Anfang Dezember 2024 flatterten vielen Umwelt-Organisationen in Brüssel, größeren und kleineren, Briefe ins Haus, deren Inhalt ihre Arbeit einschneidend verändern dürfte. Sie beziehen sich auf Zuschüsse aus dem EU-Umweltfonds LIFE, der zwischen 2021 und 2027 Mittel in Höhe von 5,4 Milliarden Euro bereitstellt, um Umwelt- und Klimaprojekte zu unterstützen. Zu einem kleinen Anteil geht das Geld auch direkt die Arbeit von Umwelt-Organisationen. In den Briefen erklärt die zuständige EU-Agentur, dass alle direkten Lobby-Aktivitäten wie beispielsweise das Organisieren von Treffen mit EU-Beamt:innen und das Erstellen von Lobbymaterial ab jetzt nicht mehr aus den Geldern des Programms finanziert werden darf. Dies sollen die Organisationen auch in ihren schon fertigen Anträge für das Jahr 2025 nachträglich ändern. Begründung: Diese Finanzierung könne für die EU ein „Reputationsrisiko“ bergen, weil damit Lobby-Aktivitäten der NGOs aus Steuergeldern finanziert werden.
Finanzierung von NGOs ein „Reputationsrisiko“?
Viele Organisationen sind schockiert. Nicht nur, dass sie das vor reale praktische Probleme und Engpässe stellt. Bisher war die Annahme, dass das LIFE-Programm die Beteiligung von NGOs gerade explizit ermöglichen sollte. Auf der Webseite des Programms steht beispielsweise, es sei wichtig, dass Umwelt-Organisationen in allen Stakeholderdialogen zu Klima- und Umweltmaßnahmen teilnehmen – auch um die Interessen anderer Akteure auszubalancieren.
Massives Ungleichgewicht zwischen Unternehmenssektor und Zivilgesellschaft
Die dominanten Akteure, für die man sich ein Gegengewicht wünscht, sind vor allem große Konzerne. Sie sind in puncto Lobbyarbeit bei der EU der Zivilgesellschaft zahlenmäßig und finanziell weit überlegen. Ein riesiges Heer von Unternehmenslobbyisten umgibt die Sitze der Macht in Brüssel und ist bei jedem einzelnen Schritt der Rechtsetzung massiv präsent. Lange bevor irgendetwas der Öffentlichkeit präsentiert wird, sind diese Lobbyisten bei den Strategiegesprächen mit der Kommission und dem Rat dabei, sie helfen bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen, sie schreiben Änderungsanträge für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sie sind überall dabei, wenn neue Vorschriften umgesetzt werden sollen, um sicherzustellen, dass ihre Errungenschaften aus früheren Phasen nicht aufgegeben werden.
Dieses Ungleichgewicht der Interessen wird sich nun verschärfen, da Lobbyarbeit der Nichtregierungsorganisationen nicht mehr aus den EU-Töpfen finanziert werden darf. Es ist scheinheilig von der EVP zu argumentieren, es gehe um die saubere und transparente Verwendung von Steuergeldern, die nicht für aktive Lobbyarbeit verwendet werden dürften. Lobbyisten der Unternehmen belagern Kommission und Parlament mit Einladungen und Terminanfragen praktisch rund um die Uhr, ohne aktive Lobbyarbeit dringen Nichtregierungsorganisationen in der Politik nicht durch. Eine Ausgewogenheit und Vielfalt der Argumente, wie wir sie seit Jahren immer wieder einfordern, rückt dadurch in noch weitere Ferne. Die Qualität der Entscheidungsfindung in der EU wird beeinträchtigt, wenn Pluralismus eher auf dem Papier besteht als in der Realität. Daher ist eine Unterstützung der Lobbyaktivitäten von NGOs durch Steuergelder absolut im Sinne von Pluralismus und Demokratie. Es handelt sich bei den Geldern übrigens um gerade mal 0,3 Prozent des LIFE-Programms oder 0,006 Prozent des EU-Haushalts.
Auch die EU-Institutionen haben dies bisher so gesehen. Das Europäische Parlament hat in der Vergangenheit sogar explizit die Gründung der Organisation FinanceWatch angestoßen. Als nach der Finanzkrise der Bankensektor stärker reguliert werden sollte, wurde den Abgeordneten deutlich, dass es keine einzige Finanzorganisation mit Sachverstand gab, die nicht im Interesse von Banken und Unternehmen agierte. Um eine solche unabhängige Beratung, die insbesondere die Interessen der Zivilgesellschaft in den Vordergrund rückt, zu ermöglichen, erhielt FinanceWatch auch Geld von der EU. Es ist also durchaus in der Logik auch der EU-Kommission, die Lobbydominanz einer Industrie zu brechen, indem auch die Gegenseite gestärkt wird.
Politische Erfolge missfallen Rechten und Teilen der Konservativen
Aber die manchmal erfolgreichen Kampagnen der oft unterfinanzierten und personell unterbesetzten Nichtregierungsorganisationen gefallen nicht allen. Dass autoritäre Staatsführer wie Viktor Orban oder Wladimir Putin diese Organisationen, die oft wichtige Teile der Zivilgesellschaft repräsentieren, in ihren jeweiligen Ländern mit aller Macht bekämpfen, ist weithin bekannt. Weniger in der Öffentlichkeit ist, dass auf EU-Ebene auch Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP), also der Christdemokraten, immer wieder Kampagnen gegen die Arbeit von NGOs fahren. Möglich, dass ihnen aktuell nicht gefällt, dass in den vergangenen Jahren auch mit Unterstützung der Zivilgesellschaft viele Gesetze zum Schutz von Klima, Artenschutz oder auch Arbeitsrechten in Brüssel durchkamen. Und so forderte die Partei auch während ihrer Wahlkampagne mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz für Nichtregierungsorganisationen, insbesondere für solche, die EU-Mittel in Anspruch nehmen. Besonders laut sind dabei immer wieder einige deutsche Abgeordnete. Je nach Gelegenheit greifen sie die NGOs wegen ihrer Finanzierung durch die EU an, wegen vermeintlicher Intransparenz oder als angebliche Agenten ausländischer Einflussnahme. Durch die rechten Mehrheiten im EU-Parlament nach der Wahl im Mai 2024 konnten sie jetzt offenbar endgültig den nötigen Druck auf die EU-Kommission aufbauen, um die Arbeit der NGOs zu schwächen.
Vorschlag für eine Gesinnungsprüfung kam schon 2017
Versuche dazu gab es bereits mehrere: Im Jahr 2017 wollte der Abgeordnete Markus Pieper die Finanzierung zum Hebel machen, um missliebigen NGOs die Arbeit zu erschweren (LobbyControl berichtete). Die lange und kritische Debatte um das Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP), das schließlich nicht zustande kam, hatte ihn verärgert. Er versuchte das Europäische Parlament davon zu überzeugen, dass Organisationen nicht finanziell gefördert werden sollten, „deren Ziele sich gegen die Grundwerte der Europäischen Union, die Demokratie, die Menschenrechte oder gegen strategische handels- und sicherheitspolitische Ziele der Institutionen der Europäischen Union richten“. Damit erklärte er in einem Antrag umstrittene Politikfelder wie die Handels- oder die Sicherheitspolitik zum sakrosankten Kernbestandteil der EU – auf der gleichen rechtlichen Ebene wie Demokratie oder Menschenrechte. Das ist antipluralistisch und inakzeptabel. Den Antrag musste er damals am Ende zurückziehen. Aber die Debatte ging weiter.
Ende 2022 reagierte die EVP auf den Katargate-Skandal mit einem erneuten Vorstoß gegen NGOs. Während sie sich gegen strengere Regeln für das Parlament wehrte, nutzte sie den Umstand, dass der Drahtzieher des Skandals tatsächlich ausgerechnet eine NGO namens „Fight Impunity“ gegründet hatte, um Abgeordnete und ihre Mitarbeiter zugunsten von Katar, Marokko und Mauretanien zu bestechen. Es steht außer Frage, dass Korruption und verdeckte Einflussnahme mithilfe intransparenter Organisationen ein Riegel vorgeschoben werden muss. Dafür setzen wir uns seit Jahren ein. Wir haben die Transparenz aller Lobbyakteure, auch die von Nichtregierungsorganisationen, immer wieder eingefordert. Doch NGOs unterliegen bereits jetzt strengeren Kriterien als andere Organisationen, sie müssen im Transparenzregister detailliert Auskunft über die Herkunft ihrer Finanzen geben.
Das wahre Problem: Transparenzregeln werden nicht durchgesetzt
Im Januar 2024 führte die erneute Anstrengung mit Pieper an der Spitze zur Annahme eines Antrags im Europäischen Parlament voller unbegründeter Behauptungen, dass NGOs eine besonders problematische Kategorie unter den Empfängern von EU-Geldern darstellen. Es mangelt an Beweisen und Fakten und er zielt darauf ab, die Verantwortung für den Bestechungsskandal innerhalb des Parlaments auf den Nichtregierungssektor abzuwälzen. Das Problem sind jedoch nicht die Nichtregierungsorganisationen. Das Problem ist, dass die EU-Institutionen ihr Lobbyregister nicht wirklich durchsetzen. So konnte die NGO „Fight Impunity“ Veranstaltungen im Parlament abhalten, obwohl sie sich nicht ins Lobbyregister eingetragen hat. Das widerspricht den Regeln des Parlaments. Auch müssen Lobbyakteure eigentlich angeben, wenn sie Regierungen aus Staaten außerhalb der EU als Kunden haben. Es ist aber auffällig, dass diese im Transparenzregister nur sehr selten zu finden sind – wir gehen davon aus, dass Staaten wie Katar, Saudi-Arabien oder Aserbaidschan dauerhaft Lobbyarbeit bei den Institutionen betreiben. Hier müssten die EU-Institutionen endlich auf die Einhaltung der Regeln pochen.
Staaten nutzen Lobbyfirmen für ihre Einflussnahme
Recherchen unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) haben in vielen Studien zur Einflussnahme autoritärer Staaten gezeigt, dass diese hauptsächlich auf Lobbyfirmen und Anwaltskanzleien zurückgreifen, am zweitmeisten auf Denkfabriken. Von 128 Fällen fanden sie im Rahmen ihrer Recherchen nur in einem weiteren Fall eine NGO im Zentrum eines Skandals ausländischer Einflussnahme. Während wir also zustimmen, dass auch Nichtregierungsorganisationen als wichtige Akteure in pluralistischen Systemen zur Rechenschaft verpflichtet sind, ist es falsch, sie in irgendeiner Weise als besonders problematische Akteure zu brandmarken.
Leider scheint man in der EVP derzeit die rechten Mehrheiten im Parlament nutzen zu wollen, um nachzulegen und NGOs für so ziemlich jede politische Fehlentwicklung verantwortlich zu machen: In ihrem vorläufigen Arbeitsprogramm fordert die Partei eine gesetzliche NGO-Initiative zu Themen wie Drehtüren, Transparenz bei Finanzierung und Spenden, dem Kampf gegen Geldwäsche, Begrenzung ausländischer Einmischung und Transparenz ihrer Strukturen.
Bei der Entlastung des Haushalts 2023 geht es weiter: Hier fordert die CDU jetzt nicht nur explizit, was die EU für die Umwelt-Organisationen bereits umgesetzt hat – dass NGOs kein Geld für Lobbyarbeit erhalten dürfen. Sie will offenbar sogar, dass die Organisationen bereits darauf verwendetes Geld zurückzahlen müssen – obwohl ja in der Vergangenheit diese neuen Maßnahmen noch gar nicht galten.
Monika Hohlmeiers fragwürdige Rolle
Pikant dabei ist, dass ausgerechnet Monika Hohlmeier die Berichterstatterin ist und einen ziemlichen Anti-NGO-Feldzug führt. Sie ist Mitglied im Aufsichtsrat der Baywa und verdient damit 75.000 Euro im Jahr neben dem Mandat. Die Baywa wiederum ist Mitglied im Deutschen Bauernverband. Dort sitzt Hohlmeier zusammen mit Joachim Rukwied, dem Präsident des Bayerischen Bauernverbands. Auch ist Hohlmeier regelmäßig für den Bauernverband aktiv, sie organisierte z.B. 2019 ein Treffen von Vertretern des Bayerischen Bauernverbands mit Spitzenbeamten der Generaldirektion Umwelt, wie unser Lobbylexikon Lobbypedia zeigt. Und nun schwächt sie aktiv Organisationen, die politisch eine dem Bauernverband entgegengesetzte Meinung vertreten, z.B. zum Thema Pestizide.
CDU sollte bei ihren demokratischen Grundwerten bleiben
Wir beobachten gerade, wie demokratische Prinzipien an vielen Stellen hinterfragt oder aktiv geschwächt werden. Doch unterschiedliche politische Meinungen gehören zu unserer Demokratie und auch die Interessen der Zivilgesellschaft sollten einen festen Platz in der Politik haben. Sie mit unlauteren Mitteln zu schwächen, um die eigenen Interessen zu stärken, gehört sich für eine demokratische Partei nicht. Die CDU sollte im Kampf um Zustimmung nicht demokratische und bürgerliche Grundwerte aufs Spiel setzen – und damit die Feinde der Demokratie noch stärken.