Nach Recherchen von ZDF frontal steht das Verkehrsministerium im Fokus einer neuen Lobbyaffäre: Verkehrsminister Volker Wissing und sein Staatssekretär Oliver Luksic (beide FDP) waren eng in eine fragwürdige und irreführende Lobbykampagne eingebunden. Ziel der Kampagne ist es, den vermeintlichen „Öko-Diesel“ HVO100 zu bewerben und gleichzeitig das bereits beschlossene Zulassungsverbot für Verbrennerautos ab 2035 rückgängig zu machen. Die Nähe zwischen den beiden Spitzenpolitikern mit einem Autolobby-Verein war dabei so groß, dass dieser sogar seine engen Kontakte zum Verkauf anbieten konnte.
Besonders brisant war zudem, dass Staatssekretär Luksic ein Video gemeinsam mit einem Tankstellenlobbyverband drehte und damit ganz explizit ein bestimmtes Produkt bewarb. Lindner und Wissing machen damit gemeinsame Sache mit der Verbrennerlobby – und setzten sich bei ihrer Entscheidung für die Beteiligung an der Kampagne sogar über den expliziten Rat der Fachreferate ihres Hauses hinweg. Diese einseitige Lobbynähe ist für Bundesminister:innen untragbar und schädlich für die Demokratie. Der Fall braucht dringend klare Konsequenzen. In sechs Thesen ordnen wir den Fall ein und machen Vorschläge für weitere Schritte.
1.8.2024: Die unrühmliche und fragwürdige Nähe der FDP zur Lobbykampagne gegen das Verbrenner-Aus haben wir in den letzten Wochen mehrfach kritisiert. ZDF frontal fasst die Story nun nochmal auf Youtube gut zusammen inkl. neuer interner Dokumente.
1. Besonders eklatant, aber kein Einzelfall:
Die aktuelle Lobby-Affäre sorgt zurecht für große Empörung in der Öffentlichkeit. Der Fall steht für eine besonders enge und damit einseitige Privilegierung der Interessen einer mächtigen und besonders lauten Interessengruppe - in diesem Fall der Verbrennerlobby. Dieses Muster zeigt sich immer wieder: Politische Entscheidungen werden dadurch verzerrt, dass einzelne Interessengruppen besondere Zugänge erhalten, während Expert:innen aus der Wissenschaft oder zivilgesellschaftliche Organisationen weniger Gehör finden.
Lobbynetzwerke aus Politik und Unternehmen begünstigen solche Einseitigkeit und legen die Grundlage für Klüngelei. Ein Beispiel dafür ist auch das dichte Lobby-Netzwerk des Gazprom-Konzerns, durch das Deutschland sich in eine fatale Abhängigkeit von russischem Gas manövrierte. Doch einseitige und übergroße Nähe zu bestimmten Lobbyinteressen steht im Widerspruch zur Kernaufgabe von Politiker:innen: Sie sollten sich ausgewogen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen auseinandersetzen, um so informierte und ausgewogene politische Entscheidungen zu treffen.
2. Das Verkehrsministerium fällt immer wieder durch besonders große Nähe zur Verbrennerlobby auf:
Genau 80-mal traf sich der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer mit der Autolobby, während Umweltverbände nur einen Termin bei ihm bekamen. Zum Autogipfel lädt die Bundesregierung regelmäßig die Autolobby in das Kanzleramt ein. Umweltverbände oder andere kritische Stimmen blieben lange Zeit außen vor und sind auch jetzt nur in Minimalbesetzung dazu geladen. Es gehört quasi zur DNA des Verkehrsministerium und der deutschen Verkehrspolitik, der Autoindustrie und der Verbrennerlobby besonders nah zu sein und als deren Sprachrohr aufzutreten.
Das setzt sich auch unter der Ampel-Regierung fort: FDP-Chef Christian Lindner war mit Porsche-Chef Oliver Blume in engem Austausch, während sich Deutschland in Brüssel damit blamierte, einen bereits vereinbarten Kompromiss zum Verbrenner-Aus wieder aufzukündigen. Erst Anfang des Jahres 2024 stand das Verkehrsministerium wegen der Vergabe von Fördergeldern unter Skifreunden für Wasserstoffprojekte in der Kritik. Auch hier ging es darum, eine bestimmte Antriebsform im Straßenverkehr gegenüber der batteriebetriebenen E-Mobilität zu privilegieren, obwohl dies der Einschätzung der meisten Fachleuten widersprach. Erst kürzlich hatte die FDP eine Spende eines Mineralöllobbyverbands erhalten, kurz nachdem Wissing und anderen Spitzenpolitiker auf dem FDP-Parteitag sich mit Plakaten der Lobbykampagne des Verbands zum Verbrenner-Aus haben ablichten lassen. Die aktuelle HVO100-Lobbyaffäre reiht sich in die lange Liste einseitiger Lobbynähe ein.
3. E-Fuels, Wasserstoff und Biokraftstoffe - Lobbynarrative im Interesse der fossilen Lobby:
E-Fuels, Wasserstoff-Technologien und Biokraftstoffe können in einigen Segmenten sinnvoll sein. Laut der großen Mehrheit der Expert:innen ist aber klar, dass sie nicht für die Breite im Straßenverkehr sinnvoll sind und selbst im Güterverkehr allenfalls ein Nischenprodukt bleiben werden. Es ist eine Lobbystrategie, immer wieder die Bedeutung von E-Fuels, Brennstoffzellen und Biokraftstoffen zu überhöhen, um so den bereits eingeschlagenen Weg in die batteriebetriebe Elektromobilität bei PKWs auszubremsen. Das Credo der Technologieoffenheit und die Überhöhung alternativer Kraftstoffe ist ein interessengeleitetes Lobbynarrativ: Es entspricht den Gewinninteressen derer, die noch länger entlang der Wertschöpfungskette des Verbrennungsmotors Geld verdienen wollen – allen voran die großen Öl- und Gaskonzerne, Teile der Autoindustrie, Tankstellenbetreiber oder Kraftstoffhändler.
4. Lobbyaffären und Lobbyskandale gehen zu Lasten des Gemeinwohls und der Demokratie:
Die einseitige Privilegierung finanzstarker und besonders lauter Lobbygruppen schadet letztlich uns allen. In diesem Fall wird der zukunftsfähige Umbau der Mobilität ausgebremst und Verbraucher:innen durch falsche Versprechen in die Irre geführt. Es geht zu Lasten des Wirtschaftsstandortes Deutschland, wenn eine Auslauftechnologie politisch weiter am Leben gehalten werden soll. Solche Affären und Skandale gefährden das Ansehen und die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker:innen, aber auch der Demokratie. Das ist vor allem in Krisenzeiten ein besonders schwerwiegendes Problem, weil Menschen so Vertrauen in das politische System verlieren und sich weiter von demokratischen Strukturen abwenden können.
5. Es braucht klare Konsequenzen statt wohlfeiler Ausreden:
Immer wieder werden Skandale nur unzureichend aufgearbeitet oder bleiben sogar gänzlich folgenlos. Es braucht Eingeständnisse von Fehlern sowie Maßnahmen, die ähnliche Vorfälle zukünftige verhindern können. In der vorliegenden Lobbyaffäre gab es zwar bislang keine ganz klaren, im engeren Sinne Regelverstöße. An mehreren Stellen wurden aber die Grenzen des politischen „Anstands“ deutlich überschritten. Dazu gehört die übergroße Nähe und Privilegierung der Verbrennerlobby durch die Gewährung von Hinterzimmertreffen oder Maßnahmen mit deutlich werbendem Charakter für ein bestimmtes Produkt. Weiterhin muss geklärt werden, warum sich die Hausleitung des Verehrsministeriums so deutlich über die Expertise der eigenen Fachleute hinwegsetzte.
6. Als Konsequenzen aus der Affäre fordern wir:
- Wissing, Luksic und andere an der Lobbyaffäre beteiligten Politiker:innen müssen öffentlich Rede und Antwort zu noch offenen Fragen steht. Weitere Dokumente – etwa zu Messwerten von HVO100-Emissionen – müssen endlich auf den Tisch. Fehler rund um die Lobbyaffäre müssen klar eingestanden werden.
- Es reicht nicht, dass Luksic’ Schirmherrschaft „ruht“, sie muss beendet werden. Es braucht eine deutliche öffentliche Abgrenzung des Verkehrsministeriums von den fragwürdigen Methoden von „Mobil in Deutschland“.
- Staatssekretär Luksic, der mit einem Lobbyverband gemeinsam ein Werbevideo dreht, sich bei der Aufarbeitung in Widersprüchen verstrickt und Unwahrheiten verbreitet, muss zurücktreten. Auch Wissing muss sich die Frage gefallen lassen, warum sein Ministerium immer wieder durch Lobbyaffären auffällt und ob er als Verkehrsminister weiter geeignet ist.
- Es braucht ein klares Bekenntnis zu einer ausgewogenen Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und auch kritischer Perspektiven in verkehrspolitischen Fragen. Es muss deutlich werden, dass sich die Leitungsebene des Verkehrsministeriums ernsthaft mit wissenschaftlichen Fakten und zivilgesellschaftlicher Kritik etwa von Umweltverbänden an dem Kraftstoff HVO100 auseinandersetzt. Um ausgewogene Beteiligung längerfristig zu fördern, könnte eine Leitlinie zur ausgewogenen Einbindung gesellschaftlicher Interessen hilfreich sein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine solche Leitlinie in ihrem Arbeitsprogramm für die EU-Kommission festgelegt.
- Es braucht endlich Offenlegungspflichten für Regierungsmitglieder sowie Staatssekretär:innen. Sie müssen ihre Termine mit im Lobbyregister eingetragenen Lobbyist:innen offenlegen, wie es die EU-Kommission bereits seit Jahren vormacht. Angegeben werden sollte Datum, Thema und Teilnehmende eines Termins. Unterhalb der Staatssekretärsebene genügt die Angabe der jeweiligen Abteilung bzw. des Referats.
- Die Bundesregierung sollte einen Beschluss fassen, dass ihre Mitglieder sowie Staatssekretär:innen an keinen Maßnahmen von Unternehmen, Verbänden oder Organisationen teilnehmen dürfen, die einen überwiegend werbenden Charakter haben.
Jetzt Lobbytreffen offenlegen!
Mit wem sich Regierungsmitglieder treffen, erfährt die Öffentlichkeit selten. Wir fordern Bundeskanzler Scholz auf, endlich für Lobbytransparenz zu sorgen.
Jetzt Petition unterschreiben!