Der Eklat um die Kaufprämie hat in den letzten Tagen gezeigt: Die Machtverhältnisse im Autoland Deutschland haben sich verschoben. Die Bundesregierung muss ihren Kuschelkurs mit der Autolobby nun endgültig beenden und neue Wege einschlagen. In ausgewogenen, offenen und transparenten Debatten sollte sie dem Gemeinwohl Vorrang vor einseitigen Lobbyinteressen geben – ob bei weiteren Beratungen über Hilfen und Lastenverteilung in der Corona-Krise oder bei der Ausarbeitung einer klimafreundlichen Mobilitätswende. Bilanz und Ausblick unserer Arbeit zum Autogipfel und der Kaufprämien-Debatte.
Eine erfreuliche Absage
Das kommt nicht alle Tage vor. Letzte Woche forderten wir gemeinsam mit vielen Unterstützer:innen Wirtschaftsminister Altmaier und Kanzlerin Angela Merkel auf, den Autogipfel abzusagen. Und schon am gleichen Abend erreichte uns die Eilmeldung, der Gipfel sei gecancelt. Das war ein schöner Erfolg – selbstverständlich nicht nur unserer Arbeit. In den Wochen zuvor war die Kritik am Krisenklüngel der Bundesregierung vielstimmig und laut.
Folgerichtig erteilte die Bundesregierung nun auch der Autolobby mit ihrer Forderung nach einer Verbrenner-Kaufprämie eine Abfuhr: Im Konjunkturpaket fehlt sie. Das zeigt: Wenn die Bundesregierung ihre offenen Pforten für mächtige Lobbygruppen schließt, scheint sie mehr Gehör zu haben für andere gesellschaftliche Anliegen. Die Art und Weise, wie ein politischer Entscheidungsprozess organisiert ist, hat direkte Auswirkungen auf die Politikergebnisse. Oder in Kurzform: Einseitige Lobbyrunden verhindern heißt auch einseitige Politikergebnisse verhindern.
Das heißt nicht, dass das Konjunkturpaket nun der ganz große Wurf in Richtung Mobilitätswende ist. Der Umweltverband BUND kritisiert beispielsweise, dass der Zuschuss für Elektroautos eine „Kaufprämie durch die Hintertür“ sei. Schließlich gelte diese auch für Plug-in-Hybride, also Autos mit Tankklappe und Ladekabel. Da das Ladekabel aber in der Praxis kaum verwendet würde, seien diese Autos keineswegs klimafreundlich.
Gemeinsam den Durchmarsch der Autolobby verhindert
Dennoch wurde der große Durchmarsch der Autolobby beim Konjunkturpaket verhindert. Der Protest gegen den Krisenklüngel zwischen Bundesregierung und Autolobby und deren dreiste Forderung nach einer Verbrenner-Kaufprämie war so groß wie selten. Neben breiter Kritik aus Wissenschaft, Wirtschaft und Parteien hatten Umwelt- und Verbraucherschutzgruppen in den vergangenen Tagen an vielen Orten Protestaktionen und Demonstrationen organisiert.
Noch am Tag vor der Einigung des Koalitionsausschusses auf das Konjunkturpaket gab es eine Menschenkette vom Kanzleramt bis zum Autolobbyverband VDA, bei der auch wir dabei waren. Rückendeckung gaben uns die über 35.000 Unterstützer:innen unseres Online-Appells „Corona-Hilfen: Keine Vorfahrt für die Autolobby“. Herzlichen Dank dafür!
Am Ende waren es offenbar die SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die bei ihrem Nein zur Verbrenner-Kaufprämie blieben. Doch ohne den breiten zivilgesellschaftlichen Druck wäre dies sehr viel schwieriger geworden. Die Machtverhältnisse im Autoland Deutschland haben sich in diesen Tagen ein kleines Stückchen verschoben.
Institutionalisierter Lobbyismus: Die „Konzertierte Aktion Mobilität“
Auch in Zukunft wird es keine Selbstverständlichkeit mehr sein, dass die Bundesregierung tut, was die Autoindustrie von ihr verlangt. Das ist gut so. Und doch sind weitere Autogipfel geplant. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert war der letzte Autogipfel ohnehin gar nicht abgesagt, sondern nur verschoben. Das ist nicht ganz falsch, denn der geplante Autogipfel ist Teil institutionalisierter Lobbygespräche zwischen Bundesregierung und Autoindustrie.
Die Autogipfel finden im Rahmen der „Konzertierten Aktion Mobilität" statt, die bereits seit März 2019 verschiedene Autogipfel organisiert hat – in immer ähnlicher Zusammensetzung: Regierungsvertreter:innen, Autoindustrie und IG Metall. Zusätzlich soll noch ein weiteres Gremium eingerichtet werden – ein Transformationsdialog. Auch dieses Regierungsgremium ist genauso unausgewogen besetzt wie die Autogipfel, wie uns ein Regierungsprecher mitteilte.
Doch wie soll ein einseitig besetztes Gremium über die Transformation der Autobranche beraten, wenn viele Stimmen gar nicht angehört werden? Zumindest signalisierte Regierungssprecher Seibert nach der Absage des letzten Autogipfels, dass ihm zivilgesellschaftliche Vorschläge wichtig seien. Wir hätten da einen konkreten Vorschlag: Lösen Sie die bisherigen einseitig besetzten Gremien auf!
Wendepunkte: Wie geht es weiter?
Der Eklat um die Kaufprämie und dem allzu engen Krisenklüngel könnte zu einem Wendepunkt werden – und zwar in gleich mehreren Bereichen:
- Ausgewogene Beratungen über Corona-Hilfen und Lastenverteilung
Der Absprachen der Bundesregierung mit der Autolobby in der Corona-Krise haben gezeigt, wie es nicht laufen sollte. Hier braucht es Veränderungen: Schluss mit einseitigen Klüngelrunden mit mächtigen Lobbygruppen. Wir brauchen offene, transparente und ausgewogene Debatten. Dabei gilt es viele Stimmen anzuhören, gesellschaftliche Anliegen gegeneinander abzuwägen und auch besonders auf diejenigen zuzugehen, die keine mächtigen Lobbyapparate haben.
Zu diesen Stimmen zählen zivilgesellschaftliche Akteure, Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachgebieten oder auch mittelständische Unternehmen. Hier sollte die Bundesregierung abkehren von veralteten Formen der Politikbeteiligung durch einseitig besetzte Expertenrunden. Stattdessen kann die Bundesregierung neue Formen von Beteiligung erproben.
- Mobilität und Klima
Verkehrspolitik ist mehr als einfach nur Politik zur Förderung der deutschen Autoindustrie. Das hat die Debatte um die Kaufprämie noch einmal deutlich gezeigt. Verkehrsverbände und Umweltverbände waren empört darüber, dass die Autoindustrie Exklusiv-Treffen bekam, während sie noch nicht einmal in großer Runde zu Beratungen eingeladen wurden.
Die Autoindustrie befindet sich schon länger in der Krise – und steht vor einem großen Umbruch, wenn es um die Entwicklung zukunftsfester Mobilitätslösungen geht. Verkehrspolitik muss Klima-, Mobilitäts- und Innovationspolitik zugleich sein. Und das heißt auch: Keine privilegierten Zugänge für nur einen Verkehrsträger. Keine thematische Beschränkung auf die Förderung der Autoindustrie.
Für den Klimaschutz wird der Verkehrssektor gerade in den nächsten Monaten und Jahren eine entscheidende Rolle spielen. In der Vergangenheit hat sich die Autoindustrie gemeinsam mit der Bundesregierung vor allem als Bremser in Sachen Klimaschutz hervorgetan, siehe zum Beispiel die Verhandlungen über CO2-Grenzwerte. Auch hier steht ein Wendepunkt an: Die Bundesregierung muss endlich den Klimaschutz vor einseitige Lobbyinteressen stellen.
- Weichenstellung auf europäischer Ebene
Fast unbemerkt von der deutschen Debatte legte auch die Europäische Kommission Ende Mai einen ersten Vorschlag für ein europäisches Konjunkturpaket vor. Vor allem in Sachen Klimaschutz gab es viel Lob von Umweltverbänden. Allein der Vorschlag für europäische Kaufprämien für Neuwagen sorgte für Irritationen, auch wenn hier zumindest vorgesehen ist, dass diese nur für „saubere Autos“ gelten sollten.
Mit ihrem Vorschlag für einen Green Deal, der die Europäische Union im Jahr 2050 klimaneutral machen soll, hatte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch vor der Corona-Krise weit nach vorne gewagt. In der Corona-Krise geriet ihr Vorschlag nun von vielen Seiten unter Beschuss, erste Vorhaben haben sich bereits verzögert.
Während der Green Deal auch strengere CO2-Grenzwerte für Autos vorgesehen hatte, drängt die Bundesregierung hier nun auf Zurückhaltung. Der europäische Auto-Lobbyverband ACEA schlug sogar vor, die bestehenden Grenzwerte aufzuweichen. Kurzum: In Sachen Auto, Klima und Lobbyismus wird in den nächsten Wochen auch auf europäischer Ebene einiges passieren.
Gemeinwohl statt Lobbymacht
Der Abwehrkampf um den Krisenklüngel zwischen Autolobby und Bundesregierung ist zunächst entschieden. Doch weitere Auseinandersetzungen und Debatten stehen bevor – in Berlin wie in Brüssel, um die Lastenverteilung in der Corona-Krise oder Klimaschutz und Mobilität. Wir werden genau hinschauen und uns weiter einmischen, damit das Gemeinwohl Vorrang vor einseitigen Lobbyforderungen hat.
Fotos: Christian Mang/LobbyControl
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