Plagiate gibt es nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik: In Gesetzesvorlagen, Änderungsanträgen und Ausschussdokumenten finden sich häufig wörtlich übernommene Passagen aus Dokumenten interessierter Lobbygruppen. Selten ist für die Öffentlichkeit sichtbar, welche Formulierung von einem Abgeordneten oder Ministerialbeamten stammt und welche nicht. Das am Wochenende neu gestartete Projekt lobbyplag.eu möchte das ändern. Am Beispiel der aktuell heftig umkämpften EU-Datenschutzverordnung zeigt lobbyplag.eu, welche Änderungsvorschläge am Gesetzesentwurf von Unternehmen wie amazon oder eBay stammen.
In mühevoller Kleinarbeit haben die Macher eine Vielzahl von zum Teil nicht öffentlichen Positionspapieren gegengelesen und den Stellungnahmen der Parlamentsausschüsse gegenübergestellt. Die Dokumente zeigen eindrücklich, an wie vielen Stellen es Unternehmen und Verbänden gelungen ist, Formulierungen in offizielle Ausschussdokumente einzubringen. Inhaltlich geht es in den von der Industrie eingebrachten Passagen an vielen Stellen um eine Aufweichung hoher Datenschutzstandards, etwa bei der Frage der Nutzung von Daten, die in so genannten Clouds außerhalb der EU gespeichert sind. Hierzu hatte Amazon einen Formulierungsvorschlag gemacht.
Lobbyschlacht um einheitlichen Datenschutz in der EU
Die Lobby-Auseinandersetzung um einen einheitlichen EU-Datenschutzstandard dauert bereits seit geraumer Zeit an. Anfang letzten Jahres hatte die EU-Kommission ihren Vorschlag präsentiert. Mit der neuen Verordnung soll die bisherige Datenschutz-Richtlinie von 1995 ersetzt werden, die den Mitgliedstaaten erhebliche Freiräume bei der nationalen Ausgestaltung des Datenschutzes bot. Dass die Auseinandersetzung heftig ist, ist nicht verwunderlich, denn von der neuen Verordnung sind nicht nur die Unternehmen der Internetwirtschaft wie Facebook, eBay, Amazon und Google betroffen. Praktisch alle Unternehmen und Organisationen, die mit Kundendaten oder anderen personenbezogenen Daten zu tun haben, haben ein Interesse an mehr oder weniger ausgeprägten Datenschutzstandards. Das zeigt etwa das Lobby-Engagement der European Banking Federation.
EU-Parlamentarier berichten von massiver Einflussnahme
Etliche EU-Abgeordnete, wie etwa Jan Phillip Albrecht (Grüne), berichten von massiver Lobbyarbeit insbesondere der Industrie. Albrecht ist Berichterstatter für die Datenschutzverordnung im federführenden Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Inneres und Justiz (LIBE). Damit fällt ihm eine besondere Rolle bei der Willensbildung im EU-Parlament zu. Auf seiner Homepage beschreibt Albrecht seinen Eindruck der Lobby- und Kampagnenarbeit so: „Verschiedene Interessengruppen versuchen über das gängige Maß hinaus nicht nur Einfluss auf den Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments und die Schattenberichterstatter zu nehmen, sondern auch auf die weiteren Abgeordneten im federführenden LIBE-Ausschuss und in den mitberatenden Ausschüssen […]“ Einer dieser mitberatenden Ausschüsse ist der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO). Ausgerechnet die Stellungnahme dieses Ausschusses ist den lobbyplag-Dokumenten zufolge stark von der Handschrift der Unternehmenslobbyisten geprägt.
Transparenz ungenügend
Zwar stammen sicherlich nicht alle Formulierungen aus der Industrie, sondern einige auch von NGOs oder anderen Gruppen. Aber der bessere Zugang der Industrielobbys zu den EU-Abgeordneten und die weitaus größeren, für solche Lobbyarbeit notwendigen, Ressourcen, können zu einseitiger Interessendurchsetzung führen. Daher ist es gut, wenn lobbyplag.eu ein Schlaglicht auf die parlamentarische Praxis im EU-Parlament wirft. Richtig ist, dass die Öffentlichkeit nur sehr wenige Möglichkeiten hat, mehr über die Lobbyarbeit von Verbänden und Unternehmen in Brüssel – aber auch in Berlin – zu erfahren. Das zeigt die Notwendigkeit eines verpflichtenden Lobbyregisters sowohl dort als auch hier. Im freiwilligen EU-Register stehen immer noch nicht alle wichtigen Lobbyisten und Lobbyorganisationen. Bei denen, die drin stehen, kann man nur selten konkret nachvollziehen, welche Gesetze aktuell das Ziel der Aktivitäten sind und welche Lobbyagenturen und Anwaltskanzleien zusätzlich beauftragt wurden.
Ein kurzer Blick ins Register zeigt für die von lobbyplag.eu aufgelisteten Organisationen folgende Lobbyausgaben:
- Amazon: nicht registriert
- American Chamber of Commerce: 450.000 – 500.000 Euro (2011)
- Association of Consumer Credit Information Suppliers (ACCIS): weniger als 50.000 Euro (06/11-05/12)
- DIGITALEUROPE: 200.000 – 250.000 Euro (2011)
- eBay: weniger als 50.000 Euro (Q1-Q3 2011)
- Eurofinas: 100.000 – 150.000 Euro (2011)
- European Association of Internet Services Providers: 50.000 – 100.000 Euro (2012)
- European Banking Federation: 4,25 – 4,5 Mio. Euro (2012) – EBF in der Lobbypedia
- Facebook: 350.000 – 400.000 Euro (2012) – Facebook in der Lobbypedia
Amazon ist als einziges der neun von lobbyplag ins Visier genommenen Unternehmen bzw. Verbände nicht registriert. Auf Grund der unregelmäßigen Berichtsfristen sind jedoch nicht für alle Organisationen aktuelle Daten über Lobbyausgaben verfügbar. Außerdem kann aus den Daten nicht abgelesen werden, welcher Anteil der Lobbyausgaben, etwa bei dem Europäischen Bankenverband, einen Bezug zur Datenschutzverordnung hat. Das zeigt, dass die Eintragung in das EU-Transparenzregister verpflichtend werden muss und dass die Qualität und Aktualität der Daten deutlich besser werden muss, um tatsächlich mehr Transparenz in die Lobbyhauptstadt Europas zu bringen.
Ein aktuelles Interview mit Jan Phillip Albrecht hat der Initiator von lobbyplag.eu, Richard Gutjahr, in seinem Blog verlinkt.
Eine Einführung in die Brüsseler Lobbywelt bietet unser Stadtführer „LobbyPlanet Brüssel„.
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