Lobbyismus in der EU

Klimakiller RWE und die Derivatelobby mit Goldman Sachs gewinnen die Worst EU Lobby Awards 2010

Die Worst EU Lobby Awards 2010 sind beendet. Fast 10.000 Wählerinnen und Wähler haben online über den Preis für unlautere Lobbyarbeit abgestimmt. In der Kategorie „Klima“ erhielt die RWE-Unternehmenstochter RWE npower 58% aller Stimmen. In der Finanzkategorie entschied die Lobbygruppe für Derivate, ISDA, mit ihren mächtigen Mitgliedern wie Goldman Sachs, das Rennen für sich. 59% […]
von 2. Dezember 2010
Verleihung der Worst EU Lobbying Awards in Brüssel

Verleihung der Worst EU Lobbying Awards in Brüssel. Mit RWE nimmt erstmals ein

Die Worst EU Lobby Awards 2010 sind beendet. Fast 10.000 Wählerinnen und Wähler haben online über den Preis für unlautere Lobbyarbeit abgestimmt. In der Kategorie „Klima“ erhielt die RWE-Unternehmenstochter RWE npower 58% aller Stimmen. In der Finanzkategorie entschied die Lobbygruppe für Derivate, ISDA, mit ihren mächtigen Mitgliedern wie Goldman Sachs, das Rennen für sich. 59% der Online-Stimmen dieser Kategorie entfielen auf sie. Die Awards wurden am Donnerstagmorgen (2.12.) in einer Zeremonie vor dem Gebäude, in dem die ISDA ihren Sitz hat, verliehen.

Hier kommen Sie zu den Bildern von der Verleihung der Awards

RWE – öffentlich Grünwaschen und zugleich Umweltschutz verhindern
RWE hat in den vergangenen beiden Jahren gemeinsam mit seiner britischen Tochterfirma RWE npower alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Änderungen bei der Richtlinie über Industrieemissionen zu erreichen. Ursprünglich hätte diese Richtlinie, die fortschreitend Beschränkungen von Emissionen festlegt, bedeutet, dass RWE npower mehrere Kohle- und Öl-Kraftwerke in Großbritannien vom Netz nehmen oder zügig hätte modernisieren müssen. Die Lobbyarbeit – unter anderem malte man Horrorszenarien von landesweiten „Versorgungslücken“ an die Wand – hatte Erfolg: Kohlekraftwerke z.B. müssen nun der im Sommer 2010 verabschiedeten Richtlinie zufolge ihre Emission nicht eindämmen, solange sie garantiert bis 2023 abgeschaltet werden – deutlich später als ursprünglich geplant. Dabei wusste das Unternehmen bereits lange vorher, auf welche Vorgaben es sich einrichten musste.

Zugleich gibt sich RWE seit Jahren ein grünes Image mit Kampagnen wie dem von Jung von Matt kreierten Slogan „VoRWEg gehen“ und verschiedenen kleinen Modellprojekte im Bereich Nachhaltigkeit oder erneuerbaren Energien. Sich selbst öffentlich grünzuwaschen und zugleich Lobbyarbeit gegen mehr Umweltschutz zu betreiben: Dieses Verhalten wurde von den Wählerinnen und Wählern besonders „goutiert“. RWE zog mit überwältigender Mehrheit an dem Lobbyverband Business Europe (24%) und an dem Stahlgiganten ArcelorMittal (18%) vorbei. Beide hatten mit Erfolg despektierliche Lobbyarbeit betrieben, um ehrgeizige Ziele zum Klimaschutz der EU-Institutionen zu untergraben.

Die Derivatelobby und Goldman Sachs unterwandern die EU-Kommission
In der Kategorie „Finanzen“ hatten alle Nominierten daraufhingearbeitet, Regulierungsmaßnahmen im Zuge der Finanzmarktkrise aufzuweichen oder ganz zu verhindern. Derivate, von dem Investor Warren Buffet eins als „finanzielle Massenvernichtungs­waffen“ bezeichnet, haben sowohl eine Schlüsselrolle in der Finanzkrise als auch in der gleichzeitigen Lebensmittelkrise gespielt – nicht zu vergessen in der noch laufenden Krise des Euro. Der ISDA (International Swaps and Derivatives Association) gelang es, die Beratungshoheit über die geplante Derivaterichtlinie zu gewinnen, indem sie die Institution der Expertengruppen für sich ausnutzte. Ca. 1000 dieser Gruppen beraten die Kommission bei der Entstehung neuer Richtlinien, allein etwa zwanzig im Bereich der Finanzmarktregulierung. Die Mehrheit von ihnen ist von Unternehmensvertretern dominiert, wie wir mit unserem europäischen Netzwerk ALTER-EU in verschiedenen Studien gezeigt haben. Die ISDA drängte die Kommission dazu, eine ‚Expertengruppe‘ extra zu Derivaten zu bilden – diese wurde dann von ISDA-Mitgliedern dominiert. Auch Goldman Sachs, die gedroht hatte, Regulierung würde sie aus Europa vertreiben, bekam ihren Platz in der Expertengruppe. So gelang es, die Arbeit auf eher moderate Formen der Regulierung zu konzentrieren.

Damit hat die ISDA ihren privilegierten Zugang zur EU-Kommission und ihre Funktion als angeblich neutrale Beraterin in Expertengruppen weidlich für ihre Zwecke ausgenutzt und wurde dafür von den Wählerinnen und Wählern mit dem Sieg „belohnt“. Ihr folgt die Royal Bank of Scotland mit 23%, nominiert wegen heimlicher Lobbyarbeit in Brüssel und dem Anzapfen kommissionsinternen Insider-Wissens durch die Rekrutierung des ehemaligen EU-Kommissar Günter Verheugen als Berater. Auf Platz drei folgen die Lobbygruppen für Hedgefonds und Private-Equity-Firmen AIMA und EVCA mit 18%, die den Preis ebenso verdient hätten – sie haben versucht, Regulierungen mit Hilfe der „Third Party Technique“ abzuschwächen. Klein- und mittelständische Unternehmen, die mehrheitlich entweder EVCA-Mitgliedern gehörten oder von ihnen finanziert wurden, schrieben im Auftrag der EVCA an die EU-Kommission, dass ihnen die Regulierung schaden würde – natürlich ohne dass der dahinterstehende Auftraggeber sichtbar wurde.

Die EU-Kommission muss dem Lobbyismus Schranken setzen
Bei allen Nominierten handelt es sich um Firmen und Lobbyverbände, die hinter den Kulissen massiven Einfluss auf die EU-Politik nehmen, um die Profite ihrer Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit zu sichern. LobbyControl veranstaltet die Worst EU Lobby Awards gemeinsam mit Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe und Spinwatch seit 2005, um auf dieses Problem auf humorvolle Weise aufmerksam zu machen. Erstmals konnte die Abstimmenden auch eine E-Mail an den zuständigen Kommissar Sefcovic schicken und ihn damit auffordern, die notwendigen Schritte zu ergreifen, damit die Kommission das öffentliche Interesse über die kommerziellen Interessen von Lobbyisten und Unternehmen stellt. Knapp 8.000 Menschen haben diesen Brief verschickt. Das alleine wird wohl noch nicht ausreichen, um die Kommission zum Handeln zu bewegen. Aber die Worst EU Lobby Awards sind ja nur ein Aspekt unserer Arbeit. Daneben machen wir ausdauernd Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit, um mehr Lobby-Transparenz in Brüssel und Schranken für den Lobbyismus durchzusetzen. Und in kleinen Schritten gibt es dabei durchaus Erfolge, z.B. dass EU-Kommissar Michel Barnier inzwischen eingeräumt hat, dass die EU-Expertengruppen im Finanzbereich einseitig besetzt sind und dies geändert werden müsse.

Die Auftakt-Aktion für die Awards vor der EU-Kommission im Oktober: Unser Maskottchen der diesjährigen Awards, die Lobby-Putze, jagt einen Lobbyisten mit dem Staubwedel.

Die Auftakt-Aktion für die Awards vor der EU-Kommission im Oktober: Unser Maskottchen der diesjährigen Awards, die Lobby-Putze, jagt einen Lobbyisten mit dem Staubwedel.

Danke an alle, die mitgemacht haben!
Wir bedanken und ganz herzlich bei allen, die sich an den Worst EU Lobbying Awards beteiligt haben! Eine große Anzahl der Wählerinnen und Wähler kam aus Deutschland. Wir freuen uns, wenn Sie unser Engagement für Transparenz und Demokratie weiter unterstützen, sei es durch Teilnahme an weiteren Aktionen (Infos über unseren Newsletter), eine Spende oder indem Sie uns dauerhaft als Fördermitglied unterstützen. Bis zum Jahreswechsel erhalten neue Förderer/innen als Dankeschön die aktuelle Auflage des “LobbyPlanet Berlin”, unseres Stadtführers durch den Lobbydschungel. Mit Ihrer Hilfe gucken wir den Lobbyisten genauer auf die Finger!

Weitere Informationen zu den Kandidaten und den Awards unter www.worstlobby.eu und speziell zu den Finanzlobby-Kandidaten auch im Finanzlobby-Portal der Lobbypedia.

Update: hier ist ein Film von der Preisverleihung in Brüssel:

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