Lobbyismus in der EU

Nebeneinkünfte im EU-Parlament: Auskünfte unzureichend

Knapp ein Drittel der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments gehen bezahlten Nebentätigkeiten nach. Zugleich sind 21 der Interessenerklärungen der deutschen Europa-Abgeordneten unkorrekt. Neun Abgeordnete geben leere, nur mit Datum und Unterschrift versehene Formulare ab. Dies sind die Ergebnisse einer neuen LobbyControl-Studie ein Jahr nach dem Inkrafttreten eines neuen Verhaltenskodex für die Mitglieder des Europäischen Parlaments. […]
von 20. Februar 2013

Knapp ein Drittel der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments gehen bezahlten Nebentätigkeiten nach. Zugleich sind 21 der Interessenerklärungen der deutschen Europa-Abgeordneten unkorrekt. Neun Abgeordnete geben leere, nur mit Datum und Unterschrift versehene Formulare ab. Dies sind die Ergebnisse einer neuen LobbyControl-Studie ein Jahr nach dem Inkrafttreten eines neuen Verhaltenskodex für die Mitglieder des Europäischen Parlaments.

LobbyControl hat sich die Interessenerklärungen der 99 deutschen Abgeordneten angesehen. Wir wollten herausfinden: Wie hat sich der neue Verhaltenskodex, der im Zuge der Geld-für-Gesetze-Skandale von den Parlamentariern beschlossen wurde, ausgewirkt? Am 20. Februar hat sich auch der „Bericht aus Brüssel“ mit den Ergebnissen befasst. Das ARD-Studio Brüssel hat bei der Analyse der 99 Abgeordneten mit LobbyControl kooperiert.

Gesamtergebnis unserer Studie ist: Zwar stellt der neue Verhaltenskodex eine grundlegende Verbesserung dar (eine ausführliche Bewertung des Kodex durch LobbyControl finden Sie hier) – aber die Anwendung und Umsetzung des Kodex ist bisher ziemlich schwach. Nachbesserungen sind dringend nötig. Zur Erläuterung: Der Verhaltenskodex befasst sich mit verschiedenen Bereichen des Verhaltens von Abgeordneten, wie dem Annehmen von Geschenken oder der Frage, welche Nebentätigkeiten erlaubt sind. Ein Artikel (Artikel 4) widmet sich dezidiert den Erklärungen über finanzielle Interessen, die Abgeordnete bei der Parlamentsverwaltung zur Veröffentlichung einreichen müssen.

21% mit unkorrekten Angaben – keinerlei Kontrollen der Interessenerklärungen

Von 99 Abgeordneten machen 21 unkorrekte Angaben. Bei 19 fehlen Angaben über ihren Beruf vor dem Mandat, obwohl dies laut Leitfaden zum Verhaltenskodex alle eintragen müssten. Selbst die, die vorher schon Abgeordnete waren, sollen dies angeben. Deshalb kann es auch nicht richtig sein, dass insgesamt neun deutsche Abgeordnete Formulare abgeben, die nur mit Unterschrift und Datum versehen sind. Zwei Abgeordnete machen keine detaillierten Angaben zu ihren Reden, obwohl sie müssten – sie überschreiten mit den Einkünften durch ihre verschiedenen Reden die Grenze von 5.000 Euro jährlich, ab der detaillierte Angaben zu machen sind.

All diese rein formalen Fehler müsste die Parlamentsverwaltung entdecken – wenn sie die Erklärungen kontrollieren würde. Dies ist aber nicht der Fall. Sie werden nicht einmal auf ihre formale Richtigkeit gecheckt, sondern direkt eingescannt und hochgeladen. Und zwar in der jeweiligen Landessprache und oft sogar handschriftlich. So bleiben viele der Erklärungen für die Öffentlichkeit schwer zugänglich. Seiner Verpflichtung durch den Kodex, die Dokumente auf leicht zugängliche Weise auf der Website des Parlaments zu veröffentlichen, kommt das Parlament damit nicht nach. LobbyControl fordert, dass die Erklärungen in maschinenlesbarer und durchsuchbarer Form vorliegen und zumindest ins Englische übersetzt werden müssen. Außerdem muss die Parlamentsverwaltung sie mindestens auf ihre formale Korrektheit überprüfen.

Auch der „Beratende Ausschuss“, den sich das Parlament mit dem neuen Kodex gegeben hat, soll in diesen Tagen einen Bericht über das erste Jahr Verhaltenskodex herausgeben. Es wird erwartet, dass auch dieser für mehr Kontrollen der Interessenerklärungen plädiert.

Interessenkonflikte in allen Einkommenskategorien

Infografik-Nebeneinkuenfte-Europaabgeordnete_Feb2013

Ähnlich wie im Bundestag haben auch im Europäischen Parlament Abgeordnete der CDU/CSU die meisten Nebentätigkeiten: über 50% von ihnen gehen Nebentätigkeiten nach, bei der SPD sind es 17%. Auch die drei Spitzenverdiener ab 5.000 Euro monatlich gehören der CDU/CSU an. Bei zwei von ihnen sehen wir klares Potenzial für einen Interessenkonflikt. Dieses findet sich allerdings auch in praktisch allen anderen Einkommenskategorien.

Parlamentspräsident Martin Schulz vertritt allerdings die Meinung, dass der Kodex Interessenkonflikte transparent machen soll – verboten sind sie seines Erachtens nicht. Unserer Meinung nach gibt der Verhaltenskodex diese schwache Lesart des Beratenden Ausschusses nicht unbedingt her. Dass der Kodex Lobbytätigkeiten verbietet, zeigt ja auch, dass das Parlament eindeutigen Interessenkonflikten von Abgeordneten ein Ende setzen wollte. Aber der Beratende Ausschuss hat in seinem Leitfaden die Meinung vorgegeben, die Herr Schulz vertritt.

Diesen Beratenden Ausschuss hat das Parlament mit dem Kodex eingerichtet. Er besteht aus fünf Mitgliedern des Parlaments. Seine Aufgabe ist es, Abgeordneten auf Anfrage Orientierungshilfe beim Ausfüllen der Interessenerklärung zu geben und für den Parlamtentspräsidenten Fälle zu bewerten, wenn der Vorwurf eines Verstoßes vorliegt. Aus unserer Sicht sollten in dem Ausschuss auch unabhängige Experten sitzen.

Ausführungsbestimmungen stehen immer noch aus – solange bleiben Reisen auf Kosten von Lobbyisten intransparent

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Verhaltenskodex hat es das Parlament immer noch nicht geschafft, sich auf die Ausführungsbestimmungen zum Kodex zu einigen. Kernpunkt des Streits ist die Frage, ab welcher Höhe Reise-, Unterkunfts- und Aufenthaltskosten zu veröffentlichen sind, die durch Dritte gezahlt werden. Das ist ein skandalöser Zustand. Die Einladung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments zu „Studienreisen“ oder Vorträgen bei glanzvollen Veranstaltungen sind ein beliebtes Lobbyinstrument von Unternehmen. Aktuell lädt das Wasserwirtschafts-Unternehmen Suez Environment während der laufenden Debatten um die Vergabe von Wasserkonzessionen Abgeordnete zu einem „study-trip“ zu einer Tochterfirma nach Barcelona ein, Flug- und Hotelkosten inklusive. Im Europäischen Parlament war man so freundlich, uns diese Einladung weiterzureichen.

Angesichts derartiger Beispiele muss hinterfragt werden, warum eine große Gruppe von Abgeordneten diese Kosten erst ab 300 Euro veröffentlichen will, statt ab 150 Euro, wie andere Geschenke und Zuwendungen auch. Das Parlament muss diesen unhaltbaren Zustand dringend beenden und dafür sorgen, dass endlich eine Ausführungsbestimmung in Kraft tritt, die derartige Lobbyreisen ab 150 Euro transparent macht.

Gleich drei Abgeordnete in sechs Monaten, die Angaben verschwiegen haben

LobbyControl hat mit dieser Studie nicht untersucht, ob Abgeordnete Nebentätigkeiten verschweigen. Dazu wären intensivere Recherchen notwendig gewesen. Aber allein im vergangenen halben Jahr sind drei Fälle bekannt geworden, in denen Abgeordnete Tätigkeiten oder andere finanzielle Interessen verschwiegen haben:

  • Der ehemalige belgische Premierminister und heutiger EU-Parlamentarier Jean-Luc Dehaenes gab Aktienoptionen beim Brauereikonzern Anheuser-Busch Inbev im Wert von 5 Millionen Euro nicht an.
  • Der britische Abgeordnete und Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Malcolm Harbour, verschwieg seine Mitgliedschaft in der „Digital Policy Alliance“ (derzeit ist die Webseite nicht zugänglich), einer interfraktionellen Plattform, die den Gesetzgebungsprozess im IT-Bereich beeinflussen will.
  • Der deutsche EU-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff gab seine Mitgliedschaft im Vorstand der German European Security Association nicht an. Auch hierbei handelt es sich um eine Art interfraktionelle Plattform, die nach eigener Auskunft im Bereich der Sicherheitstechnik deutsche Interessen formulieren und gezielt in den europäischen Dialog einbringen will – eine andere Bezeichnung für Lobbyarbeit im Dienst der Sicherheitsindustrie.

Gleich drei Abgeordnete, die relevante Informationen über sich unter den Tisch fallen lassen – das zeigt, dass die Abgeordneten ihre Interessenerklärungen immer noch nicht ausreichend ernst nehmen. Die Fälle zeigen außerdem, dass mit dem Verhaltenskodex die Chance verpasst wurde, dafür zu sorgen, dass sich alle interfraktionellen Plattformen, so genannte „cross-party-groups“, die auf europäischer Ebene tätig sind, mit ihren Mitgliedern und der Herkunft ihrer Gelder beim Parlament registrieren müssen – auch hier muss nachgebessert werden.

Allerdings sollen auch die zahlreichen Abgeordneten nicht unter den Tisch fallen gelassen werden, die sehr sorgfältige Angaben gemacht haben – teilweise über die Anforderungen des Kodex hinaus. Das Parlament hatte den neuen Kodex mit einer breiten Mehrheit beschlossen, der zum Beispiel mit seiner Bestimmung eines Verbots von Lobbytätigkeiten dem Bundestag als Vorbild gelten kann. Jedoch bleibt auch ein grundsätzlich guter Kodex nur eine Farce, wenn es keine strikte Umsetzung und keine Kontrollen gibt.

Die gesamte Studie mit weiteren Details und Forderungen finden Sie hier.

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