Die Lobby-Pipelines der Gasindustrie in die Politik wurden von zahlreichen Politiker:innen und Seitenwechsler:innen aktiv mit aufgebaut und betrieben. Dieser massive Lobbyeinfluss hat dazu geführt, dass die Bundesregierung die Erzählungen der Gasindustrie übernommen hat. Viele Politiker:innen haben sich deren Position zu eigen gemacht hat, dass fossiles Erdgas noch lange eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen soll. Statt beim Ausbau der erneuerbaren Energien voranzukommen und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, wurde auf immer mehr Erdgas gesetzt. Das setzt sich aktuell beim Aufbau der LNG-Infrastruktur fort. Die Schäden dieses Lobbyeinflusses belasten heute unsere Gesellschaft: milliardenschwere Fehlinvestitionen, weitere Abhängigkeit vom fossilen Erdgas, hohe Gasrechnungen und weiter anhaltende Treibhausgasemissionen.
Pipelines in die Politik
Die Macht der Gaslobby in Deutschland
Neue Bundesregierung: Ein Lobbytreffen täglich mit der Gasindustrie
Unsere Studie zeigt, über welche Kanäle die Gaslobby Einfluss auf die Politik nimmt. Während die Russland-Netzwerke derzeit weitgehend stillgelegt sind, wirken andere auch in der Ampelregierung fort. Unsere Recherchen zeigen: Von Dezember 2021 bis September 22 trafen sich Vertreter:innen der großen Gaskonzerne im Durchschnitt einmal täglich mit Spitzenpolitiker:innen der Bundesregierung. Diese große Nähe ist problematisch, da es mit Umweltverbänden oder anderen energiepolitischen Akteuren nicht annähernd so viele Treffen gab. Solch einseitige Nähe droht politische Entscheidungen zu verzerren. Gerade jetzt stehen wegweisende Entscheidungen für die Energiewende an. Es braucht ausgewogene Beteiligung vieler gesellschaftlicher Akteure, um die Debatten zu LNG-Terminals, Heizen und Wasserstoff ausgewogen zu führen.
Ökonomische Macht der Konzerne führt auch zu politischer Macht
Die häufigen Lobbytreffen stehen in engem Zusammenhang mit der ökonomischen und daraus folgenden politischen Macht der Konzerne: Wenige große Konzerne wie beispielsweise Uniper, Wintershall DEA oder RWE dominieren die Gaslieferkette und haben damit weitreichenden Einfluss auf die Grundversorgung und die kritische Infrastruktur in Deutschland. Dies führt zu einer gesellschaftlichen und auch politischen Abhängigkeit, wie die Verstaatlichung von Uniper gezeigt hat. Der Gasindustrie wurden zudem weitreichende politische Entscheidungen von der Politik überlassen – ein Beispiel ist die Frage, ob es einer strategischen Gasreserve bedarf.
Zugleich haben diese Konzerne auch die energieintensiven Unternehmen wie BASF als Verstärkung ihrer Lobbymacht im Rücken: Größte Verbraucherin von Gas ist die Industrie, es wird für die Prozesswärme oder als Rohstoff benötigt. Gemeinsam mit der Gasindustrie machen sie Druck auf die Politik, damit genügend günstiges Gas vorhanden ist und verfügen über ein hohes Drohpotenzial wie unterbrochene Lieferketten oder Arbeitsplatzabbau.
Lobbymacht in Zahlen
Natürlich geben diese Konzerne auch viel Geld für ihre Lobbyarbeit aus. Verstärkt werden sie dabei von mächtigen Verbänden wie dem größten Energielobbyverband Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) oder dem Lobby- und PR-Verband Zukunft Gas. Die Gasindustrie gab 2021 laut Lobbyregister rund 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus und beschäftigte 426 Lobbyist:innen.
Hinzu kommen weitere Millionensummen aus der gasverbrauchenden Industrie, allein BASF hatte Lobbyausgaben in Höhe von 3,8 Millionen. Und hinzu kommen die Lobbyausgaben von Gazprom und deren Tochterkonzernen, die sich allesamt nicht ins Lobbyregister eingetragen haben. In diese Budgets fallen auch Ausgaben für exklusive Lobby-Events und Aufträge für PR- und Lobbyagenturen. Es fehlt ein starkes Gegengewicht: Die drei größten Umweltverbände, die sich dem Ausstieg aus dem fossilen Energieträger Gas widmen, geben zusammen nur 1,5 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit aus.
Politiker:innen wechseln die Seiten
Mit hohen Gehältern lockt die Gasindustrie ehemalige Spitzenpolitiker:innen in ihre Lobbyabteilungen. Bei unseren Recherchen haben wir über 30 ehemalige Politiker:innen zusammengetragen, die als Schlüsselfiguren für die Gaslobby dienten und dienen – und das ist sicherlich keine abschließende Liste. Bekannte Namen neben Gerhard Schröder sind z.B. Kerstin Andreae, die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen. Sie führt nun den BDEW an und hat einen guten Draht ins grün geführte Wirtschaftsministerium.
Friedbert Pflüger, ehemaliger CDU-Abgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär, hat bereits Lobbyarbeit im Auftrag der Nord Stream AG gemacht. Heute arbeitet er als Gaslobbyist für die Lobbyagentur Strategic Minds – zusammen mit dem ehemaligen Eon-Lobbyisten und Ex-Hauptgeschäftsführer des BDI, Joachim Lang. Zugleich sitzt Pflüger dem Aufsichtsrat des Lobbyverbands Zukunft Gas vor.
Nebentätigkeiten von Politiker:innen und Beamten für die Gasindustrie
Außerdem werden aktive Politiker:innen über Nebentätigkeiten für die Gaslobby zu ihren Fürsprecher:innen in der Politik gemacht. Das auffälligste Beispiel dafür ist der Lobbyverband Zukunft Gas, der in seinem Beirat unter anderem die CDU-Abgeordneten Thomas Bareiß und Karsten Möring, den SPD-Abgeordneten Timon Gremmels oder Andreas Kuhlmann, den Chef der bundeseigenen Deutschen Energieagentur DENA versammelte.
Bis heute sitzt dort Klaus Bonhoff, Abteilungsleiter im Bundesverkehrsministerium. Aber auch die Lobbyforen autoritärer Gasförderstaaten spannten Politiker:innen in ihre Arbeit ein: Im Deutsch-Aserbaidschanischen Forum saß Thomas Bareiß (2007-2018), im Deutsch-Russischen Forum wieder Andreas Kuhlmann. Daneben saßen in solchen und anderen Gremien, die vordergründig der Völkerverständigung dienen sollten, Unternehmen wie Gazprom, Rosneft und Uniper. Sie dienten dort häufig als Geldgeber und nahmen damit auch Einfluss auf die Haltung von Politiker:innen gegenüber den zunehmenden russischen Aggressionen.
Einbindung der Gaslobby in Beratungsgremien des Bundes
Die Bundesregierung hat der Gasindustrie in diversen Beratungsgremien eine dominante Rolle eingeräumt. Ein aktuelles Beispiel ist der Nationale Wasserstoffrat: Von 26 Mitgliedern kommen nur zwei aus Nichtregierungsorganisationen, aber 15 aus Unternehmen, die vom Geschäft mit dem Wasserstoff und seiner Infrastruktur profitieren. Es besteht die Gefahr, dass im Wasserstoffrat weniger die Rolle von Wasserstoff für den Klimaschutz diskutiert wird, sondern wie die verschiedenen Industrien von ihm profitieren können.
Die DENA als eigener Lobbykanal
Mit der Deutschen Energieagentur (DENA) profitiert die Gaslobby von einem bundeseigenen Unternehmen als Lobbypipeline in die Politik. Die DENA organisierte für das Bundeswirtschaftsministerium sogenannte Stakeholderdebatten, in denen die Gasindustrie sich teils exklusiv mit Beamt:innen des Ministeriums austauschen konnte. Gemeinsam mit dem Lobbyverband Zukunft Gas gründete sie die LNG Taskforce und sorgte dafür, dass Lastwagen, die mit LNG fahren, steuerlich begünstigt werden. Dies geschah sogar gegen den Rat des Umweltbundesamts und im Nachhinein zum Schaden der Industrie selbst, die nun unter den hohen Gaspreisen leidet.
Auch ließ die DENA ihre Klimaleitstudie von Unternehmen sponsern. Kritiker:innen bescheinigten der Studie einen starken Fokus auf Gas als Teil der Lösung für den Klimaschutz.
Deutsch-Russische Lobbynetzwerke
Derzeit ist es still um sie geworden: Deutsch-russische Lobbynetzwerke aus Unternehmen, Lobbyist:innen und ihren politischen Fürsprecher:innen haben Deutschland immer weiter in die Abhängigkeit von russischem Gas geführt. Gerhard Schröder öffnete die Türen zu wichtigen SPD-Minister:innen. In Sachsen flochten die Konzerne VNG und Gazprom ein politisches Netzwerk mit intensiver Beteiligung von CDU-Seitenwechslern wie Edmund Stoiber und Klaus Töpfer und aktiven Politikern wie dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer.
In Mecklenburg-Vorpommern machten sich die Ministerpräsident:innen zu Erfüllungsgehilfen von Nord Stream 2: Sie arbeiteten aufs Engste mit dem Unternehmen und einem dichten Netzwerk aus Vereinen und einer fragwürdigen Stiftung zusammen, damit die Pipeline Realität werde. Im Ergebnis schufen sie eine milliardenschwere Investitionsruine – zum Schaden der Gesellschaft.
Professionelles Framing für die Gasindustrie
Sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene hat die Gasindustrie mithilfe professioneller Marketingstrategien Gas als klimafreundlichen Energieträger und Partner der erneuerbaren Energien gelabelt. In Deutschland wurde zu diesem Zweck der Lobby- und PR-Verband Zukunft Gas geschaffen. Aber auch der Deutsche Verband für das Gas- und Wasserfach (DVGW) entwickelte eine Lobby-Offensive, um Gas gegenüber Politik und Öffentlichkeit als angeblich wichtigen „Partner der Energiewende“ anzupreisen. Mit Wirkung: Weite Teile der Politik haben die Erzählungen der Gasindustrie übernommen und fossiles Gas zu einem zentralen Akteur der Energiewende aufgewertet – trotz der Warnungen von Wissenschaftler:innen vor den enormen Klimaschäden und den entsprechend hohen Kosten für die Gesellschaft.
Was muss jetzt passieren?
Die Politik muss die Lobby-Pipelines der Gasindustrie dringend zudrehen. Die Gasindustrie lobbyiert dafür, ihr schmutziges Gas noch so lange wie möglich im Download der StudieGeschäft zu halten. Sie verwischt dazu die Grenzen zwischen fossilen und klimaneutralen Gasen und verkauft Erdgas so als klimaneutral. Sie eröffnet neue Gasquellen, baut viele LNG-Terminals und schließt langfristige Lieferverträge ab. Die Bundesregierung darf sich nicht weiter von der Gaslobby und deren Erzählungen vereinnahmen lassen.
Wir fordern von Olaf Scholz als Bundeskanzler und Robert Habeck als zuständigem Wirtschaftsminister:
- Lobbykanäle der Gasindustrie in die Politik schließen – dazu gehört zum Beispiel eine Neuausrichtung der DENA und die ausgewogene Besetzung von Beratungsgremien
- auf Abstand gehen: keine Mitgliedschaften in Gremien der Gaslobby, kein Sponsoring von Parteien oder öffentlichen Institutionen durch fossile Unternehmen und Verbände, keine Kooperationen und exklusiven Veranstaltungen mit fossilen Akteuren
- trotz Zeitdruck muss die Bundesregierung eine breite Beteiligung von Interessen organisieren und die Erzählungen der Gasindustrie kritisch abwägen
- zeitnahe Transparenz über Lobbytreffen des Kanzlers, der Minister:innen und hoher Beamter und Einführung einer Lobby-Fußspur
- Aufarbeitung des russischen Lobbyeinflusses auf die deutsche Gaspolitik, damit Politiker:innen bei zukünftigen Lobby-Netzwerken deutlich mehr Distanz halten: schärfere Regeln für den Lobbyeinfluss autoritärer Staaten und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss
- stärkere öffentliche Kontrolle über die kritische Infrastruktur und Grundversorgung und die Macht der Gaskonzerne beschränken
Pipelines in die Politik
Die Macht der Gaslobby in Deutschland
Weitere Infos
Unsere Thesen zur Macht der Gaslobby, unsere Forderungen und Empfehlungen sowie die Studie im PDF-Format: www.lobbycontrol.de/gaslobby
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