Diese Woche reist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Antwerpen, um den unternehmensfreundlichen „Clean Industrial Deal“ vor über 300 Unternehmensvertreter:innen vorzustellen. Dieser ist ein weiterer Meilenstein in der aktuellen Agenda der EU-Kommission, in der sie vor allem auf Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau setzt.
Es droht eine Abkehr und Rücknahme vieler Regeln zum Schutz der Umwelt, der Beschäftigten und der Verbraucher:innen. Wirtschaftsverbände und Unternehmen haben für diese Agenda sehr viel Druck gemacht. Das zeigt sich auch an ihren Lobbybudgets.
Lobby-Ausgaben steigen kräftig
Eine neue Analyse von Corporate Europe Observatory und LobbyControl zeigt: Die Ausgaben der Wirtschaftslobby haben ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Ein Blick auf die „Tabellenspitze“ macht deutlich: Allein die Akteure, die Lobbyausgaben ab einer Million Euro jährlich angeben, haben ihre Lobbybudgets seit 2020 um ein Drittel erhöht, seit dem vergangenen Jahr um 41 Millionen Euro. Dieser Ausgabenanstieg spiegelt sich in der Deregulierungs-Agenda der zweiten von der Leyen-Kommission wider.
Die Untersuchung basiert auf Daten unserer Datenplattform LobbyFacts. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehören:
Gesamtausgaben für Lobbyarbeit: Die 162 Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die im EU-Transparenzregister Lobbybudgets ab 1 Million Euro pro Jahr angeben, haben zusammen im vergangenen Jahr mindestens 343 Millionen Euro für Lobbyarbeit ausgegeben.
Jährlicher Anstieg: Dies entspricht einem Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Fünfjähriges Wachstum: Seit 2020 haben diese Unternehmen fast 86 Millionen Euro mehr angegeben, was einem Anstieg von einem Drittel über fünf Jahre entspricht.
Unterschätzung: Diese Zahlen sind wahrscheinlich stark unterschätzt, wie in der Analyse erläutert. (Stand der Daten: 8. Februar 2025).
Wer gibt am meisten aus?
Die Branchen mit den höchsten Angaben unter den registrierten Unternehmen mit Lobbybudgets von 1 Million Euro oder mehr sind Big Tech (67 Millionen Euro, darunter Meta, Microsoft); Banken und Finanzen (53,75 Millionen Euro, darunter Association for Financial Markets in Europe, European Banking Federation); Energie (45 Millionen Euro, darunter FuelsEurope und Shell); Chemie und Agrarindustrie (45 Millionen Euro, darunter European Chemical Industry Council, Bayer); branchenübergreifende Handelsverbände (26,25 Millionen Euro, darunter BusinessEurope, Bundesverband der Deutschen Industrie); und Pharma (21,75 Millionen Euro, darunter European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations, Novartis).
Die hohen Lobbyausgaben der Konzerne machen finanziellen Förderungsbedarf der Zivilgesellschaft umso deutlicher
In den vergangenen Wochen hat die christdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament - allen voran die deutsche CDU/CSU – erbittert die finanzielle Förderung der Lobbyarbeit von Umweltorganisationen bekämpft. Es ging um das „LIFE-Programm“, aus dem 15 Millionen Euro direkt in die Arbeit von Organisationen fließen, die sich in Brüssel und Straßburg für Klima und Naturschutz starkmachen (LobbyControl berichtete).
Ausdrücklich geht es der EU mit dem Programm auch darum, solche Akteure zu beteiligen, um die Interessen der finanziell stärkeren Wirtschaftsakteure auszubalancieren. Angesichts der Hunderten von Millionen Euro, die diese für ihre Lobbyarbeit ausgeben können, wirkt es umso irritierender, dass die CDU/CSU der Zivilgesellschaft ihre Gelder streitig machen will.
Was ist der Clean Industrial Deal?
Vielen Unternehmen und großen Industrieverbänden missfallen die vielen neuen Vorschriften, die die EU-Kommission in der letzten Wahlperiode geschaffen hat: Sei das bei der Regulierung der Big-Tech-Konzerne oder den Gesetzen, die den Klimaschutz und die Energiewende voranbringen sollen („Green Deal“): Schon seit einiger Zeit formiert sich dagegen Widerstand.
Mit einer breit angelegten Lobbykampagne ist es vor allem den europäischen Wirtschaftsverbänden gelungen, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen (LobbyControl berichtete). Im vergangenen Jahr lud der Europäische Chemieverband CEFIC zahlreiche Unternehmen und die Kommissionspräsidentin zu einem Treffen nach Antwerpen. Auf dem Gelände der BASF verpflichtete sich Kommissionspräsidentin von der Leyen, einen „Clean Industrial Deal“ zu schaffen, der zahlreiche Forderungen der Industrie für Subventionen, Deregulierung und Entbürokratisierung enthält. Umwelt- oder Verbraucherschützer waren nicht geladen (LobbyControl berichtete).
Weniger Schutz für Umwelt und Verbraucher:innen?
Der Ruf nach mehr Wettbewerbsfähigkeit klingt zunächst harmlos. Doch ein genauerer Blick zeigt, wie problematisch die Folgen eines undifferenzierten Rufs nach mehr Wettbewerbsfähigkeit sein können. Denn vor allem die großen Wirtschaftsverbände verstehen darunter niedrigere Steuern und weniger gesetzliche Regeln für Unternehmen in Europa. Eine Agenda der Wettbewerbsfähigkeit im Sinne der Industrieverbände könnte damit zu weniger Regeln zum Schutz der Umwelt, der Beschäftigten und der Verbraucher:innen führen, statt zu einer mittelfristig innovationsfähigeren Wirtschaft.
Rechte Mehrheiten im Parlament machen Druck für Deregulierung
Am 26.2. wird von der Leyen nun die Vorschläge der EU-Kommission den Unternehmer:innen vorstellen. Und schon seit Monaten arbeitet die EU-Kommission unter Hochdruck an zahlreichen neuen Maßnahmen und Instrumenten für Bürokratieabbau und Deregulierung. Die Chancen auf Umsetzung für die Wunschzettel der Industrie standen lange nicht mehr so gut: Die Christdemokraten im EU-Parlament arbeiten bereits Hand in Hand mit den rechten Parteien daran, bereits beschlossene Regeln zurückzudrehen und zu verwässern.
Wer mehr darüber lesen will, was die Akteure der einzelnen Sektoren erreichen wollen, kann das in unserer gemeinsamen Analyse mit CEO nachlesen.
Zum Weiterlesen:
Die Daten zu unserer Analyse finden Sie hier: