Nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine setzte die Bundesregierung im Eiltempo den Bau fester LNG-Terminals an Nord- und Ostseeküste durch, um russisches Gas zu ersetzen. Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatten dagegen protestiert, noch immer halten die Auseinandersetzungen etwa um den Bau des Terminals auf Rügen an: Die Terminals seien umweltschädlich, schadeten dem Tourismus und seien vor allem auch nicht nötig, um den Gasbedarf zu decken. Mittlerweile sind erste Terminals in Betrieb gegangen, sind jedoch bei weitem nicht ausgelastet.
Hinter dem Bau der Terminals standen auch die Interessen der Gasindustrie. Der Bonner Politikwissenschaftler Bjarne Behrens hat erforscht, mit welchen Narrativen die Gaslobby ihre Interessen an die Politik getragen hat und wie dies den Bau der Terminals beschleunigt hat. Behrens’ Erkenntnisse ergänzen unsere eigenen Recherchen zur Gaslobby aus unserer Studie „Pipelines in die Politik“.
Herr Behrens, Sie haben zur Gaslobby geforscht. Was war der Anlass dazu?
Auslöser war die Verabschiedung des LNG-Beschleunigungsgesetzes im Mai 2022, also die Entscheidung, etwa ein Dutzend LNG-Terminals für den Import von Flüssiggas zu bauen. Diese sollen dann bis 2043 fossiles Gas importieren. Damit steht der Bau dieser Terminals im krassen Widerspruch zu den nationalen und internationalen Klimazielen. Ich habe mich gefragt, warum die Energiekrise von 2022 nicht genutzt wurde, um den Gasausstieg einzuleiten, erneuerbare Energien auszubauen oder die Wärmewende voranzutreiben.
Was genau haben Sie untersucht und wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich habe untersucht, wie genau dieses Gesetz zu Stande gekommen ist. Welche Akteure haben es vorangetrieben? Warum haben Alternativen keine Rolle gespielt? Was sagt die Wissenschaft dazu?
Für meine Forschung habe ich etliche Interviews geführt: mit Abgeordneten aus dem Bundestag, Lobbyverbänden und Energiekonzernen, mit Vertreter:innen aus Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus habe ich auch eine Vielzahl von Dokumenten und Publikationen sowie Zeitungsartikel ausgewertet.
Bjarne Behrens
engagiert sich seit Jahren für Klimagerechtigkeit. Er hat Internationale Beziehungen im Bachelor und Sozioökonomie im Master studiert. In seiner letzten Forschungsarbeit hat er das Zustandekommen des LNG-Beschleunigungsgesetzes untersucht und die Macht der Gasindustrie unter die Lupe genommen. Momentan lebt und arbeitet Bjarne Behrens in Bonn.
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Forschung? Hat Sie etwas besonders erstaunt oder fanden Sie etwas besonders auffällig?
Die Auswertung aller im Analysezeitraum veröffentlichten wissenschaftlichen Studien hat klar gezeigt: Der Bau fester LNG-Terminals ist überflüssig. Mehr noch: diese Ergebnisse lagen der Bundesregierung Monate vor der Verabschiedung des Gesetzes vor. Warum Robert Habeck und Olaf Scholz dennoch immer wieder das Gegenteil behaupteten, war auch für meine Interviewpartner:innen aus NGOs und Wissenschaft rätselhaft.
Für mich war schnell klar, dass die Gaslobby ihre Finger im Spiel hat. In meiner Forschung konnte ich nachzeichnen, wie es der Gasindustrie gelungen ist, ihre Interessen politisch durchzusetzen. Als Schlüsselelement habe ich dafür das sogenannte „Wasserstoff-Narrativ“ identifiziert.
Was genau ist das „Wasserstoff-Narrativ“?
Als „Wasserstoff-Narrativ“ bezeichne ich die Erzählung, dass Wasserstoff die Lösung für alles ist. Demnach müssten wir für den ökologischen Umbau der Wirtschaft einfach nur Gas durch Wasserstoff ersetzen, egal ob fürs Heizen, Mobilität oder Industrieproduktion. Das komplizierte daran ist, dass es per se nicht falsch ist, Wasserstofftechnologien zu fördern. Allerdings ist sich die Wissenschaft einig darin, dass Wasserstoff nur für ganz bestimmte Anwendungen sinnvoll ist, zum Beispiel in der Chemie- oder Stahlproduktion.
Und was sagt die Wissenschaft dazu?
Der wissenschaftliche Diskurs zu Wasserstoff ist ein ganz anderer als uns die Gasindustrie vorgaukelt. Ich habe dazu verschiedene Quellen von Gaskonzernen und ihren Lobbyverbänden analysiert. Das habe ich dann verglichen mit der neuesten Studie des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU). Das Ergebnis: das Wasserstoff-Narrativ und der wissenschaftsbasierte Diskurs stehen in vielen Punkten im starken Widerspruch zueinander. Während ersteres behauptet, die bestehende Gasinfrastruktur könne auch für Wasserstoff verwendet werden, sieht der SRU hohe Investitions- und Umbaukosten.
Die Gasindustrie will Gaskraftwerke mit Wasserstoff betreiben, die Wissenschaft warnt vor den hohen Umwandlungsverlusten; Wasserstoff sei lediglich in der Speicherung sinnvoll. Die Gaslobby hält auch mit Gas produzierten Wasserstoff für eine gute Übergangslösung, die Wissenschaft nicht. So könnte ich noch viele weitere Beispiele nennen…
Studie: Pipelines in die Politik
Unsere Studie zeigt, wie mächtige Lobby-Allianzen aus Gaskonzernen und Industrie Druck machen für den Erhalt ihrer fossilen Geschäfte. Die letzten Bundesregierungen haben der Gasindustrie Lobbypipelines gelegt, die auch aktuell noch fortwirken.
Mehr über unsere StudieUnd wer steckt hinter dem Wasserstoff-Narrativ?
In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass das Wasserstoff-Narrativ ein Produkt der Gaslobby ist. Jahrelang hatte sie „sauberes Gas“ als „Brückentechnologie“ vermarktet. Seit einigen Jahre ist aber klar, dass Flüssiggas durch die Vorkettenemissionen genauso klimaschädlich ist wie Öl oder Kohle – dabei geht es beispielsweise um die Emissionen während des Transports oder auch bereits bei der Förderung durch Leckagen. Einen Ausstieg aus Gas will die Gaslobby aber um jeden Preis verhindern. Daher wurde das Wasserstoff-Narrativ geboren.
Es suggeriert zum einen, dass die Industrie schon auf dem richtigen Weg sei. Zum anderen sichert es das fossile Geschäft auf Jahrzehnte ab. Große Mengen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien wird es nämlich erstmal nicht geben. Stattdessen plant die Gasindustrie, Wasserstoff mit Gas zu produzieren. Ein Teil des freigesetzten CO2 soll dann abgespalten und in Pipelines nach Norwegen transportiert werden. Dort wird es dann in den Meeresboden verpresst. Gasinfrastruktur wie Pipelines können dadurch Jahrzehnte weitergenutzt werden. Ein Gasausstieg rückt in weite Ferne.
Können Sie Beispiele nennen, wo das Wasserstoff-Narrativ vermehrt verwendet wurde?
Besonders auffällig war der Anstieg des Wasserstoff-Narrativs in den Nachhaltigkeitsberichten der Energiekonzerne. 2016 hat Wasserstoff bei Uniper zum Beispiel noch gar keine Rolle gespielt, im letzten Nachhaltigkeitsbericht wurde alleine der Begriff fast hundertmal verwendet. Das wohl bekannteste Beispiel ist aber die Behauptung, die neuen LNG-Terminals seien „wasserstofffähig“ oder auch „H2-ready“. Über Parteigrenzen hinweg wurde der Bau dieser Terminals im Bundestag als „Investition in die Zukunft“ bezeichnet.
Verschwiegen wird, dass eine Umrüstung ziemlich teuer und aufgrund anderer Materialanforderungen unwahrscheinlich ist. Die meisten Expert:innen gehen davon aus, dass die jetzt geplanten LNG-Terminals bis 2043 Gas importieren werden und dann ihr Lebensende erreicht haben. Ein Blick in die Planungsdokumente der LNG-Terminals legt offen, dass eine zukünftige Umrüstung bislang auch gar nicht geplant ist, oder wie ein Interviewpartner von einer der Baufirmen sagt: „Natürlich ist hier gar nichts wasserstoff-ready, es gibt ja noch nicht einmal DIN-Normen dafür“.
Wie ist das Wasserstoff-Narrativ wirksam geworden?
Historisch sind Politik und Energieunternehmen ohnehin eng verflochten. Während der Energiekrise hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zusätzlich regelmäßig zu Krisensitzungen eingeladen. Hier saßen ausschließlich Industrievertreter zusammen. Wissenschaft und Umwelt-NGOs waren davon ausgeschlossen. Schlüsselfiguren wie Robert Habeck und Olaf Scholz haben das Wasserstoff-Narrativ und die Erzählung von der angebliche Notwendigkeit von festen LNG-Terminals bekannt gemacht. Daraufhin wurde es von vielen Abgeordneten und den meisten Medien unkritisch übernommen – und so oft wiederholt, bis es zu einer „Quasi-Wahrheit“ wurde.
Gab es weitere Narrative?
Die ganze Diskussion um den Bau von LNG-Terminals wäre ohne die Energiekrise natürlich undenkbar gewesen. Diese Krise hat die fossile Industrie diskursiv geschickt genutzt. Über Monate haben Konzerne und ihre Lobbyverbände den Untergang des Industriestandortes Deutschlands beschworen. Damit wurde enormer Handlungsdruck auf die Regierung aufgebaut. Natürlich gab es damals auch eine große Unsicherheit über zukünftige Gaslieferungen.
Wissenschaftlich wurde entsprechend kontrovers darüber gestritten, ob wir schwimmende LNG-Terminals zur Überbrückung brauchen, und wenn ja, wie viele. Einig waren sich aber alle Studien darin, dass es keine festen Terminals braucht. Diese werden ohnehin frühestens 2027 fertig. Dieser Unterschied wurde aber politisch verwischt. Im LNG-Beschleunigungsgesetz wurden dann auch der Bau von festen und von schwimmenden Terminals beschlossen. Das Narrativ der Gasmangellage hat entscheidend dazu beigetragen.
Was hat die Durchsetzung der Narrative begünstigt?
Letztlich kann man es damit zusammenfassen: die Macht der Gaskonzerne. Ob warme Wohnungen im Winter oder ausreichend Energie für die Industrie, beides ist ohne die großen Energiekonzerne nicht zu haben. Das weiß auch die Regierung. Wer in Krisenzeiten Handlungsfähigkeit beweisen will, bringt die Energiekonzerne lieber nicht gegen sich auf.
In der Politikwissenschaft spricht man auch von struktureller Macht, die sich allein aus der der Position in unserem Wirtschaftssystems ergibt. Hinzu kommt die Lobbyarbeit, die Nähe zur Politik und damit der Einfluss auf die politischen Debatten. Das gibt der Gasindustrie auch medial enorme Reichweite. Für zivilgesellschaftliche Akteure ist es dann oft schwer, dem diskursiv noch etwas entgegenzusetzen.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrer Forschung für die Debatte über die Rolle der Gaslobby und fossile Interessen?
Meine Forschungsarbeit ist nur ein weiteres Puzzleteil, das zeigt: Die fossile Industrie hat einen viel zu großen politischen Einfluss. Ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse wird echte Klimapolitik nicht möglich sein. Klimagruppen wie zum Beispiel Ende Gelände oder Umweltverbände wie die DUH machen seit Jahren darauf aufmerksam. Sie haben auch schon früh versucht, die Erzählungen vom „sauberen Gas“ oder der angeblichen Wasserstofffähigkeit der LNG-Terminals als Greenwashing-Strategien zu entlarven.