prüft sie die Einhaltung der Regeln für Abgeordnete, kontrolliert Seitenwechsel und führt das französische Lobbyregister. Darüber hinaus stellt die französische Behörde der Öffentlichkeit Informationen zu Lobbyismus bereit, berichtet ausführlich über ihre Prüfaktivitäten und macht Vorschläge, wie sich Lobbyismus besser regulieren ließe.
Die Behörde ist somit ein wirksames Mittel, um Verstöße gegen Lobbyregeln öffentlich zu machen, als auch um verloren gegangenes Vertrauen in die Politik wieder zurückzugewinnen.
Warum halten wir das neue Ethik-Gremium für wirkungslos?
Das neue interinstitutionelle Gremium für ethische Standards soll für sieben EU-Institutionen gemeinsame Mindeststandards schaffen: das EU-Parlament, die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Gerichtshof, den Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und den Europäische Rechnungshof.
Aber das Gremium hat gar nicht die Kompetenzen, die es bräuchte, um etwas zu bewirken:
Anders als von uns gefordert wird es zusätzlich zu den bestehenden Ethik-Gremien geschaffen. Es hat kein Recht, von sich aus die Initiative in einem Fall zu ergreifen. Nur wenn eine der beteiligten Institutionen das möchte, kann sie die Expert:innen bitten, bestimmte offizielle Dokumente, wie z. B. eine finanzielle Interessenerklärung eines ihrer Mitglieder, noch einmal zu prüfen. Und das Ergebnis dieser Prüfung muss nicht veröffentlicht werden.
Mit diesem Gremium werden zwar Lobbyregeln besser als bisher in das Bewusstsein der Institutionen geholt. Aber ob Verstöße aufgeklärt und sanktioniert werden, können sie weiterhin selbst entscheiden.
Warum funktioniert das aktuelle Brüsseler Transparenzregister nicht?
Immer wieder zeigt sich, dass das EU-Transparenzregister, also das Lobbyregister der EU-Institutionen, von Akteuren mit fragwürdigen Absichten nicht im Geringsten ernst genommen wird. Das Brüsseler Transparenzregister ist nicht rechtlich bindend, Lobbyisten können deshalb nicht mit Sanktionen belegt werden, wenn sie sich gar nicht oder mit falschen Daten eintragen. Es ist dadurch weniger verbindlich als beispielsweise das deutsche Lobbyregister. Der Europäische Rechnungshof hat deshalb zu Recht kürzlich in einem Bericht festgestellt, dass es dem europäischen Transparenzregister an Durchsetzungskraft fehlt.
Solange es den EU-Institutionen nicht gelingt, eine vertragskonforme Lösung für ein rechtsverbindliches Register zu finden, müssen sie Lobbyist:innen mit den bereits verfügbaren Mitteln zum Eintrag bewegen. Dies ist in der Kommission bereits in Ansätzen zu sehen. Für Treffen mit Kommissar:innen und ihren Kabinetten ist es zwingend, dass sich Lobbyist:innen ins Register eintragen. Die Kommission muss den Eintrag ins Transparenzregister jetzt zur Voraussetzung für alle Treffen mit ihren Beamt:innen und Mitarbeiter:innen machen, damit die Nichteintragung für Lobbyist:innen direkt spürbar wird.