Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben den Verbraucherschutz beim Thema Finanzberatung torpediert. Eigentlich gab es im Wirtschaftsausschuss einen Kompromiss, dass Provisionen für Finanzprodukte in Zukunft an die Kunden weitergeleitet werden müssen. In letzter Minute brachten die Sozialdemokraten einen mündlichen Antrag ein, der diese Neuregelung aushebelte. Konservative und Liberale stimmten diesem Antrag zugunsten der Banken zu. Das Ganze hatte etwas von einer Nacht-und-Nebel-Aktion und man fragt sich, welche Lobbyisten da im letzten Moment ihre Finger im Spiel hatten.
Das Problem: Fehlberatung durch Provisionen
Darum ging es konkret: Im Rahmen der Finanzmarktrichtlinie “Mifid II” (Markets in Financial Instruments Directive) werden auch Vertrieb und Beratung von Finanzprodukten neu geregelt. Seit langem kritisieren Verbraucherschützer, dass Provisionen zu massiven Fehlberatungen führen. Denn Banken setzen ihre Berater unter Druck, die Produkte mit den höchsten Provisionen zu verkaufen – auch wenn sie gar nicht zu den Kunden passen. Unter den geltenden Regeln rechnen Verbraucherschützer mit einem volkswirtschaftlichen Schaden durch provisionsgeleitete Fehlberatung von bis zu 98 Milliarden Euro jährlich alleine in Deutschland. Auch der Chef der EU-Marktaufsichtsbehörde ESMA Steven Majoor hatte sich im September im Ausschuss für Wirtschaft und Währung nachdrücklich für starke Maßnahmen zur Veränderung der Marktstruktur im Interesse der VerbraucherInnen ausgesprochen.
Ein Krimi im Europaparlament
Es scheint sich ein Krimi im Europäischen Parlament ereignet zu haben: Wenige Tage vor der Verabschiedung im Ausschuss hatten sich der zuständige Berichterstatter Markus Ferber (CSU) und die anderen Parteien nach langem Streit auf einen Kompromiss geeinigt. Am Montag, 24.9.2012, hatten alle Parteien der Weitergabe der Provisionen an die Kunden zugestimmt. Auch Berichterstatter Markus Ferber, der zuvor nur für Transparenz der Provisionen geworben hatte, gab eine zustimmende Pressemitteilung zu dem Kompromiss heraus.
Am 26.9. in der Ausschusssitzung dann, stellten die europäischen Sozialdemokraten in letzter Minute einen mündlichen Antrag, ein “und” gegen ein “oder” auszutauschen. Ein kleines Wort mit großer Wirkung. Der ursprüngliche Kompromiss sah vor, dass Provisionen offen gelegt werden und an die Kunden weitergeleitet werden müssen. Durch das „oder“ können die Banken die Provisionen jetzt nur offen legen, ohne sie weiterzuleiten. Die Pflicht zur Offenlegung gab es schon vorher, aus Sicht der Verbraucherschützer hat sie aber nicht funktioniert. Der Antrag der Sozialdemokratien (S&D) wurde mit den Stimmen der Konservativen (EVP) und Liberalen (ALDE) angenommen.
Wird das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet, kann die durch Provisionen getriebene Fehlberatung durch Banken ungestört weiter laufen. Noch besteht allerdings die Chance, dieses Ergebnis bei der Verabschiedung der Richtlinie durch das gesamte Europäische Parlament zurückzunehmen. Die Abstimmung soll in der dritten Oktoberwoche erfolgen.
Welche Rolle spielte die Finanzlobby?
Wie kam es zu dieser Änderung in letzter Minute, hatte man sich doch zuvor bereits geeinigt? Auch der Tagesspiegel bezeichnet den Vorgang als „ungewöhnlich“. Der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold hatte schon frühzeitig angekündigt, die Finanzlobby werde gegen das Vorhaben „Sturm laufen“. Nach der Ausschussitzung hatte sich unter anderem der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) erleichtert geäußert – stellvertretend für den Gesamtverband Die deutsche Kreditwirtschaft.
Die Abstimmung bietet auch formal Ungewöhnliches: Mündliche Anträge werden normalerweise von einer Person als Antragsteller im Ausschuss verlesen. Das war in diesem Fall nicht so. Auch in der Abstimmungsliste findet sich leider kein Name eines oder einer Abgeordneten, sondern die ganze Fraktion der Sozialdemokraten als Antragsteller. Wollte keiner der Abgeordneten die Verantwortung für diesen Antrag zugunsten der Banken übernehmen?
Wir versuchen herauszufinden, was zwischen der ursprünglichen Einigung am Montag und der Ausschussitzung am Mittwoch geschehen ist. Außerdem sollten Sozialdemokraten, Konservative und Liberale ihre Entscheidung revidieren. Gerade der deutschen SPD steht diese Nacht-und-Nebel-Aktion im Sinne der Banken nicht gut zu Gesicht – gibt sie sich doch in Deutschland gerade als Verteidiger der Verbraucher/innen gegen die Banken.
Mehr Informationen über das Wirken der Finanzlobby in Brüssel gibt es auch im neuen LobbyPlanet Brüssel, unserem lobbykritischen Stadtführer.
Foto: Wikimedia, Fotograf: Rama, Lizenz: CeCILL
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