Viele EU-Kommissare gelten als ausgesprochen konzernfreundlich. Der künftige Haushaltskommissar Günther Oettinger setzt noch einen oben drauf. 90 Prozent seiner Treffen fanden 2016 mit Firmenvertretern statt. Eine Firma mit Interesse an der Nabucco-Pipeline sponserte während seiner Zeit als Energiekommissar das von ihm organisierte Mini-Davos. Und mit dem Lobbyisten und Putin-Bekannten Klaus Mangold feierte er Geburtstag.
Günther Oettinger wechselt das Ressort. Seit Jahresanfang ist der CDU-Politiker nicht mehr EU-Digitalkommissar, übernimmt stattdessen den Posten als Haushaltskommissar, einer Schlüsselposition im Kollegium der EU-Kommissare. Am 9. Januar muss sich Oettinger allerdings noch einer Anhörung durch die Abgeordneten des Parlaments unterziehen. In einem gemeinsamen, heute veröffentlichten Brief an die EU-Parlamentarier fordern LobbyControl und andere Nichtregierungsorganisationen (u.a. Transparency International, Corporate Europe Observatory, European´s Women Lobby, Oxfam International) die Abgeordneten auf, Oettingers Ernennung nicht zuzustimmen.
Denn: Der Mann, der bald nicht nur für das wichtige Haushaltsbudget, sondern auch für die Einhaltung der Ethikregeln der EU-Mitarbeiter/innen zuständig sein soll, entspricht ziemlich genau dem Klischee des EU-Politikers, das viele Menschen derzeit kritisieren: Seine Beziehungen zur Industrie, die er eigentlich regulieren soll, sind viel zu eng. Und wenn es darum geht, mit seinen „Buddies“ aus der Wirtschaft zu netzwerken, nimmt er es mit seinen eigenen Ethikregeln schon mal nicht so genau.
Zugang zu Oettinger hat allein die Wirtschaft
Wie privilegiert Wirtschaftsinteressen bei ihm sind, zeigt allein schon die Liste seiner Lobbytreffen, die die EU-Kommissar/-innen seit 2014 veröffentlichen müssen und die LobbyControl ausgewertet hat: 2016 fanden über 90 Prozent seiner Treffen mit Wirtschaftsvertretern statt. Kein Kommissar weist einen höheren Wert aus, wie eine Auswertung von Transparency International´s Integrity Watch ergibt. Und nach Angaben von Alter-EU liegt der Durchschnitt der EU-Kommissare seit Dezember 2014 bei 75 Prozent. Bei Oettinger verteilen sich die restlichen knapp 10 Prozent der Lobbytreffen auf Denkfabriken, Stiftungen und Vertretern der Wissenschaft – sowie gerade mal einem Treffen mit einer internationalen Gewerkschaft. Unterzieht man auch die Thinktanks einer genaueren Prüfung, kann man sagen: 168 Treffen mit der Wirtschaft, 11 mit der Zivilgesellschaft.
Diese Statistik stimmt nachdenklich, war Oettinger doch als Digital-Kommissar mit Themen beschäftigt, die immense Auswirkungen auf die Verbraucher haben, wie Datenschutz, Roaming etc. In diesen Bereichen gibt es viele aktive NGOs und Verbände – doch keiner dieser Akteure findet sich auf Oettingers Lobbytreffen-Liste.
Oettingers Mini-Davos
Ein weiteres Anschauungsbeispiel für Oettingers Nähe zum großen Geld bietet das elitäre „Mini-Davos“. Jedes Jahr, wenn sich die Skisaison ihrem Ende zuneigt, lädt der amtierende Digital-Kommissar Günter Oettinger eine handverlesene Liste von Leuten in den exklusiven Wintersportort Lech in den österreichischen Alpen – zum „Europaforum Lech“. 2016 jährte sich das Event, auch „Oettingers Mini-Davos“ genannt, zum 5. Mal, diesmal unter dem Namen „Wirtschaft und Gesellschaft im digitalen Wandel“. Der Mini-Gipfel besteht aus Reden, Podiumsdiskussionen – und zahllosen Möglichkeiten, Oettinger oder einen der anderen hochrangigen EU-Beamten zu einem persönlichen Gespräch zur Seite zu nehmen – sei dies beim Willkommens-Dinner mit Weinen und Spezialitäten aus der Region, abends nach Programmende in der Sauna oder draußen an der Schneebar mit einem heißen Drink in der Hand.
Wer schafft es, eine solche Einladung zu ergattern? „Nur für Wirtschaftsvertreter“, scheint das Motto zu sein – und zwar die Führungsebene. Im vergangenen Jahr waren es vor allem Führungskräfte der Kommunikations- und IT-Branche wie Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter, Gavin Petterson, CEO von British Telecommunication plc., oder der Google-Chef für strategische Beziehungen für Europa, Afrika und den Mittleren Osten. Von Seiten der EU waren unter anderem Giovanni Buttarelli, EU-Datenschutz-Beauftragter, oder Wilhelm Molterer, der Geschäftsführer des Europäischen Fonds für strategische Investitionen, anwesend. Insgesamt zeigt die Teilnehmer/-innen-Liste 62 Vertreter/innen aus der Wirtschaft, fünf Politiker und etwa 12 hochrangige EU-Vertreter/-innen, so wie vier Vertreter aus dem akademischen Bereich. Ist es das, was Kommissionspräsident Juncker meinte, als er bei Amtsantritt in den Arbeitsmethoden für die EU-Kommissar/-innen festlegte, dass die Mitglieder der Kommission bei den Treffen mit Interessenvertretern eine angemessene Balance und Repräsentativität anstreben sollen?
Gesponsert von einem Energieunternehmen
Zu ihrer Verteidigung argumentiert die EU-Kommission, dass sie nicht für die Veranstaltung zahlt. Sie übernimmt „lediglich“ die Kosten für ihre eigenen Vertreter/-innen. Dennoch: Organisiert wird die Veranstaltung von Oettingers Generaldirektion. Muss die Organisation eines derart elitären und undemokratischen Events wirklich Aufgabe von EU-Beamten sein? Kein einziger Vertreter einer NGO oder eines Verbraucherschutzverbandes, der die Interessen der Zivilgesellschaft vertreten würde, ist geladen. Diese könnten sich den Aufenthalt auch gar nicht leisten. Denn die Teilnehmer/-innen zahlen selbst für Anreise und Aufenthalt für das Forum. Dieses findet im exklusiven Hotel Gasthof Post statt, wo die Zimmer bis zu 445 Euro pro Nacht kosten. Auch sonst ist Lech nicht gerade für seine günstigen Übernachtungsmöglichkeiten bekannt.
Wie wird das Forum finanziert: Wie das Magazin Politico herausgefunden hat, übernimmt die Gemeinde Lech die Organisation der Freizeitaktivitäten und die Veranstaltungsorte sowie die logistischen Aspekte. Dafür hat sie sich Sponsoren gesucht. Bislang unveröffentlichte Recherchen des Journalisten Sascha Adamek belegen, dass sie für 2012 und 2013 das österreichische Energie- und Gasunternehmen OMV dafür gewinnen konnten. Pikant: Damals war Mini-Davos-Organisator Oettinger noch Energiekommissar - und OMV wiederum zu dieser Zeit gleich an zwei Projekten interessiert, die in Oettingers Verantwortung als Energiekommissar fielen. Zum einen die Pläne für die milliardenschwere Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus dem kaspischen Raum nach Mitteleuropa bringen sollte und an denen OMV einen Anteil von 20 Prozent hatte. Zudem die Southstream-Pipeline, die russisches Ergas über das Schwarze Meer nach Mitteleuropa bringen sollte und an der OMV sich nach dem Nabucco-Aus beteiligen wollte. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Unternehmen über Sponsoring-Aktivitäten Zugang zu einem zentralen Entscheidungsträger verschafft.
Das nächste Europaforum Lech ist übrigens auf der offiziellen Webseite von Lech bereits für Mitte April angekündigt. Ob Oettinger dazu dann als Haushaltskommissar einlädt, ist unbekant.
Klaus Mangold – ein alter Freund von Oettinger
Ein Name auf der Teilnehmer/-innenliste des Forums hat in den vergangenen Wochen in Europa einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Klaus Mangold, der Lobbyist mit Verbindungen zum Kreml, der Oettinger im November in seinem Privatjet mit nach Budapest genommen hat. Anders als die EU-Kommission uns weismachen will, ist Mangold nicht einfach irgendein Berater der ungarischen Regierung, der zufällig zum genau richtigen Zeitpunkt für Günther Oettinger zur gleichen Konferenz nach Budapest geflogen ist. Nein, der Manager und Lobbyist mit Verbindungen zu Putin ist ein guter alter Bekannter von Oettinger.
Auf Bildern vom Europaforum Lech sitzt er am Sechsertisch direkt neben Oettinger. 2013 war Oettinger Gast bei Mangolds Geburtstagsparty auf dessen Gut in Münstertal. Und natürlich dürften sie sich bereits aus der Vergangenheit kennen: Von 2005 bis 2010 war Oettinger Ministerpräsident von Baden-Württemberg. In dieser Zeit war Mangold Mitglied im Vorstand von Daimler (1995 – 2013).
Viel zu schnell hat die EU-Kommission die Frage, ob Oettingers Flug mit Mangold im Mai 2016 gegen die Ethik- und Transparenzregeln verstoßen hat, vom Tisch gewischt. Es geht nicht nur um die Frage, ob Oettinger den Flug hätte annehmen dürfen. Mangold hatte zum Zeitpunkt des Fluges ein klares Interesse an einem Treffen mit einem EU-Entscheidungsträger – und ganz besonders an Oettinger. Beide waren am Zustandekommen des Paks II-Projekts beteiligt, bei dem ein russischer Staatskonzern zwei neue Reaktorblöcke nahe der ungarischen Stadt Paks baut und eine halbstaatliche russische Bank den entsprechenden Milliardenkredit gleich mitliefert. Mangold berät Medienberichten zufolge Ungarn zu dem Projekt, als Mitglied des Aufsichtsrates der Rothschild Bank beaufsichtigte er im Jahr 2013 die Ausarbeitung des Paks-Vertragsabkommens. Oettinger war Energiekommissar, als 2013 die vorläufige Entscheidung für das Projekt fiel. Erst später riss die EU-Kommission das Ruder herum und leitete Ende 2015 zwei Prüfverfahren gegen Ungarn ein. Das wären gute Gründe, Oettinger als Netzwerker einzuspannen, damit er in der Kommission für das Projekt wirbt. Im November wurde das Vertragsverletzungsverfahren nun aufgehoben.
Ethikregeln interessieren Oettinger nicht sonderlich
Mangold ist nicht im EU-Transparenzregister als Lobbyist eingetragen – Oettinger hätte ihn deshalb eigentlich gar nicht treffen dürfen, so geben es die neuen Transparenzregeln vor. Kein Wunder daher, dass er den Flug nicht als Lobbytreffen veröffentlicht hat. Transparenz- und Ethikregeln interessieren Oettinger nicht sonderlich, wenn es darum geht, die Strippen mit Wirtschaftsvertretern zu ziehen. Nachdem die Vorgabe in Kraft getreten war, dass die EU-Kommissare ihre Lobbytreffen innerhalb von zwei Wochen angeben müssen, haben wir bei Oettinger Monate auf seine Angaben gewartet. Das gleiche gilt für unsere Anfrage nach Herausgabe der Dokumente zum Europaforum Lech – im Juli haben wir angefragt, Mitte Dezember haben wir sie erhalten. Eigentlich sollte es zwei Wochen dauern, bis man die Dokumente erhält. Über die Sponsoren des Events erfahren wir nichts, obwohl wir ausdrücklich nach der Finanzierung gefragt haben. Nur dank der Recherchen von Politico und des Journalisten Sascha Adamek wissen wir darüber mehr.
Nicht verschwiegen werden soll hier auch, wie gern er als EU-Kommissar der (deutschen) Industrie zu Diensten ist. Als Energiekommissar berichtete er stolz an VW-Chef Martin Winterkorn, dass er die CO-2-Regulierung den Wünschen der deutschen Autoindustrie entsprechend verwässert habe. Die Befürworter der Netzneutralität nannte er einmal „taliban-ähnlich“. Seine unangemessenen Kommentare über chinesische Staatsbürger/-innen oder die Homoehe sind hier noch gar nicht erwähnt. In Oettingers Sicht scheinen Demokratie und Zivilgesellschaft manchmal eine Belästigung. Der EU-Observer formulierte es jüngst so: „In seiner Logik bedeutet good governance, große Konzerne zu fragen, was sie sich wünschen, und dann entsprechend zu handeln.“
Wenn Juncker ihn nun trotz all dem befördert, sollte er sich klar darüber sein, dass er damit genau den Typ Politiker in die erste Reihe stellt, den große Teile der Zivilgesellschaft gerade ziemlich kritisch sehen: Mit viel zu engen Kontakten zu denen, die er eigentlich regulieren soll. Und großzügig, was die Auslegung von Regeln für sich selber betrifft.
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