Lobbyismus in der EU

Weiterhin fragwürdige Nebentätigkeiten im EU-Parlament

Nach wie vor sitzen Abgeordnete mit problematischen Nebentätigkeiten im EU-Parlament. Das zeigt unsere neue Studie zu den Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Eine Überarbeitung des Verhaltenskodex für Parlamentarier ist längst überfällig.
von 18. Juni 2015

Eine Studie von LobbyControl, Corporate Europe Observatory und Friends of the Earth Europe zeigt: Nach wie vor sitzen Abgeordnete mit problematischen Nebentätigkeiten im EU-Parlament. Wir fordern, den Verhaltenskodex zu überarbeiten und alle Nebentätigkeiten in Unternehmen und Verbänden zu verbieten, die Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen betreiben.

Klare Regeln zu Nebentätigkeiten fehlen

Das Bild zeigt das Titelbild unserer neuen Studie zu Nebentätigkeiten von Abgeordneten des EU-Parlaments.

Das Bild zeigt das Titelbild unserer neuen Studie zu Nebentätigkeiten von Abgeordneten des EU-Parlaments.

Drei Jahre ist der Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete jetzt in Kraft. Das neu gewählte EU-Parlament ist das erste, das er von Anfang an reguliert. 2012 hatte sich das Parlament den Kodex gegeben, nachdem es von einem Lobbyskandal erschüttert wurde: Mehrere Abgeordnete hatten sich bereit erklärt, für eine größere Geldsumme Änderungsanträge ins Parlament einzubringen. Der Kodex war ein enormer Schritt, gab es vorher doch fast gar keine Regeln für Abgeordnete im EU-Parlament.

Er hat zur Folge, dass Abgeordnete detaillierte Angaben über ihre Nebentätigkeiten und – einkünfte veröffentlichen müssen. Allerdings besteht hier noch Nachbesserungsbedarf. Auf einer generellen Ebene regelt der Verhaltenskodex auch, wie Abgeordnete mit Interessenkonflikten umgehen sollen. Was fehlt, sind klare Regeln, die bestimmte Nebentätigkeiten ausschließen, sowie eine echte Umsetzung des Verhaltenskodex.

Mangelhafte Umsetzung durch Parlamentspräsident Martin Schulz

Erst im vergangenen Jahr zeigten wir in einer weiteren Studie die unzureichende Umsetzung des Kodex. Alle Verstöße gegen ihn blieben bisher folgenlos. Auch ist Parlamentspräsident Martin Schulz der Meinung, es reiche, Interessenkonfikte transparent zu machen, man müsse nicht gegen sie vorgehen. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder aufgezeigt, dass weiterhin viele Abgeordnete mit ihren Nebentätigkeiten mindestens potentiellen Interessenkonflikten unterliegen.

Abgeordnete mit fragwürdigen Nebentätigkeiten

Diese Tradition setzt sich im neuen Parlament leider fort. Wir weisen in unserer Studie auf neun Abgeordnete mit problematischen Nebentätigkeiten hin. Es handelt sich unter anderem um:

  • Birgit Collin-Langen (Deutschland): Sie sitzt im RWE-Regionalbeirat. Dieses Gremium stand in Deutschland schon vor einigen Jahren in der Kritik. Mitglieder sind häufig Kommunalpolitiker/-innen, gerade in Kommunen mit RWE-Anteilen. Was dort aber genau besprochen wird, ist unklar, die Mitglieder erhalten eine Vergütung von etwa 7.000 Euro jährlich. Das ist nicht besonders viel, trotzdem fragt man sich, was die ehemalige Bürgermeisterin von Bingen heute noch in diesem Gremium tut, erst recht, da sie im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments Thesen vertreten hat, die im Interesse von RWE liegen dürften.
  • Rachida Dati (Frankreich): Sie ist bereits in der vergangenen Wahlperiode aufgefallen. Als Anwältin verdient sie mehr als 10.000 Euro im Monat. Die Interessenerklärung gibt leider keinen Aufschluss darüber, wo sie genau als Anwältin arbeitet, wer ihre Kunden sind und wie viel sie genau im Monat verdient. Als Bürgermeisterin eines Verwaltungsbezirks in Paris unterliegt sie dort strengeren Veröffentlichungspflichten, die zeigen, dass sie beispielsweise 2012 €704.000 und 2013 €205.000 als Anwältin verdient hat.  Französische Medien kolportierten, sie habe als Beraterin für das Energieunternehmen GdF Suez gearbeitet. Der Beratende Ausschuss, ein Gremium, das den Parlamentspräsidenten und die EU-Abgeordneten in Sachen Verhaltenskodex berät, hatte vorgeschlagen, sie genaueren Untersuchungen zu unterziehen.  Aber soweit ersichtlich, ist kaum etwas passiert. Kürzlich erreichte uns ein Brief aus Präsident Schulz‘ Kabinett, dass Dati ihre Interessenserklärung ergänzt habe und zu sehen sei, dass sie bereits früher als Anwältin gearbeitet hat. Damit sehe man keinen weiteren Anhaltspunkt, dass mit ihrer Interessenerklärung etwas nicht in Ordnung sei.
  • Michal Boni arbeitet zugleich als Experte und Berater für den polnischen Unternehmerverband Lewiatan, ein Mitglied des mächtigen europäischen Unternehmerverbandes „BusinessEurope“ und selbst im Lobbyregister eingetragen. Er verdient €1.000 – €5.000 durch diese Nebentätigkeit.
  • Renato Soru ist Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer des italienischen Kommunikationsunternehmens Tiscali. Er verdient laut Interessenerklärung über €10.000 im Monat sowie weitere €500 – €1.000 durch Anteile an seinem Unternehmen.
  • Der britische Tory-Abgeordnete Nirj Deva ist Vorsitzender im Aufsichtsrat Symphony Plastic Technologies PLC und verdient dadurch €1.000- €5.000 monatlich, des Weiteren hat er Anteile an dem Unternehmen, durch die er ebenfalls €1.000 – €5.000 monatlich verdient. Die Firma ist Hersteller biologisch abbaubarer Plastiktüten. Laut britischen Medienberichten ist es seinem Engagement und dem zwei weiterer, ehemaliger Torie-Abgeordneter zu verdanken, dass das Verbot dieser Plastiktüten im Rat auf britisches Betreiben aus der Richtlinie genommen wurde.  Die zwei anderen Tory-Abgeordneten sind auch für das Unternehmen tätig.

Unsere Forderungen zum Verhaltenskodex

Die von uns vorgestellten Fällen zeigen erneut, dass sowohl eine Reform als auch eine effektive Umsetzung des Verhaltenskodex überfällig sind. Unsere Forderungen an das Parlament sind unter anderem:

  1. Wir brauchen eine klare Definition davon, wann Nebentätigkeiten von Abgeordneten einen Interessenkonflikt darstellen. Dazu sollte ein Verbot von Positionen in Unternehmen, Verbänden oder anderen Lobbygruppen gehören, die Einfluss auf die EU-Gesetzgebung nehmen.
  2. Anders als bisher sollten Abgeordnete keine externe Unterstützung Dritter annehmen dürfen, zum Beispiel in Form von Personal.
  3. Abgeordnete sollten konkretere Angaben zu ihren Nebeneinkünften machen. Alle Einkünfte über 10.000 Euro müssen offen gelegt werden, unklare Tätigkeitsbezeichnungen wie „Anwalt“ oder „Berater“ müssen näher beschrieben werden.
  4. Die Zusammensetzung des Beratungsausschusses zum Verhaltenskodex muss geändert werden. Darin sollten unabhängige Expertinnen und Experten aufgenommen werden und der Ausschuss sollte befähigt werden, mögliche Interessenkonflikte unabhängig zu untersuchen.
  5. Der Verhaltenskodex bedarf einer deutlich aktiveren Umsetzung.

Parlamentspräsident Schulz spielt hier eine wichtige Rolle. Das gilt vor allem für die aktivere Umsetzung, die ein erster wichtiger Schritt ist, um dafür zu sorgen, dass fragwürdige Nebentätigkeiten auch Konsequenzen haben.

 

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