Der Verdacht steht im Raum, dass die Fusion auch deshalb zustande kam, weil ein lukratives Jobangebot für den Beamten in Aussicht stand. Die EU-Kommission trägt nicht zur Aufklärung bei, sondern verweigert bisher alle internen Dokumente, mit denen sich erkennen ließe, ob ein Interessenkonflikt vorliegt.
Bei einer Mega-Fusion wie der von Bayer und Monsanto 2018 muss sichergestellt werden, dass der Zusammenschluss von Konzernen dieser Größe nicht zu einer marktbeherrschenden Stellung führen und den Wettbewerb beeinträchtigen kann. Deshalb hat die EU-Wettbewerbsbehörde die Mega-Fusion von Bayer und Monsanto geprüft. Eine zentrale Auflage für die Genehmigung war, dass Bayer Teile seines Saatgutgeschäfts an den Chemiekonzern BASF abtritt.
Eine Studie des Wirtschaftsberatungsunternehmens Compass Lexecon hatte dargelegt, dass es in diesem Fall weiter ausreichend Konkurrenz auf den meisten Märkten geben werde – die marktbeherrschende Stellung weniger Konzerne über den Saatgut- und Pestizidmarkt spielte in der Bewertung keine Rolle. Kurz darauf wechselte unseren Recherchen zufolge einer der Beamten, der an dem Verfahren beteiligt gewesen sein soll, in eine Führungsposition bei Compass Lexecon.
Wettbewerbsbehörde weist alle Transparenzersuchen ab
Wir haben interne Dokumente bei der Wettbewerbsbehörde angefragt, die Aufschluss darüber geben könnten, ob damals ein Interessenkonflikt vorlag – beispielsweise zu der genauen Rolle, die der Mitarbeiter bei der Fusion gespielt hat und ob er die besagte Studie empfohlen hat. Doch unsere Fragen sind bisher unbeantwortet. Ein Verdacht auf einen möglichen Interessenkonflikt kann so nicht ausgeräumt werden. Im Gegenteil, er verhärtet sich durch fehlende Transparenz. Für uns bleibt unklar, ob der Beamte bei seiner Empfehlung für die Kommission für die Fusion aus Überzeugung oder aus persönlichem Interesse – dem Anreiz eines lukrativen Jobangebots – gehandelt hat.
Auch der Spiegel hat ausführlich über unsere Recherche berichtet und Fragen an die Behörde gestellt. Doch auch gegenüber dem Spiegel bestritt die Wettbewerbsbehörde jegliche Interessenkonflikte. Dabei geht es womöglich um mehr als nur einen Einzelfall. Wie LobbyControl bereits in mehreren Recherchen nachgewiesen hat, fehlt häufig der nötige Abstand zwischen Wettbewerbsbehörde und den Wirtschaftsberatungsfirmen, die Unternehmen bei ihren Fusionen beraten.
Seitenwechsel zeigen zu große Nähe zwischen Behörde und Beratungsbranche
Da wären zunächst die Seitenwechsel, bei denen Beamte ihre Kenntnisse aus dem Amt und politische Netzwerke in der Privatwirtschaft zu Geld machen. Zwischen der Wettbewerbsbehörde und den Wirtschaftsberatungsunternehmen gibt es problematisch viele davon. Die Wirtschaftsberatungen sind dabei in der Öffentlichkeit unauffällig, aber in der Fusionskontrolle extrem einflussreich. Dazu gehören etwa Compass Lexecon, Charles River Associates, Oxera oder RBB Economics. Seitenwechsel finden in beide Richtungen statt, wie wir bereits in einer früheren Recherche gezeigt haben.
So ist das Team des Chefökonomen der EU-Wettbewerbsbehörde regelmäßig mit Personal aus diesen Beratungsunternehmen besetzt. Aus öffentlich zugänglichen Informationen geht hervor, dass von den 29 Beamten, die für den Chefökonomen der Kartellbehörde arbeiten, fast die Hälfte (13) früher als Wirtschaftsberater in der Privatwirtschaft tätig waren. Neun Beamte der Generaldirektion Wettbewerb waren früher bei Charles River Associates (CRAI), einer der oben genannten Beratungsfirmen, darunter der Chefökonom selbst und die beiden Referatsleiter.
Während die Beratungsunternehmen über die Seitenwechsel in Pressemitteilungen frohlocken, sieht die EU-Bürgerbeauftragte durch die laxen Genehmigungen der Seitenwechsel die Integrität der EU-Verwaltung in Gefahr. Nach einer Untersuchung der Frage, ob die Kommission genug dagegen tut, dass Beamte ihre Kenntnisse und Netzwerke in der Privatwirtschaft zu Geld machen, hat sie die EU-Kommission 2022 zu einer härteren Gangart aufgefordert und speziell die Wettbewerbsbehörde als Problemfall benannt.
Studienflut legt Behörde lahm
Zugleich überfluten die Beratungsunternehmen die Wettbewerbsbehörde mit Studien. Im Auftrag von Konzernen liefern sie ökonomische Auftragsstudien, die rechtfertigen, warum es diesen gestattet sein sollte, ihre Monopolstellung noch weiter auszubauen. Hilfreich sind etwa Gutachten, die bescheinigen, dass der Verbraucherschutz nicht leide oder dass ihr Geschäftsgebaren unbedenklich für den Wettbewerb sei.
Als verantwortliche Kartellbehörde ist die Generaldirektion Wettbewerb dazu verpflichtet, bei der Prüfung von Fusionen alle eingereichten Unterlagen zu berücksichtigen. Aus dem Kreis der Kommissionsbeamt:innen der Generaldirektion Wettbewerb liegen Informationen vor, die darauf hinweisen, dass bei Prüfungsverfahren häufig so viele wirtschaftliche Bewertungen eingereicht werden, dass die Kartellbehörde ihr Pensum kaum bewerkstelligen kann.
Diese Taktik kann die Behörde durchaus an ihre Ressourcengrenzen bringen und sie in die Defensive drängen. Der ehemalige Chefökonom der EU-Wettbewerbsbehörde, Tommaso Valletti, hat dieses Vorgehen bereits öffentlich kritisiert, wie wir in unserem ausführlichen Blog zu der Problematik der Monopolmacht der Techkonzerne beschrieben haben. In der Techbranche ist der Erfolg der mächtigen Beratungsfirmen besonders gut zu sehen: Von den 1.000 Fusionen, an denen Big-Tech-Firmen in den letzten 20 Jahren beteiligt waren, sei kein einziger gestoppt worden, so Valletti. Darunter ist die Fusion von Facebook mit Instagram (2012) und Whatsapp (2014).
Kommission wollte wissenschaftliche Studie bei Beratungsunternehmen in Auftrag geben
Die EU-Kommission weigert sich auch hier, das Problem anzuerkennen. Wie gering das Problembewusstsein ist, zeigen weitere Beispiele: Im Jahr 2023 wollte die EU-Kommission einer der Beratungsfirmen, dem Unternehmen RBB Economics, gar die Überprüfung ihrer Fusionskontrollverfahren in Auftrag geben. Die Wirtschaftsberatung hatte kurz zuvor das Unternehmen Google bei einer umstrittenen Fusion unterstützt.
Nur durch die Skandalisierung durch LobbyControl und Corporate Europe Observatory zog Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den Auftrag zurück. Das Politik-Magazin Politico enthüllte zudem, dass die Wirtschaftsberatungsunternehmen Beamte der Kommission regelmäßig zu Büroeröffnungen oder exklusiven Konferenzen einluden – und dabei deren Kosten übernahmen.
Die Nähe zwischen EU-Wettbewerbsbehörde und den Brüsseler Beratungsfirmen, die Konzerne bei ihren Fusionen unterstützen, ist viel zu groß. Die EU-Kommission sollte endlich anerkennen, dass dies gravierende Folgen haben kann: Nämlich Entscheidungen ihrer Wettbewerbsbehörde, die dem Gemeinwohl widersprechen. Um glaubwürdig und dem Gemeinwohl verantwortlich zu bleiben, muss sie dringend für mehr Abstand sorgen.
Wir fordern von der Generaldirektion Wettbewerb:
- Es braucht ein entschiedeneres Vorgehen gegen die zahlreichen Seitenwechsel der Kartellwächter in die Beratungsbranche. Ein Ansatzpunkt wäre auch, weniger befristete Stellen für EU-Mitarbeiter:innen zu schaffen, weil diese Befristungen die Wechsel in die Privatwirtschaft befördern.
- Die Auftragsstudien der Beratungsfirmen für Wettbewerbsverfahren werden bisher nicht veröffentlicht. Das ist fragwürdig, weil ein öffentliches Interesse an vielen Fusionsverfahren besteht. Mindestens sollte eine Liste der Studien veröffentlicht werden, mit Namen der Auftraggeber und der Autoren. So kann mögliches Spamming leichter offengelegt und kritisiert werden.
- Die Regeln für Reisen ihrer Beamten hat die EU-Kommission inzwischen strenger gefasst. Es dürfen nur noch Flugreisen von Behörden von den Mitgliedstaaten, internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder öffentlichen und privaten Universitäten finanziert werden. Es bleibt aber unklar, ob diese Regeln eingehalten werden, da die Beamten ihre von Dritten übernommenen Reisekosten bisher nicht veröffentlichen müssen – das sollte sich ändern.
- Die Wirtschaftsberatungsunternehmen sind politisch derart umtriebig, dass man sie als das einstufen sollte, was sie sind: Lobbygruppen, die oft Großkonzerne vertreten. Deshalb müssen sie ihre Aktivitäten endlich transparent machen. Sie müssen dazu verpflichtet werden, sich in das EU-Transparenzregister einzutragen. Nur so kann ihre Arbeit in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden.
- Insgesamt würde der Generaldirektion Wettbewerb weniger Heimlichtuerei gut tun, schließlich verhandelt sie ein Thema, das für das Gemeinwohl von großer Bedeutung ist. Auch die Argumente, warum sie die Dokumente im Interessenkonflikt Bayer Monsanto nicht freigeben kann, weisen auf diese Heimlichtuerei hin. Wir haben sie mit Hilfe einer Anwältin inzwischen erneut beantragt.