Unter Lobbyismus sind in der Regel Aktivitäten gemeint wie das Schreiben von Gesetzesänderungen, exklusive Veranstaltungen von Unternehmen, um Politiker:innen zu umgarnen, oder auch einfach nur Lobbygespräche. In unserer Studie „Pipelines in die Politik – die Macht der Gaslobby in Deutschland“ zeigen wir: Lobbyist:innen und PR-Profis beeinflussen die politische Debatte auch, indem sie gezielt bestimmte Erzählungen bzw. „Narrative“ erarbeiten. Mit diesen wollen sie die Deutungshoheit bei einem politischen Thema erlangen oder die Debatte in die gewünschte Richtung drehen. Wir erklären hier, wie diese Narrative der Gasindustrie entstanden, worauf sie beruhen und welche politische Wirkung sie entfalten.
Gaslobby-Studie
Dieser Artikel ist die Kurzfassung des Kapitels „Sauberes Erdgas, Brückentechnologie und Co: Die Erzählungen der Gaslobby“ aus unserer Studie.
Narrative sind mächtig und werden von PR-Profis gezielt erarbeitet
PR-Profis entwickelneingängige Begriffe oder Bilder, die eine bestimmte Perspektive liefern oder die gewünschten Assoziationen hervorrufen – wie beispielsweise „grüne Gase“ oder „Gas ist ein idealer Partner der Erneuerbaren“. Diese so genannten „Narrative“ werden dann von den Lobbyist:innen immer wieder in die politische und öffentliche Debatte eingebracht. Sie unterstützen sozusagen als „Grundrauschen“ die konkrete Lobbyarbeit.
Die Gaslobby ist nicht die einzige Lobby, die mit Hilfe von Narrativen die Debatte nach ihren Interessen geprägt hat. Wie stark PR-Profis darauf setzen, hat beispielsweise auch ein ein öffentlich gewordener interner Bericht der EU-Lobbystrategie von Google aus dem Jahr 2020 gezeigt: Um strengere Regeln für Internetplattformen in Europa zu verhindern, sollte „die politische Debatte grundlegend geändert werden“ – „reset the political narrative“ war der englische Originalausdruck.
Gasindustrie lässt sich von PR-Profis als klimafreundlich inszenieren
Die Gasindustrie hat große Summen ausgegeben, um die Erzählung vom vermeintlich sauberen Erdgas und seiner Eignung für den Klimaschutz zu verbreiten. Mit Unterstützung von PR-Profis hat sie den fossilen Rohstoff als vermeintliche Lösung für den Klimawandel inszeniert und zugleich dafür gesorgt, dass dessen Nachteile in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle spielen. Mit ihrem grünen Anstrich hat sich die Gasbranche einen zentralen Platz in der deutschen und europäischen Energiepolitik erobert, der weit über ihre tatsächliche Bedeutung für die Energiewende hinausgeht.
In den energiepolitischen Plänen gegen die Klimakrise zu Beginn der 2000er Jahre drohte aus Sicht der Gasindustrie Erdgas zunächst nur eine untergeordnete Rolle zu spielen: In Deutschland verlängerte die Bundesregierung im Jahr 2010 die Laufzeiten für die Atomkraftwerke und wies der Atomkraft zunächst die Rolle als angebliche „Brückentechnologie“ ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu. Erdgas sollte hingegen keine besondere Rolle für die Energieversorgung spielen. Die Gaslobby sah ihr fossiles Geschäftsmodell in Gefahr und ging in die Offensive.
Zukunft Gas: „Ohne Erdgas schaffen wir die Klimawende nicht“
Eine hervorgehobene Rolle spielte dabei der 2013 gegründete PR-Verband „Zukunft Gas“ (bis Ende 2020 „Zukunft Erdgas“). Bei seiner Gründung hatte der Verband 36 Mitglieder aus der Gasindustrie, im März 2023 sind es 124. Seine Aufgabe sieht er vor allem darin, Gas als vermeintlich zukunftsfähigen Energieträger für die Energiewende zu vermarkten. Im Herbst 2016 startete der PR-Verband zum Beispiel eine Kampagne zu den Klimazielen 2020. Das Bild: der Bundestag vom Meer umspült und in dunkle Wolken gehüllt. Die Botschaft: Ohne Gas erreichen wir die Klimaziele 2020 nicht. Die Politik dürfe nicht länger die immensen Potenziale ignorieren, die Erdgas angeblich für die Energiewende biete, zum Beispiel als Heizenergie oder als Kraftstoff für Pkw und Lkw. Ein gasbetriebener Lastwagen fuhr durch das Berliner Regierungsviertel und machte diese Botschaft bekannt, auch auf Plakaten und Anzeigen wurde geworben.
Der Gaslobbyverband Deutscher Verband des Gas- und Wasserfaches (DVGW, vgl. Gaslobby-Studie S. 40) beschreibt im Jahr 2017 rückblickend, dass er auf das Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2010 mit einer „Innovationsoffensive“ reagiert habe: Ziel sei es gewesen, die Rolle verschiedener Gasinfrastrukturen im Kontext der Entscheidung über den Atomausstieg 2011 und der Energiewende „neu zu bewerten“. Mithilfe von intensiver Lobbyarbeit, strategischer Pressearbeit und Kooperationen mit anderen Verbänden schaffte es der Verband laut eigenen Aussagen, ihr „Leitszenario Gas als Partner der Energiewende“ zu verankern. Tatsächlich sei es gelungen, dass Gas „deutlich positiver wahrgenommen wird“ als noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Energiekonzepts 2010.
Auch der größte Branchenverband der Energiewirtschaft, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW, vgl. Gaslobby-Studie S. 39), arbeitete an einem klimafreundlichen Image für den Energieträger Erdgas mit. Er ließ ein Logo von einer Werbeagentur entwickeln, das das grüne Image unterstreichen sollte. Unternehmen verwenden es seitdem in ihrer Kommunikation und ihrem Marketing für Erdgas. Zum Logo, ein grünes Blatt als Bildzeichen, gehört die Werbebotschaft „Für gutes Klima“. Unter dem Logo wurden auch Parteitage von der Gasbranche gesponsert (vgl. Gaslobby-Studie S.85).
Die wichtigsten Erzählungen der Gaslobby
Dies sind die drei wichtigsten Erzählungen, durch die die Gaslobby ihren fossilen Energieträger als Teil der Energiewende inszeniert hat:
Irreführende Erzählung 1: „Gas ist klimafreundlich und sauberer als Kohle und Öl“
Erdgas ist ein fossiler Energieträger und verursacht bei seiner Verbrennung CO2. Da die CO2-Emissionen von Erdgas pro Energieeinheit niedriger liegen als die von Erdöl und Kohle, wird Erdgas als „klimaschonender“ oder auch „sauberer(er)“ Energieträger etikettiert.
Diese Erzählung ist problematisch, da ein wichtiger Aspekt ausgeblendet wird: Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan, das ebenfalls ein Treibhausgas ist und mit seinem hohen Treibhauspotenzial wesentlich zum Klimawandel beiträgt. Es entweicht entlang der gesamten Gaslieferkette. Laut dem sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) von 2021 schädigt ein Kilogramm Methan innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren das Klima so wie 83 Kilogramm CO2.
Dennoch entfaltet der Mythos vom „klimafreundlichen Erdgas“ große Wirksamkeit in der Politik. Das Thema Methan kommt in der politischen Debatte kaum vor. Stattdessen erklärten auch die EU-Institutionen Gas in ihren Empfehlungen für Finanzinvestoren jüngst für „nachhaltig“ – eine Entscheidung, die Anlagekapital weiter in Richtung fossiler Energien lenken wird und die von Klimaexpert:innen vielfach als „Greenwashing“ kritisiert wurde.
Irreführende Erzählung 2: „Gas ist eine Brücken- und Übergangstechnologie“
Kaum ein Begriff ist in der Debatte um Gas so präsent wie der der „Brückentechnologie“ oder „Übergangstechnologie“. Tatsächlich wird ein sofortiger Ausstieg aus dem Erdgas gesellschaftlich und technisch kaum möglich sein, doch betont der Begriff „Brücke“ die positive Rolle von Erdgas stärker, als es etwa eine Bezeichnung wie „Auslauftechnologie“ tun würde. Die Begriffe wurden bereits in den 1980er-Jahren von Managern der Energiekonzerne für die Atomkraft verwendet – und schon damals so von der Politik übernommen.
Viele Politiker:innen haben die Begriffe der „Brücke“ oder des „Übergangs“ übernommen, so zum Beispiel der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Er hat sich lange Zeit für Erdgas als „Brückentechnologie“ eingesetzt und die deutsche Energiepolitik entlang der Ergebnisse aus dem industriedominierten Dialogprozess Gas 2030 ausgerichtet. Mit dem Argument der energiepolitischen Notwendigkeit wird damit ein milliardenschweres fossiles Geschäftsfeld mittelfristig abgesichert und davon abgelenkt, wie der Ausstieg aus dem Gas schnellstmöglich machbar ist.
Irreführende Erzählung 3: „Grüne oder auch kohlenstoffarme Gase sind Teil der Lösung“
Mit dem Framing „grüne Gase“ versucht die Gasindustrie, ihr fossiles Image loszuwerden und ihre Produkte als Zukunftsenergie darzustellen. Der Sammelbegriff bleibt dabei so unbestimmt, dass auch fossiles Erdgas darunterfällt.
Eine besonders wichtige Rolle in der Debatte um „grüne“ oder „klimaneutrale Gase“ spielt der Wasserstoff. Für die Gasindustrie gehört zu den grünen Gasen nicht nur der sogenannte „grüne Wasserstoff“, der aus erneuerbaren Energien hergestellt wird und daher tatsächlich klimaneutral ist. Sie bezieht in ihre Definitionen von grünen Gasen auch Wasserstoff ein, der aus fossilen Energien hergestellt wird (sogenannter „türkiser“ oder „blauer Wasserstoff“) . Mithilfe von technologischen Verfahren wie der Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) sollen diese Gase dann „nahezu klimaneutral“ oder „kohlenstoffarm“ werden. Nicht zur Sprache kommt, dass CCS in der Praxis selbst sehr energieintensiv und ökonomisch wie ökologisch umstritten ist. Die für den türkisen Wasserstoff nötige Technologie Methanpyrolyse ist außerdem nicht im großtechnischen Maßstab verfügbar.
Die Umbenennung des PR-Verbands „Zukunft Erdgas“ in „Zukunft Gas“ im Januar 2021 verdeutlicht, wie sehr die Gasindustrie an einem Imagewandel arbeitet. Ziel ist, dass Erdgas nicht nur als „Brücke“ gilt, sondern tatsächlich Teil der Lösung für die Energiewende wird.
Ein weiteres Ziel: Die Gasindustrie möchte den Fortbestand zumindest eines großen Teils ihrer Gasinfrastruktur sichern. Daher wird von der Gaswirtschaft immer wieder betont, die Infrastruktur sei „wasserstoff-ready“ – aktuell werben damit auch am Bau von LNG-Terminals beteiligte Konzerne wie RWE. Damit soll die Investition des Staates in weitere fossile Infrastruktur gerechtfertigt werden. Wissenschaftler:innen vom Fraunhofer-Institut habenallerdings an dieser Erzählung allerdings Zweifel angemeldet.
Irreführende Erzählung 4: „Technologieoffenheit“ als Mantra der fossilen Industrie
Ein von der gesamten fossilen Industrie und bestimmten Teilen der Politik – vor allem der FDP und der CDU – genutztes Narrativ ist auch, die Politik müsse „technologieoffen“ sein und dürfe nicht bestimmte Technologien ausschließen. Mit dem Begriff wird verschleiert, dass sich manche Technologien bereits als effizienter, machbarer oder klimafreundlicher gegenüber anderen erwiesen haben – so zum Beispiel das E-Auto gegenüber einem wasserstoffbetriebenen Auto oder die Wärmepumpe gegenüber dem Heizen mit Wasserstoff. So bewirbt Timm Kehler, der Vorsitzende des Branchenverbands Zukunft Gas, beispielsweise das Beheizen von Gebäuden mit Wasserstoff mit dem Begriff der Technologieoffenheit gerechtfertigt. Prompt hat sich Bundesbauministerin Klara Geywitz bereits auf Technologieoffenheit berufen und erklärt, den Einbau von Gasheizungen nicht verbieten zu wollen.
Fazit: Politik darf nicht einseitig die Narrative von Lobbyist:innen übernehmen
Die PR-Initiative und Lobbyarbeit der Gasindustrie war wirkmächtig: Der fossile Brennstoff hat sich als vermeintlicher Teil der Lösung für den Klimawandel in der politischen Debatte festgesetzt. Durch den Bau zahlreicher LNG-Terminals wird gerade milliardenschwere neue Gas-Infrastruktur aufgebaut, das geplante weitgehende Verbot zum Einbau neuer Gasheizungen wird Stand März 2023 wieder in Frage gestellt. Die Klima-Schädlichkeit von Erdgaswird weiterhin kaum diskutiert. Auch die Erzählung von den „kohlenstoffarmen Gasen“ oder Begriffe wie „wasserstoff-ready“ finden Eingang in die Politik: Minister Habeck hat beispielsweise bereits mit dem Begriff für die neuen LNG-Terminals geworben: Sie seien dafür geeignet, in Zukunft "grüne Energie" nach Deutschland zu bringen.
Der notwendige Ausstieg aus fossilen klimaschädliche Geschäftsmodelle droht sich zu verzögern, wenn Politik und Medien einseitig die Narrative von Lobbyist:innen und PR-Strategen übernehmen. Stattdessen müssen deren Erzählungen und Argumente viel stärker als bisher mit den Aussagen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft abgleichen werden. Dafür müssen politische Akteure auf die Ausgewogenheit ihrer Lobbykontakte achten. Für EU-Kommissar:innen ist dies bereits eine politische Vorgabe.
Pipelines in die Politk
Die Macht der Gaslobby in Deutschland
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