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Lobbyismus und Klima

Substanzlose Kritik: Wie ein Welt-Artikel Stimmung gegen die Gaslobby-Studie macht

Unsere Studie über die Macht der Gaslobby hat viele Reaktionen hervorgerufen.

von 24. Februar 2023

Wir freuen uns vor allem über viel positive Presseberichterstattung. Erste Rückmeldungen zur Studie gab es auch bereits aus Politik und Verbänden, sie hat aber auch die fossile Lobby gereizt. Das zeigt z.B. deren Begeisterung über eine geradezu hetzerische Kritik des Welt-Journalisten Daniel Wetzel. Der Autor ist ein bekannter Energiewende-Kritiker. Sein vernichtendes Urteil über unsere Studie fand in seinen Kreisen offenbar Anklang.

Eine reißerische Kritik in der Welt

Wetzels Urteil über unsere Studie ist hart und wortreich – sie strotze vor „Faktenfehlern“ und sei ein von „Ahnungslosigkeit strotzendes Pamphlet ideologischer Voreingenommenheit“.

Niemand muss die Thesen unserer Gaslobby-Studie teilen. Problematisch ist dieser Artikel hauptsächlich deswegen, weil Wetzel seinen Vorwurf der vielen Faktenfehler nicht belegt. Stattdessen schreibt er selbst Unwahrheiten und würzt seinen Artikel durch Diffamierung. Das ist eine bekannte Strategie, um missliebige Organisationen oder Wissenschaftler:innen abzuwerten. Wetzel schrieb bereits vor einigen Jahren in der Welt, dass eine „Klimalobby“ angeblich beste Verbindungen zur Regierung habe und damit „alternative Energiekonzepte“ ausbremse. Da passten unsere Belege für die Machtungleichgewichte zwischen Gaslobby und Umweltverbänden offenbar nicht ins Bild.

Wir haben sehr sorgfältig recherchiert, liefern über 700 Belege und ließen einen umfangreichen externen Faktencheck durchführen. Viele Teile wurden von Menschen mit speziellem Expertenwissen gegengelesen. Dennoch können wir nicht ausschließen, dass sich Fehler eingeschlichen haben. Wetzel hat uns aber bislang keine nachgewiesen. Auch auf unsere Nachfrage nach Belegen für seinen Vorwurf der zahlreichen „Faktenfehler“ listete er uns einige Punkte auf, die wir sämtlich zurückweisen. So wirft er uns beispielsweise vor, wir würden uns bei unserer Aussage zu Methanemissionen nicht auf den neusten IPCC-Bericht berufen – obwohl wir genau das tun. Oder wir würden die EU-Methanverordnung nicht erwähnen, obwohl ihm eine einfache Dokumentensuche anderes gezeigt hätte.

Wetzel hatte offenbar nicht die Absicht, uns Fehler nachzuweisen, sondern unsere Thesen zur Macht der Gaslobby zu delegitimieren. Dazu bekam Wetzel auch den entsprechenden Beifall von gleich mehreren fossilen Lobbyisten: Der Tweet zu seinem Artikel fand Anklang bei den Gaslobbyverbänden Zukunft Gas und ASUE, bei dem Windkraftgegner-Verband Vernunftkraft, dem Mineralöllobbyverband UNITI und anderen fossilen Lobbyisten. Zukunft Gas war offenbar besonders pikiert: Der Verband hatte uns zuvor bereits „verschwörungstheoretisches Geraune“ vorgeworfen. Diesen PR-Lobbyverband behandeln wir tatsächlich recht ausführlich in der Studie und stellen dar, wie dieser gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Stadtwerken weiterhin für fossile Geschäftsmodelle trommelt.


Der Pressesprecher des PR- und Lobbyverbandes Zukunft Gas empfiehlt den Welt-Artikel weiter.

Monopole und Monopolmacht: Begriffsverwirrungen?

Einige Aspekte möchten wir trotz allem gerne richtigstellen. Wetzel wirft uns vor, wir würden in unserer Studie fälschlicherweise von Marktmacht entlang der Gaslieferkette schreiben. In unserem zweiten Kapitel stellen wir ausführlich die Charakteristika des Gasmarktes vor: Wir verwenden dazu auch den Begriff Monopolmacht und beziehen uns damit auf einen Begriff, der in der konzernmachtkritischen Szene verwendet wird und vor allem auf Englisch unter „monopoly power“ bekannt ist. Wir verwenden den Begriff schon länger in unserer Arbeit zu den Digitalkonzernen, auch in der Form „monopolartige Machtstellung“.

Unsere Studie zeigt, wie sich entlang der Gaslieferkette Konzerne mit sehr großer Marktmacht herausgebildet haben. Deswegen musste der Staat gleich zwei Konzerne (Uniper und das frühere Gazprom Germania, heute SEFE) „retten“, weil deren Marktmacht zu groß war. Große Marktmacht gibt es im übrigen – anders als von Wetzel angedeutet - auch im Bereich der Gasversorgung. Denn hier ist vor allem Eon ein mächtiger Akteur, der viele Anteile an Stadtwerken hält – ein Aspekt, der nur wenigen bekannt ist und den wir in unserer Studie ausführen. Die große Auswahl an lokalen Gasanbietern, die Wetzel als Gegenargument aufführt, ist zuweilen trügerisch, weil die Anteilseigner vielen Menschen nicht bekannt sind.

Gaslieferkette der Energiekonzerne in Deutschland
Holger Müller/LobbyControl - CC-BY-NC-ND 4.0
In der Gasindustrie herrscht eine starke Monopolmacht. Das ist an der Gas-Lieferkette mit nur wenigen Konzernen gut sichtbar.
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Gaslieferkette der Energiekonzerne in Deutschland
In der Gasindustrie herrscht eine starke Monopolmacht. Das ist an der Gas-Lieferkette mit nur wenigen Konzernen gut sichtbar.

Gleichzeitig gibt es im Gasmarkt – wie bei allen netzgebundenen Infrastrukturen – natürliche Monopole. Deswegen gibt es gesetzliche Entflechtungsvorgaben. Das erläutern wir im 2. Kapitel unserer Gaslobby-Studie. Dass das Problem der Machtkonzentration damit keinesfalls vollständig behoben ist, belegen wiederholte Kartellverfahren gegen Energiekonzerne. Zudem haben die Gaskonzerne große Macht in den Bereichen Netzausbau und Methanemissionen, wie wir in unserer Studie ebenfalls ausführlich beschreiben. Die Machtkonzentration entlang der Gaslieferkette ist daher alles andere als ein „Phantasieprodukt“.

Zitate von Greenpeace – und Zukunft Gas

Wetzel will unsere Studie offensichtlich damit abwerten, dass wir aus der Wikipedia und von Greenpeace zitieren. Von unseren weit mehr als 700 Fußnoten beziehen sich genau drei auf Wikipedia-Artikel – einer davon listet fossile Kraftwerke auf, die anderen beiden beziehen sich auf Daten zur Liberalisierung des Energiemarktes, die auch in zahlreichen anderen Quellen leicht zu finden sind, in den Wikipedia-Artikeln aber jeweils übersichtlich zusammengestellt sind. Ansonsten beziehen wir uns auf zahlreiche wissenschaftliche Artikel – insbesondere zu Themen, die umstritten sind – oder auch, was angesichts aktueller politischer Themen üblich ist, auf zahlreiche journalistische Recherchen.

Außerdem referieren wir in der Studie die Positionen zahlreicher Akteure, Wirtschaftsverbände wie Umweltverbände, und benennen jeweils die Quelle dazu, so etwa Greenpeace, Zukunft Gas oder auch den BDEW. In einem Fall beziehen wir uns auch auf Aussagen in einer wissenschaftlichen Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat – und zwar als Beleg dafür, dass es auch Kritik an den geplanten LNG-Terminals gibt. Hier ist offensichtlich, dass Wetzel uns mit Greenpeace in Verbindung bringen will, um uns abzuwerten. Mit der selben Methode hätte er uns auch in die Nähe von Zukunft Gas rücken können.

Die „Interessen und Nöte anderer“

Am Ende seines Artikels trägt Wetzel noch einmal besonders dick auf. Er wirft uns vor, dass wir die auffallend hohe Taktung an Treffen zwischen Gaslobby und Wirtschaftsministerium nicht hätten kritisieren dürfen, weil diese in der Krise nötig gewesen seien. Er wirft uns in diesem Zusammenhang vor, mit unserem „naiven Geringschätzen aktueller und künftiger Versorgungsnöte“ würden wir nun selbst zu „jenen Lobbyisten“ gehören, denen „die Interessen und Nöte anderer im Zweifel“ egal seien. Das sind schwere Vorwürfe, die wir deutlich zurückweisen.

Wir betonen immer wieder, dass Treffen zwischen Gasunternehmen und Politik in einer Energiekrise absolut richtig und notwendig ist. Das haben wir auch in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung unserer Studie klar gesagt, der Welt-Autor war anwesend. Unsere Kritik bezieht sich also nicht auf die Tatsache, dass sich Politik und Unternehmen treffen. Sie bezieht sich vor allem darauf, dass die Treffen unausgewogen sind. Das ist ein zentraler Unterschied, den Wetzel hier einfach übergeht.

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In einer Demokratie ist entscheidend, dass sich Politiker:innen mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren austauschen und deren Positionen gegeneinander abwägen – gerade um die „Interessen und Nöte“ aller zu berücksichtigen. Im Bereich der Energiepolitik ist es also notwendig, dass Entscheidungsträger:innen sich zum Beispiel auch mit den Einwänden von Umweltverbänden in angemessener Form auseinandersetzen. Das tun sie – wie Umweltverbände uns berichten – aktuell nicht ausreichend. Die Gasunternehmen, mit denen sich die Bundesregierung so auffällig eng austauscht, sind zumindest nicht dafür bekannt, dass sie sich vorrangig mit den „Interessen und Nöten anderer“ beschäftigen.

Wir freuen uns über die vielen positiven Rückmeldungen zu unserer Gaslobby-Studie – und sind gleichzeitig sehr offen gegenüber aller konstruktiven Kritik, die uns zum Teil auch schon erreicht hat.

Pipelines in die Politik

Die Macht der Gaslobby in Deutschland


Pipelines in die Politik

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