Ziel der geplanten Verordnung ist es, illegitime und intransparente Beeinflussung von Wahlen, Abstimmungen und demokratischer Meinungs- und Willensbildung durch Desinformation, Manipulation oder verdeckte Einflussnahme aus dem In- und Ausland zu verhindern. Die diskutierten Regelungen sollen für politische Werbung auf allen Kanälen gelten, also sowohl klassische Print-, Radio- oder TV-Werbung umfassen als auch auf digitalen Kanälen ausgespielte Inhalte.
Als „politisch“ soll Werbung dann gelten, wenn sie auf Wahlen, Abstimmungen oder auch einzelne Gesetzesinitiativen abzielt – eventuell sollen aber auch Werbekampagnen zu allgemeinen politischen Themen darunter fallen. Neben klassischer Wahlwerbung der Parteien und Kandidat:innen sollen auch politische Werbekampagnen von Unternehmen und Verbänden in den Blick genommen werden.
Das Ziel ist zum einen transparenter zu machen, wer hinter einzelnen Werbekampagnen steckt und auch, wie viel Geld dafür ausgegeben wird. Zum anderen sollen für politische Werbung im digitalen Raum spezielle Regeln gelten, was eine zielgruppenspezifische Ansprache auf Grundlage personenbezogener Daten betrifft (sogenanntes Mikrotargeting). Ob Mikrotargeting bei politischer Werbung nicht besser komplett verboten werden sollte, auch darüber wird noch verhandelt, mehr dazu unten.
Politische Werbung kann Teil der Lobbystrategie von Verbänden, Unternehmen und anderen Lobbyakteuren sein. Wir haben strengere Regeln für politische Werbung in den vergangen Jahren aus unterschiedlichen Anlässen eingefordert, vom Cambridge Analytica-Skandal über die millionenschweren AfD-Unterstützungskampagnen, die diffamierende Anti-Grünen Kampagne „Grüner Mist“ bis hin zur Image-Kampagne von Amazon, die wir kürzlich kritisierten.
Daher unterstützen wir das Anliegen hinter der geplanten Verordnung. Dennoch muss auf einige kritische Punkte genau geachtet werden: Ziel muss es sein, wirkungsvolle und zugleich angemessene Regeln einzuführen, die eine lebendige und vielfältige politische Debatte auch in Wahlkampfzeiten und im digitalen Raum nicht behindern.
Aktuell warnt ein Bündnis von Organisationen wie Wikimedia und Denkfabriken wie der Stiftung Neue Veantwortung in einem von der Plattform D64 initierten offenen Brief an die zuständigen Ministerien davor, genau in dieser Hinsicht mit der Verordnung nicht übers Ziel hinauszuschießen.
Was sieht die geplante Verordnung genau vor?
In allen Details ist allerdings noch nicht klar, wie die Verordnung am Ende aussehen wird. Ab Januar 2023 verhandeln die drei EU-Institutionen EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischer Rat zunächst über eine gemeinsame Position im sogenannten Trilog-Verfahren.
Die EU-Kommission hatte ihren Entwurf bereits im letzten Jahr veröffentlicht. Der Rat, also die Regierungen der EU-Staaten, haben ihre Position letzte Woche beschlossen. Das Parlament wird erst im nächsten Jahr seine Änderungswünsche finalisieren. Einzelne Änderungsanträge liegen aber bereits vor.
Zentral sieht der Verordnungsentwurf vor, für die gesamte Europäische Union und alle politischen Ebenen, also auch beispielsweise für Landtagswahlkämpfe, gleiche Standards für politische Werbung einzuführen. Definiert werden soll politische Werbung dabei grob gesagt auf zweierlei Weise: Über die Absender und über die Inhalte. Für bestimmte, in der Verordnung als „politisch“ definierte Akteure, würde jede Werbung automatisch als „politische Werbung“ gelten. Bei anderen Absendern wird dagegen auf den Inhalt, die Zielsetzung und den Kontext geschaut, in der die Werbung geschaltet wird.
Die Definition dessen, was geregelt werden soll, ist entscheidend für die Reichweite und Wirkungsweise des Gesetzes. Das einer der Punkte, an dem es noch unterschiedliche Positionen gibt – und an dem sehr genau gearbeitet werden sollte, damit die politische Zielsetzung auch tatsächlich erreicht wird.
Werbung als Dienstleistung
Einer andere wichtige Frage ist, ob politische Werbung und ihre Ausspielung ausschließlich dann reguliert werden soll, wenn dies als entgeltliche Dienstleistung erfolgt. Dieser Punkt bereitet den erwähnten zivilgesellschaftlichen Organisationen vor allem Sorgen. Denn wenn kein Dienstleister dazwischen geschaltet ist, könnte auch die direkte politische Kommunikation von Organisationen und Verbänden betroffen sein, beispielsweise in den sozialen Medien.
Die Sozialdemokrat:innen im federführend zuständigen Binnenmarktausschuss IMCO haben daher in ihrem Änderungsantrag dem Formulierungsvorschlag der EU-Kommission noch explizit „as a service“ an der entscheidenden Stelle hinzugefügt. Die Verordnung würde damit klar nur für Fälle gelten, in denen die Werbung über einen Dienstleister ausgespielt wird.
Der Rat wiederum möchte den Kommissionsvorschlag in die andere Richtung ändern. Er schlägt vor, die Zielsetzung so zu formulieren, dass die Ausspielung politischer Werbung unter Nutzung von personenbezogenen Daten auf jeden Fall reguliert werden soll - unabhängig davon, ob es sich um eine Dienstleistung handelt. Das kann für bestimmte Fälle sinnvoll sein, aber genau hier fürchten die Unterzeichnenden des offenen Briefs eine mögliche „Gleichstellung von bezahlter politischer Werbung und unbezahlten politischen Meinungsäußerungen“, was selbstverständlich nicht zielführend wäre.
Wir fordern die EU-Institutionen und die Bundesregierung deshalb auf, bei der Formulierung der Zielsetzung und der Definitionen der Regelung äußerst sorgfältig vorzugehen. Sie sollten die Bedenken der Zivilgesellschaft ernst nehmen und gründlich unbeabsichtigte Auswirkungen der Verordnung prüfen.
Wie politisch muss Werbung sein, um als politisch zu gelten?
Ob als rein entgeltliche Dienstleistung oder nicht: Der Gesetzgeber steht vor der Herausforderung, möglichst klar festzulegen, wann Werbung in die Kategorie „politisch“ fällt. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, das einerseits daran festzumachen, von wem die Werbung stammt, und andererseits was sie beinhaltet.
Der Kommissionsvorschlag sieht dabei vor, dass Werbung dann als politisch zu gelten hat, wenn sie „geeignet ist, das Ergebnis einer Wahl oder eines Referendums, einen Rechtsetzungs- oder Regulierungsprozess oder ein Abstimmungsverhalten zu beeinflussen“. Damit wären explizite Wahlwerbung sowie Kampagnen rund um Volksabstimmungen ganz klar betroffen. Hier ist der Kontext auch relativ einfach festzustellen. Bei Werbung zu einzelnen Gesetzen oder Regulierungsprozessen dürfte in der Praxis in vielen Fällen mehr Interpretationsspielraum bestehen. Vor allem dann, wenn das möglicherweise betroffene Gesetz nicht direkt erwähnt wird.
Ein Änderungsantrag aus dem Parlament sieht hier vor, die Definition noch zu erweitern und auf Werbung auszudehnen, die die „öffentliche Meinung zu breiten gesellschaftlichen Themen“ beeinflussen soll. Das erscheint durchaus sinnvoll, da Lobbyakteure eher selten explizit zu einzelnen Gesetzen oder Regulierungsprozessen Werbung schalten. Die Beeinflussung des Meinungsklimas zu wichtigen Grundsatzfragen steht aber durchaus auf ihrer Agenda.
Targeting mit sensiblen Daten sollte verboten werden
Ein anderer Streitpunkt betrifft die Nutzung von Targeting-Techniken. Der Rat möchte an diesem Punkt die Nutzung sogenannter sensibler Daten eingeschränkt ermöglichen. Die Unterzeichner:innen des offenen Briefs und voraussichtlich auch das Parlament sprechen sich dagegen für ein vollständiges Verbot von Mikrotargeting auf Basis solcher Daten aus. Dazu gehören beispielsweise Informationen über sexuelle Orientierung, Geschlecht, Herkunft, religiöse oder ethnische Zugehörigkeit oder Gesundheit.
Gerade bei politischer Werbung bestehen besondere Gefahren, wenn die Botschaften nur an Menschen mit ganz bestimmten Merkmalen herangetragen werden. Dies verletzt das Recht von Menschen, unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften oder ihrer Identität Informationen über politische Themen zu erhalten. Die Gefahr von Filter-Blasen und gesellschaftlicher Polarisierung steigt so noch mehr.
Der EU-Datenschutzbeauftragte legte in seiner Stellungnahme den EU-Organen daher „dringend nahe […] ein vollständiges Verbot von Mikrotargeting zu politischen Zwecken“ vorzusehen.
Der gerade erst von der EU beschlossene Digital Services Act enthält eigentlich bereits ein Verbot der Nutzung persönlicher sensibler Daten für Targeting bei Werbung ganz allgemein. Dass nun ausgerechnet bei politischer Werbung nach dem Willen des Rats davon abgewichen werden soll, ist hochgradig fragwürdig. Wir unterstützen daher die Forderung, Mikrotargeting bei politischer Werbung vollständig zu verbieten.
Welche Angaben müssen die Herausgeber politischer Werbung machen?
Wie und welche Informationen zu einer politischen Werbung durch Werbe-Dienstleister und auf der Werbung selbst bereitgestellt werden müssen, ist ebenfalls noch nicht in allen Details festgelegt.
Jede politische Werbung, egal ob on- oder offline, muss aber mindestens als solche gekennzeichnet werden und der Urheber muss transparent angegeben werden. Zusätzlich soll es zu jeder einzelnen Werbeanzeige eine sogenannte Transparenzmitteilung geben, zu der von der Werbung aus verlinkt oder per QR-Code verwiesen wird. In dieser Mitteilung sollen dann weitere Informationen enthalten sein, etwa dazu, zu welcher Kampagne die Werbung gehört und wie viel sie insgesamt gekostet hat.
Angegeben werden soll auch, wenn der Urheber der Werbung letztlich von einer anderen Organisation oder Unternehmen kontrolliert wird. Damit soll verhindert werden, dass die eigentlichen Auftraggeber einer politischen Werbekampagne unsichtbar bleiben. Ob das wirklich gelingt, wird von der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der Regeln abhängen,.
In jedem Fall dürfte die Transparenz über politische Werbung, und wie viel Unternehmen und Verbände dafür aufwenden, deutlich steigen. Mikrotargeting und andere datenbezogene Verbreitungstechniken würden zumindest eingeschränkt.
Durchsetzung und Sanktionen
Damit dies tatsächlich gelingt, braucht es effektive Mittel, die Regeln auch durchzusetzen. Dafür sind kompetentes Personal und gut ausgestattete Stellen in den Mitgliedstaaten nötig, in denen die Werbung ausgespielt wird. Dies können die im Digital Services Act vorgesehenen Digital Services-Koordinatoren sein. Bei Verstößen gegen die Vorschriften sind Bußgelder vorgesehen, die sich am Jahresumsatz bzw. Jahreseinkommen der Herausgeber der Werbung oder, je nach Fallkonstellation, der Dienstleister bemisst.
Für den deutschen Kontext ist besonders interessant, dass auch der Ampel-Koalitionsvertrag eine Regelung für sogenannte Drittkampagnen vorsieht. Damit sind Kampagnen in Wahlkämpfen gemeint, die nicht von den politischen Parteien selbst durchgeführt werden, sondern von Dritten zu Gunsten einer antretenden Partei. Das war in Deutschland in mehreren Landtags- und Bundestagswahlkämpfen bei der AfD der Fall. Über einen Verein wurden millionenschwere Kampagnen abgewickelt, die formal nicht der AfD zugerechnet wurden, so dass die Transparenzregeln des deutschen Parteienrechts umgangen wurden.
Über diese Aktivitäten hatten wir vielfach berichtet und eine strengere Regelung angemahnt. Ziel sollte es daher sein, solche anonyme Einflussnahme auf Wahlkämpfe künftig zu verhindern. Die nun auf europäischer Ebene diskutierte Regelung scheint dafür noch nicht ganz auszureichen. Woher die Gelder für die Wahlwerbung genau kamen, wäre mit den aktuell vorliegenden Vorschlägen immer noch nicht zweifelsfrei sichtbar.
Die Ampel-Koalition sollte sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die EU-Verordnung auf der einen Seite wirksam ist, auf der anderen aber einen lebendigen und vielfältigen öffentlichen Diskurs zu politischen Fragen und auch Wahlkampfzeiten nicht einschränkt. Sollte die europäische Regelung aber nicht ausreichen, um Drittkampagnen wie die des AfD-Unterstützervereins wirklich zu unterbinden, sollte sie ergänzende Regelungen speziell für Wahlwerbung einführen. Die EU-Verordnung böte dafür einen guten Anknüpfungspunkt.
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