Welche Änderungen müssen aus dem größten Skandal in der Geschichte des EU-Parlaments für die Verhaltensregeln der Abgeordneten folgen? Der Skandal hat gezeigt: Immer noch sind die Regeln lückenhaft und ihre Überprüfung und Durchsetzung völlig schwach. Das EU-Parlament muss also wirkliche Verbesserungen vorweisen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Vorschläge werden der Größe des Skandals nicht gerecht
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des CDU-Abgeordneten Rainer Wieland hatte seit Wochen über die notwendigen Neuerungen bei den Regeln diskutiert und sie am 18. Juli dem zuständigen Verfassungsausschuss im Europäischen Parlament vorgestellt. Herausgekommen ist ein Kompromiss, aber kein großer Wurf.
Es ist zwar erleichternd, dass die Abgeordneten nun in einigen Punkten Einigung erzielt haben. Die Vorschläge fallen allerdings deutlich hinter die 14 Punkte zurück, die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola kurz nach Bekanntwerden des Skandals vorgeschlagen hatte. Der Größe des Skandals werden sie nicht gerecht. Die Abgeordneten haben aber noch Möglichkeiten hier nachzubessern, denn final abgestimmt wird im Plenum erst im September oder Oktober.
Das EU-Parlament fasst seine Änderungsvorschläge zu Regeln oder Gesetzen in so genannte Berichte zusammen, die von einem Mitglied des Parlaments als Berichterstatter:in koordiniert werden. In diesem Fall ist das Gabriele Bischoff (SPD), daher werden die Vorschläge auch „Bischoff-Report“ genannt.
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Was ist gut an den Vorschlägen?
Abgeordnete sollen in Zukunft ihre Lobbytreffen offenlegen – sei es mit Lobbyist:innen oder mit Vertreter:innen der Behörden von Drittländern, einschließlich ihrer diplomatischen Vertretungen und Botschaften.
Das ist ein wichtiger Schritt, damit auch problematisches Lobbying durch andere Länder wie z.B. Katar, Marokko, Russland oder China zukünftig schneller sichtbar wird. Zur Erinnerung: Bei Katargate drehte es sich um mutmaßliche Bestechung und intransparente Lobbyarbeit im EU-Parlament durch Katar und Marokko.
Aber: Abgeordnete sollen Treffen nur dann veröffentlichen, wenn sie in dem Bereich eine aktive Rolle haben. Das ist ein immenses Schlupfloch, durch das sich unwillige Abgeordnete leicht der neuen Vorschrift entziehen können. Wir fordern die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf, diese völlig überflüssige Eingrenzung zu streichen!
In Zukunft sollen die Berichterstatter:innen in Form einer öffentlichen Liste dokumentieren, wer alles Lobbyarbeit zum von ihnen koordinierten Bericht geleistet hat.
Das wäre eine Art legislativer Fußabdruck für das Parlament und damit durchaus ein echter Transparenzgewinn. In Deutschland sind wir von so einem Fußabdruck für Abgeordnete noch weit entfernt.
Und was ist nicht gut?
Völlig unzureichend ist die Neuregelung der Nebentätigkeiten. Zwar werden die Nebenverdienste endlich in konkreten Zahlen angegeben statt in Stufen, aber ansonsten verschlechtert man mit der neuen Regelung die Transparenz sogar noch:
Statt ab dem ersten Euro müssen Nebentätigkeiten in Zukunft erst ab einer Untergrenze von 5.000 Euro im Jahr offengelegt werden.
Im Gesetzesvorschlag bleibt außerdem unklar, ob Abgeordnete Beteiligungen an Unternehmen deklarieren müssen oder nicht.
Vermögenswerte werden gar nicht erfasst.
Abgeordnete, die als Consultant, Freelancer oder Rechtsanwalt dazu verdienen, müssen weiterhin ihre Kunden nicht angeben, obwohl das vorübergehend in den Entwürfen stand.
Ein zweites Katargate verhindert man so nicht!
Bei Katargate wurden mutmaßlich große Mengen an Bargeld an Abgeordnete verteilt. Dies sollte in Zukunft in den Vermögenswerten sichtbar werden. In Deutschland sind diese Regeln schon besser: Hier müssen Abgeordnete immerhin Unternehmensbeteiligungen ab fünf Prozent der Gesamtanteile offenlegen. Das ist wichtig, denn Vermögenswerte und Unternehmensbeteiligungen können Interessenkonflikte schaffen.
Die besten Regeln helfen außerdem nicht, wenn sie wie bisher kaum kontrolliert werden. Das Gremium, das neben der Parlamentspräsidentin für die Kontrolle von Verstößen zuständig ist – das Advisory Committee – sollte ursprünglich deutlich gestärkt werden. Das Kontrollgremium hat zwar tatsächlich neue Aufgaben bekommen und soll zukünftig die Einhaltung des Verhaltenskodex beobachten und der Präsidentin Verstöße signalisieren.
Doch es wurde weder durch zusätzliches Personal verstärkt, noch werden den bisherigen Mitgliedern – aktiven Abgeordneten des Parlaments – unabhängige Expert:innen beiseite gestellt. Ob Parlamentarier:innen wirklich die Verstöße ihre Kolleg:innen der Präsidentin melden, bleibt anzuzweifeln. So wird das Gremium seinen neuen Aufgaben nicht gerecht werden können.
Änderungsanträge könnten zu echten Verbesserungen führen
Es liegen bereits verschiedene Änderungsanträge vor, die zu echten Verbesserungen führen könnten:
Das Advisory Committee soll durch unabhängige Expert:innen erweitert werden, die keine Parlamentarier:innen sind. Außerdem soll es klare Befugnisse zur eigenständigen Prüfung und Ermittlung und eine Ausstattung mit entsprechenden Ressourcen erhalten.
Die finanziellen Angaben sollen verbessert und Unternehmensbeteiligungen und Vermögenswerte einbezogen werden.
Abgeordnete, die neben dem Mandat selbstständig in beratender o.ä. Funktion tätig sind, sollen verpflichtet werden, die Identität ihrer Auftraggeber offenzulegen.
Lobbytreffen von Abgeordneten sollen alle offengelegt werden. Das Schlupfloch der „active role“ soll gestrichen werden.
Ob diese Änderungen alle ausreichend Mehrheiten im Europäischen Parlament bekommen, ist aber noch unklar. Bis zu den Abstimmungen werden wir Druck machen. Wir halten Sie auf dem Laufenden!
Gerichtsprozess lahmgelegt
Der Gerichtsprozess zum Skandal selbst ist derweil lahmgelegt. Der belgische Richter hat den Fall abgegeben, da ihm vom Anwalt des beschuldigten Europaabgeordneten Marc Tarabella ein Interessenkonflikt vorgeworfen wurde: Der Sohn des Richters betreibt gemeinsam mit dem Sohn einer der Verdächtigen ein Unternehmen für Cannabis-Produkte. Bisher wurde keine Anklage erhoben.
In dieser Phase kann dies bedeuten, dass der Korruptionsskandal nie richtig aufgeklärt wird. Die Abgeordneten Tarabella und Kaili planen sogar, wieder an Parlamentssitzungen teilzunehmen. Das darf nicht sein, denn Katargate hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen schwer erschüttert.