Verbraucher_innen oder doch lieber die Interessen der Banken schützen? Bei den Provisionen für Finanzprodukte haben sich die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament für die Interessen der Banken entschieden. Mit dabei die SPD-Abgeordneten und die deutschen Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken. Am Freitag wird im Plenum des Europaparlaments endgültig abgestimmt – eine Gelegenheit, vorher Ihre Wahlkreisabgeordneten zu kontaktieren.
Konkret geht es um die Frage: Sollen Provisionen für den Verkauf von Finanzprodukten verboten bzw. wenigstens an die Kund_innen weitergereicht werden? Verbraucherschützer kritisieren seit Langem, dass Provisionen zu massiven Fehlberatungen führen – LobbyControl berichtete. Die Fraktionen hatten zunächst einen Kompromiss ausgehandelt, Provisionen an die Kunden weiterzugeben. Zwei Tage später, in der Sitzung des federführenden Ausschusses am 26.September, löste die sozialdemokratische Fraktion den Kompromiss wieder auf – mit einem geschickten Antrag, der lediglich ein „und“ durch ein „oder“ ersetzte. Mit den Stimmen von Konservativen und Liberalen wurde die Weitergabe der Provision damit von einer Pflicht zu einer möglichen Option heruntergestuft.
Keiner will es gewesen sein
Wer diesen Antrag eingebracht hat, konnte LobbyControl trotz zahlreicher Nachforschungen und Anfragen bis jetzt nicht herausfinden. Die Geschichte bleibt nebulös und keiner will es gewesen sein.
In der Abstimmungsliste findet sich nur der Name der „S&D“-Fraktion (die sozialdemokratische Fraktion in Europa) als Antragsteller. Auf schriftliche Anfragen nach dem konkreten Antragsteller gab uns weder der zuständige Berichterstatter, Markus Ferber, noch der so genannte „Schattenberichterstatter“ (der für die betreffende Richtlinie Zuständige) der S&D-Fraktion, der FranzoseLuxemburger Robert Goebbels, eine Antwort. Auch die beiden deutschen sozialdemokratischen Mitglieder im Ausschuss, Udo Bullmann und Peter Simon, beantworteten uns diese Frage nicht.
Auf der Seite der Lobby haben sich die Sparkassen und Volksbanken gegen die Abschaffung oder Weitergabe der Provisionen stark gemacht. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) bekennt auf Anfrage jedenfalls offen, dass man „insbesondere mit den deutschen Abgeordneten im (zuständigen Ausschuss) ECON in einem ständigen Meinungsaustausch zu allen dort behandelten Fragen“ stehe.
Der DSGV macht in seiner Antwort auch klar, dass er sich „bei den in den letzten Monaten, so auch im September 2012, mehrfach stattgefundenen persönlichen, elektronischen und schriftlichen Kontakten“ klar gegen eine Weitergabe von Provisionen ausgesprochen habe: „Deshalb haben wir angeregt, die Weitergabe nicht verpflichtend auszugestalten.“
Den Antrag aus der S&D-Fraktion könne man allerdings leider „nicht kausal auf unsere Argumentation zurückführen“, so der Pressesprecher etwas ausweichend. Der Bundesverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) macht ebenfalls keinen Hehl daraus, dass er seine Argumente „wiederholt vorgetragen“ habe, antwortet ansonsten aber noch ausweichender.
Fakt ist, dass Bullmann, der auch der Vorsitzende der Delegation der deutschen SPD-Abgeordneten ist, sich immer wieder für die Sparkassen stark macht, zum Beispiel in der Frage der Bankenaufsicht oder der Bankenunion. Beiden, Bullmann und Simon, wird eine aktive Rolle in den Verhandlungen um die Frage der Provisionen nachgesagt. Letzten Endes lässt sich aber nicht nachweisen, wie es genau zu diesem Antrag kam und welche Rolle die beiden deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten dabei spielten.
Deutsche und französische SPD-Abgeordnete wollen Fraktionszwang für klare Mehrheiten gegen ein Provisionsverbot
Es herrscht wohl ziemlicher Aufruhr bei der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament. Nicht alle „S&D“-Abgeordneten waren mit dem Ergebnis der Sitzung im Econ-Ausschuss zufrieden. Verbraucherschutzorganisationen hatten es heftig kritisiert. Die Labour-Abgeordnete Arlene McCarthy (Mitglied der S&D-Fraktion) hatte letzte Woche gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen erneuten Antrag eingebracht, der Provisionen auf den Verkauf von Finanzprodukten ganz verbieten sollte. Die erforderlichen 40 Stimmen, um zur Abstimmung zu kommen, und viele mehr hatte sie erhalten – unter anderem etwa 20 davon von sozialdemokratischen Abgeordneten.
Wie LobbyControl erfahren hat, wurde nach einer Debatte in der sozialdemokratischen Fraktion beschlossen, die Abstimmung für die einzelnen Abgeordneten nicht frei zu geben. Die sozialdemokratischen Abgeordneten sollen geschlossen gegen diesen Antrag aus den eigenen Reihen stimmen. Die treibenden Kräfte hinter dieser Entscheidung waren nach unseren Informationen die deutschen und die französischen Abgeordneten – zur Erinnerung: Udo Bullmann ist der Leiter der deutschen SPD-Delegation.
Lobby macht noch einmal kräftig Druck
Auch die Banken machen nochmal kräftig Druck: Vor zwei Tagen hat ein Bündnis der europäischen Bankenverbände einen Brief an die zuständigen Berichterstatter aller Fraktionen sowie an alle „S&D“-Abgeordneten verfasst, indem sie dazu auffordern, sich gegen den Antrag für ein Verbot von Provisionen einzusetzen. Der DSGV hatte bereits am 10.Oktober einen Brief an die Abgeordneten verfasst, in dem er seine Argumente für die provisionsbasierte Finanzberatung nannte.
Die Verbraucherschutzorganisationen machen ihrerseits Druck für ein Verbot der Provisionen. Der Europäische Verbraucherverband BEUC hat am 23.10. einen Brief an alle Abgeordneten geschickt, den Antrag auf ein Verbot der Provisionen zu unterstützen. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale hat am 23.10. einen Brief mit dem gleichen Tenor an alle deutschen Abgeordneten geschrieben. Die Briefe sind auch eine gute Lektüre, um die grundlegenden inhaltlichen Argumente nachzulesen.
Noch bis Freitag Zeit, die Abgeordneten zu fragen
Am Freitag wird das ganze Thema im Rahmen der Finanzmarktrichtlinie „Mifid II“ im Plenum verabschiedet. Nutzen Sie die Zeit, um die Europa-Abgeordneten aus Ihrer Region zu fragen, wie sie sich zu der Frage der Provisionen positionieren, warum und mit welchen Lobbyisten sie in dieser Sache Kontakt hatten. Auf der Seite von Abgeordnetenwatch für das Europäische Parlament können Sie die Abgeordneten online befragen oder sich den oder die zuständige_n Abgeordnete_n Ihres Wahlkreises heraussuchen. Es wäre gut, wenn die Europaabgeordneten merken, dass diese Abstimmung genauer beobachtet wird. Abgeordnetenwatch will auch das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten dokumentieren.
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