Die belgische Polizei hat am 13. März 2025 Medienberichten zufolge die Büros und Wohnungen von Huawei-Lobbyist*innen durchsucht und zwei Büros im Europäischen Parlament versiegelt. Die Ermittlungen sind Teil einer sich ausweitenden Bestechungsuntersuchung im Zusammenhang mit den Lobby-Aktivitäten des chinesischen Technologiekonzerns Huawei, in die bis zu 15 Abgeordnete des Europäischen Parlaments involviert sein könnten.
Die Ermittlungsbehörden verdächtigen offenbar Huawei-Lobbyist*innen, dass sie EU-Abgeordnete mit teuren Geschenken und Reisen, regelmäßigen Einladungen zu Fußballspielen und sogar Bargeld dazu gewinnen wollten, politische Positionen im Interesse von Huawei zu übernehmen. Den Durchsuchungen vorausgegangen waren langfristige Ermittlungen infolge eines Hinweises des belgischen Geheimdienstes. Demnach liefen diese Bestechungsversuche regelmäßig und sehr diskret bereits seit 2021 bis heute. Inzwischen sind Medienberichten zufolge weitere Büros durchsucht und vier Verdächtige durch die belgischen Behörden in Untersuchungshaft genommen worden. Ihnen wird „Korruption und organisierte Kriminalität“ vorgeworfen.
Viele Parallelen zu Katargate
Der Fall erinnert stark an den Katargate-Skandal um die ehemalige Vize-Parlamentspräsidentin Eva Kaili. Hier wurden Abgeordnete mit Bargeld dazu bewegt, im EU-Parlament für die Interessen von Katar, Mauretanien und Marokko Einfluss zu nehmen. Auch im Fall von Katargate ermittelte zunächst der belgische Geheimdienst.
Eine weitere Parallele ist die wichtige Rolle von parlamentarischen Assistent*innen. Bei Katargate spielte Eva Kailis Partner, der als Assistent im EU-Parlament arbeitete, eine zentrale Rolle. Im neuen Fall der Ermittlungen zu Huawei gehören die zwei versiegelten Büros ebenfalls Assistent*innen. Einer von ihnen hat tatsächlich sogar einen Bezug zu Eva Kaili: Adam Mouchtar hatte die Gruppe EU40 gegründet, deren Präsidentin niemand anderes als Eva Kaili war. Sie hatte sich ebenfalls stark im Tech-Sektor engagiert – auch hier übrigens unter teils fragwürdigen Umständen, wie unter anderem das Nachrichten-Magazin Politico berichtete.
Katargate: Trotz aller Beweise keine Verurteilungen
Bis heute ist keiner der Verdächtigen im Fall Katargate verurteilt worden, sie sind auf freiem Fuß, Eva Kaili war sogar bis 2024 EU-Abgeordnete ohne Fraktion. Ihre Anwälte haben mit großem Geschick Fehler der belgischen Justiz genutzt. Erst vor Kurzem fragte die belgische Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität von zwei weiteren Abgeordneten im Katargate-Skandal an. Die Prozedur der Aufhebung der Immunität ist langwierig. Die Immunität der Abgeordneten dürfte auch eine Erklärung dafür sein, warum im Huawei-Fall bisher keine Abgeordnetenbüros von der Polizei versiegelt wurden.
Kommission und Parlament weisen Huawei-Lobbyist*innen die Tür
Wie genau die Vorgehensweise der Huawei-Lobbyist:innen im EU-Parlament war, ist bisher unklar. Deshalb kann auch noch nicht viel darüber gesagt werden, ob und welche Lobbyregeln verbessert werden müssen. Nach dem Katargate-Skandal wurden durchaus Lobbyregeln verschärft, aber die unter Verdacht stehenden Bestechungsversuche durch Huawei liefen ja offenbar bereits auch weit vor diesen Reformen.
Gut ist, dass das Parlament den Huawei-Lobbyist*innen aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe vorläufig den Zugang zu Gebäuden in Straßburg und Brüssel untersagt hat. Die EU-Kommission hat angekündigt, sie werde die Kabinette der Kommissar*innen und alle Abteilungen (Generaldirektionen) anweisen, die Kontakte und Treffen mit Huawei bis auf weiteres auszusetzen. Wir hatten nach Bekanntwerden des Skandals zuvor gefordert, dass das passieren muss. Dass Lobbyist*innen bei Fehlverhalten der Tür verwiesen werden können, haben Parlament und Kommission offenbar inzwischen als Instrument für sich erkannt.
Problematische Reaktion des European Internet Forum
Weniger konsequent haben Lobbyakteure bislang reagiert, wie das Nachrichtenmagazin Politico diese Woche berichtete. Das European Internet Forum (EIF), ein Austauschforum von EU-Abgeordneten und Tech-Konzernen, schloss Huawei etwa aufgrund des Skandals nicht mit sofortiger Wirkung als Mitglied aus. Das EIF kündigte lediglich eine Diskussion über den Skandal am 9. April an. Da EU-Abgeordnete in diesem Forum eine führende Rolle spielen, sollten sie sofort Huawei vom EIF suspendieren. Andernfalls bleibt hier ein Schlupfloch für weitere Einflussnahme trotz des Ausschlusses aus dem Parlament.
Kritisches Signal von EU-Denkfabriken erforderlich
Während der Europäische Verband der Digitalindustrie Huawei nicht mehr als Mitglied aufführt, unterhalten führende EU-Denkfabriken weiterhin Verbindungen zum Konzern. Huawei hat diverse Verbindungen zu Denkfabriken in der EU. Teilweise legte der Konzern diese in der Vergangenheit nicht offen. Dies erfolgte erst nach einer Beschwerde von uns beim Lobbyregister-Sekretariat.
Verbindungen hat Huawei zu Bruegel, zum Center for European Policy Studies (CEPS), zum Centre on Regulation in Europe (CERRE) und zum Center for International Policy Leadership (CIPL). Unternehmen erhoffen sich mit Mitgliedschaften in Denkfabriken und Verbänden eine bessere Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Denkfabriken zum Beispiel veranstalten häufig Diskussionen mit der Politik in Brüssel. Auch diese sollten sich spätestens jetzt kritisch von dem Konzern distanzieren.
Gute Ethikregeln, schlechte Durchsetzung
Wichtig und nützlich für die Ermittlungen in den Korruptionsfällen sind die zahlreichen Transparenzverpflichtungen, denen Abgeordnete unterliegen, sei es zu Geschenken über 150 Euro oder zu ihren Lobbytreffen. Hierbei gibt es aber, genau wie bei allen anderen Lobbyregeln, ein Hauptproblem: Sie werden nicht durchgesetzt. In den vergangenen Jahren gab es fast keine Sanktionen für den Verstoß gegen Lobbyregeln. Das ist vielleicht auch kein Wunder, denn die Überprüfung und Sanktionierung obliegt der Parlamentspräsidentin und einem recht zahnlosen Beratungsgremium aus Abgeordneten.
Parlamentarier*innen sollen also die Kolleg*innen kontrollieren und bestrafen, mit denen sie alltäglich zusammenarbeiten müssen – das ist keine gute Idee. Wird die Einhaltung von Regeln aber nicht kontrolliert und bei Verstößen sanktioniert, kann der Eindruck entstehen, dass man im EU-Parlament unbeobachtet seinen teils auch zweifelhaften Geschäften nachgehen kann. Wir fordern deshalb schon länger eine neutrale Instanz, die die Regeln durchsetzt. Wie diese aussehen könnte, dazu haben wir inzwischen eine juristische Studie auf den Weg gebracht.

Für eine EU-Lobbykontrolle mit Biss!
Korruptionsskandale zeigen, dass die EU-Lobbyregeln nicht ernst genommen werden. Deshalb braucht es eine unabhängige Kontrollbehörde mit Biss!
Jetzt Appell unterschreiben!Konservative blockieren das bereits beschlossene Ethikgremium
Ein erster wichtiger Schritt wäre aber, das unter dem Eindruck von Katargate beschlossene gemeinsame Ethikgremium für sieben EU-Institutionen (darunter Parlament und Kommission) endlich einzusetzen. Es darf zwar die Einhaltung der Regeln nicht selbständig kontrollieren oder durchsetzen. Aber das aus Vertreter*innen der beteiligten Institutionen und fünf unabhängigen Expert*innen zusammengesetzte Gremium soll bei der Erarbeitung von Ethikstandards mithelfen. Dieses Gremium muss jetzt schnell arbeitsfähig werden. Wir fordern zugleich, dass seine Kompetenzen erweitert werden und es auch selbständig Regelverstöße kontrollieren darf.
Derzeit blockieren die Christdemokraten im EU-Parlament gemeinsam mit den rechtspopulistischen Fraktionen mit fadenscheinigen Begründungen das Gremium, obwohl es in der vergangenen Wahlperiode eine Mehrheit bekommen hat. Es ist absurd, dass bereits beschlossene Konsequenzen aus Katargate nun mit den neuen Mehrheitsverhältnissen wieder infrage gestellt werden – das macht der neuerliche Korruptionsskandal mehr als deutlich.
Was wollte Huawei?
Welche Positionen die Bestechungsversuche genau beinhalten, ist bisher nicht bekannt. Was wir jedoch wissen, ist, wofür die Lobbyist*innen von Huawei in den vergangenen Jahren Lobbyarbeit betrieben haben: Schon seit 2019 gab es Warnungen aus den USA, der chinesische Techkonzern nutze seine 5G-Technik für Spionage im Auftrag des chinesischen Staates. Enge Verbindungen zwischen Huawei und dem chinesischen Staat, die verschiedene Recherchen aufzeigten, konnte der chinesische Konzern nie wirklich entkräften. Anders als etwa US-Techkonzernen geht es Huawei nicht in erster Linie um die Beeinflussung europäischer Gesetze, sondern zuvorderst um Marktzugang in der EU.
In Brüssel betrieb Huawei mit Millionensummen, zahlreichen Lobbyist*innen und verschwenderischen Partys Lobbyarbeit, um Teil des 5G-Marktes zu bleiben und die Vorwürfe zu entkräften, wie die Investigativplattform Follow the Money eindrücklich beschreibt (Paywall). Die EU-Kommission empfahl trotzdem ab 2020, Hochrisiko-Anbieter aus dem 5G-Markt auszuschließen. Bis Juni 2023 hatten das aber nur 10 EU-Länder beherzigt.
Besonders zögerlich ist unter anderem Deutschland. Wie LobbyControl gemeinsam mit ZDF und FragdenStaat recherchiert hat, haben die Telekom, aber auch andere Anbieter wie Vodafone und Telefonica, auf höchster Ebene Lobbyarbeit betrieben, damit Huawei- und ZTE-Komponenten nicht vom 5G-Netz-Ausbau ausgeschlossen wurden. Die Bundesregierung ordnete Sicherheitsrisiken den Geschäftsinteressen deutscher Mobilfunkanbieter und chinesischer Techkonzerne unter. Das hat sie selbst mit dem im Sommer 2024 beschlossenen Teilausschluss von Huawei- und ZTE-Komponenten noch getan.
Wir bleiben dran und schauen der EU auf die Finger
Die Ermittlungen im Huawei-Korruptionsskandal verdeutlichen schon jetzt, mit welch zweifelhaften Methoden der chinesische Techkonzern Einfluss in Europa nimmt. Sie zeigen auch klar auf, dass sich Europa gegen solche problematische Einflussnahme wehren muss. Das gilt einmal mehr in einer Welt, die geopolitisch unruhiger denn je ist. Wir bleiben an den Entwicklungen zum Skandal dran und setzen uns für scharfe Regeln ein, die unsere Institutionen vor zweifelhaftem Einfluss schützen.
Zum Weiterlesen:
Brief von EU-Abgeordneten an Roberta Metsola, was jetzt passieren muss
Recherche von Follow the Money zur Lobbyarbeit von Huawei in Brüssel
Hintergrundinfos zum Huawei-Lobbyskandal von Politico