Lobbyismus und Klima

Autolobby und Bundesregierung blasen zum Angriff auf geplante EU-Abgasnorm

Die EU-Kommission hat einen ersten Vorschlag für eine neue Abgasnorm für Autos vorgelegt – und die Autolobby und der CDU-nahe Lobbyverband Wirtschaftsrat blasen zum Angriff. Unterstützung bekommt die Autolobby aus der Politik: Bundeskanzlerin Merkel will eine neue Arbeitsgruppe aus Autolobby und Politik einrichten, um die europäischen Pläne zu verhindern. Das ist kein guter Rahmen, um über Klimaschutz und zukünftige Mobilität zu beraten.
von 30. November 2020

Die EU-Kommission hat einen ersten Vorschlag für eine neue Abgasnorm für Autos vorgelegt - und die Autolobby und der CDU-nahe Lobbyverband Wirtschaftsrat blasen zum Angriff. Die Pläne sollen dem Umwelt- und Klimaschutz dienen, doch die Autoindustrie fürchtet um ihr Geschäftsmodell Verbrennungsmotor. Unterstützung bekommt die Autolobby aus der Politik: Bundeskanzlerin Merkel will eine neue Arbeitsgruppe aus Autoindustrie, Gewerkschaften und Politik einrichten, um die europäischen Pläne zu verhindern. Das ist kein guter Rahmen, um über Klimaschutz und zukünftige Mobilität zu beraten.

Boillot/LobbyControl - CC-BY-NC-ND 4.0
"Keine Vorfahrt für die Autolobby" - Klimastreik im September 2020, Foto: Florian Boillot/Lobbycontrol

Neue Schadstoffwerte gegen Luftverschmutzung

Es handele sich um "eine Kriegserklärung an den Verbrennungsmotor", wird ein Insider aus der Autobranche zitiert. Es geht um einen Vorschlag für die Euro 7-Abgasnorm, bei der der Schadstoffausstoß von PKWs neu geregelt werden soll. Dazu hatte die EU-Kommission letzte Woche einen Vorschlag einer ihrer Expertengruppen vorgelegt. Die Euro 6-Norm stammt noch aus dem Jahr 2014. Die EU-Abgasnorm legt fest, wie viele Luftschadstoffe Autos ausstoßen dürfen und stand im Mittelpunkt des Diesel-Skandals.

Sie ist zu unterscheiden von den CO2-Grenzwerten, die die EU ebenfalls festlegt und nächstes Jahr neu diskutieren will. Zwischen dem Dieselskandal und den strengeren Grenzwerten besteht eine enge Verbindung: Ab Mitte der 90er-Jahre statteten Autohersteller ihre schwereren Limousinen mit Dieseltechnologie aus. Denn diese ist effizienter im Verbrauch. Dafür trägt sie jedoch stärker zur Luftverschmutzung bei, vor allem in den Innenstädten.

Alte Testbedingungen extrem verwässert

Die Expertengruppe "Advisory Group on Vehicle Emission Standards" (eine Unterarbeitsgruppe der "Working Group on Motor Vehicles") hat jetzt zum einen neue, strengere Werte für Stickstoffoxide und Kohlenmonoxid vorgeschlagen. Zum anderen sollen die Bedingungen für den Messbetrieb auf der Straße (und nicht im Labor) strenger werden, der mit einem mobilen Messgerät die Einhaltung der Grenzwerte auch im Fahrbetrieb misst.

Zur Erinnerung: Dem von der Kommission seit langem vorgeschlagenen Real Driving Emissions (RDE)-Test hatte die Bundesregierung zähneknirschend erst nach Bekanntwerden des Dieselskandals zugestimmt. Denn der Skandal entstand, weil die Autoindustrie die laxen Testbedingungen der Labortests mit so genannter "Schummelsoftware" ausgenutzt hatte. Für den RDE-Test hatte die Autoindustrie bis ins kleinste Detail bestehende Vorschläge für Testbedingungen verändert– sie verkleinerten die Temperaturspanne für die Messungen, sie schlossen einen Kaltstart des Motors genauso aus wie den Gebrauch des Scheibenwischers. Durch einen "Konformitätsfaktor" dürfen die Werte außerdem noch bis 2021 um 110 Prozent überschritten werden, danach immerhin noch um 50 Prozent (LobbyControl berichtete).

VDA und Wirtschaftsrat gehen auf Angriff

Der Vorschlag der Expertengruppe muss nun erst einmal zu einem Vorschlag der EU-Kommission gemacht werden, den dann im Laufe des nächsten Jahres Parlament und Rat beraten werden. Aber Wirtschaftsrat und VDA bringen sich schon jetzt in Stellung: Bei den neuen Werten handele es sich um das faktische Ende von Diesel und Verbrenner, erklärte Hildegard Müller vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Man betreibe hier eine "Verbotspolitik durch die Hintertür".

Der CDU-nahe Lobbyverband Wirtschaftsrat nannte die Vorschläge der Expertengruppe "völlig weltfremd" und warnte vor einer "Zerstörung der europäischen Autoindustrie". Der Wirtschaftsrat, in dem VDA-Chefin Müller im Präsidium sitzt, forderte nun ein Bündnis mit anderen europäischen Ländern, um die Pläne abzuwehren. Der Verband ist ein wichtiges Scharnier, um Wirtschaftsinteressen an Unionspolitiker:innen heranzutragen.

Bei der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament stoßen diese Warnungen offenbar auf offene Ohren: In einem Brief an Kommissionschefin Ursula von der Leyen warnt sie vor dem Wegfall von bis 400.000 Arbeitsplätzen allein in der deutschen Autoindustrie. Einen direkten Angriff auf den für den Green Deal zuständigen EU-Kommissar Frans Timmermans startete der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper: „Timmermans Vorschlag könne aus der NGO-Feder der Deutschen Umwelthilfe von Greenpeace entstammen. Das hat mit seriöser wissenschaftlicher Bewertung nichts zu tun.“

Expertengruppe war gut mit Autoindustrie besetzt

Das ist schon ganz schön unter der Gürtellinie. Und im Übrigen stammt der Vorschlag ja aus der Feder einer Expertengruppe, nicht von Timmermans. Auf EU-Ebene sind die Mitglieder von Expertengruppen in einem öffentlichen Register aufgelistet. Mitglieder sind dort unter anderem Daimler, BMW, Volkswagen und der VDA. Unter den etwa 80 beteiligten Organisationen finden sich etwa 65 Unternehmen und Unternehmensverbände, sie wird von diesen also dominiert.

In dieser Konstellation ist es erstaunlich, dass dabei ein für die deutsche Autoindustrie scheinbar so ungünstiges Ergebnis herauskommt. Nicht alle halten denn auch das Ergebnis der Arbeitsgruppe für so überambitioniert. So erklärt etwa der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer in der Zeitschrift Autobild, einige Dieselmodelle würden die angedachten Stickoxidwerte bereits erreichen. Auch seien die Grenzwerte in China - einem wichtigen Absatzmarkt für die deutsche Autoindustrie - wesentlich strenger.

Merkel will permanenten Gesprächskanal nach Brüssel

Kanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, den Protest nun zur Chefsache zu machen und einen "permanenten Gesprächskanal" mit Brüssel einzurichten. Sie will dazu dem Fernsehsender ntv zufolge eine Arbeitsgruppe aus VDA, Gewerkschaften, der Bundesregierung sowie der Nationalen Plattform Mobilität gründen. Das ist genau dieselbe Zusammensetzung wie die exklusiven Runden der mehrmals jährlich stattfindenden Autogipfel. Die Besetzung ist einseitig, weil Umwelt- und Verbraucherverbände nicht dabei sind bzw. nur sehr indirekt über die Nationale Plattform Mobilität eingebunden sind.

Der Austausch soll laut Merkel "sehr eng" werden, "sodass wir schon von vornherein sagen, was machbar ist im Sinne des Klimaschutzes, aber was eben vielleicht auch eine strukturpolitische Maßnahme ist, die muss man dann auch beim Wort nennen". Mit anderen Worten: Merkel richtet einen eigenen Lobbykanal für die deutsche Autoindustrie ein, der nach Brüssel reicht. Klimaschutz, Verbraucherbelange oder Fragen zukünftiger Mobilität scheinen dabei nicht im Fokus zu stehen - angesichts der einseitigen Besetzung ist das kein Wunder. Das ist eine problematische Form der Einflussnahme.

Autoindustrie richtet sich auf Elektromotor ein

Das kommende Jahr wird für die Autoindustrie mit Neuregelung der Abgasnorm und der CO2-Grenzwerten sicherlich ein spannendes. Man muss sich allerdings auch fragen, für wen der VDA sich so enorm ins Zeug legt. Audi, BMW und VW z.B. sind längst dabei, im großen Stil auf die Produktion des Elektromotors umzusteigen. Verbrennungsmotoren werden wohl auch in der nahen Zukunft hergestellt werden, aber sie verlieren auch für die deutsche Autoindustrie an Bedeutung. Es erscheint nicht sehr zukunftsorientiert, dass die Bundesregierung nun noch ein eigenes Lobbygremium einrichtet, um den Verbrennungsmotor am Leben zu halten. Statt einseitiger Lobbykanäle sollte die Bundesregierung lieber Gespräche in breiterem Rahmen suchen - und dabei auch den Klimaschutz und Verbraucherinteressen in den Fokus rücken.

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