Die Gaslobby zeigt sich erfreut, Umwelt-, Mieter- und Verbraucherverbände üben scharfe Kritik: Das ursprünglich klimapolitisch ambitionierte Heizungsgesetz wurde nach langem koalitionsinternen Ringen immer weiter entkernt. Der Ausstieg aus dem klimaschädlichen und absehbar teuren fossilen Heizen wird nun voraussichtlich weit nach hinten geschoben. Zudem soll der Einbau von Gasheizungen weiterhin zugelassen sein, wenn diese auf Wasserstoff umrüstbar sind bzw. „h2-ready“ sind.
„Wasserstoff und grüne Gase werden zukünftig feste Bestandteile im Wärmemarkt sein,“ frohlockt etwa Gerald Linke vom Gaslobby-Verband DVGW in der Zeitung Die Welt nach Einigung der Ampel-Koalition über das Heizungsgesetz. Damit hat sich die Gaslobby auch längerfristig ein Türchen für das fossile Heizen offengehalten. Denn Wasserstoff wird in aller Regel aus Erdgas hergestellt. Was außerdem bleibt, ist eine massive Verunsicherung vieler Menschen - samt Misstrauen in das politische System. Einen Teil der Erklärung, wie es so weit kommen konnte, liefert ein Blick auf die Lobbyinteressen in der Auseinandersetzung.
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Interesse am Erhalt fossiler Geschäftsmodelle
Das Heizen mit Gas ist – neben dem industriellen Verbrauch von Gas – das größte Geschäftsfeld der Gasindustrie: 50 Prozent der Haushalte in Deutschland heizen noch immer mit Gas. Entsprechend viel hat die Gasindustrie zu verlieren, wenn das Heizen mit Öl und Gas – wie ursprünglich noch im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehen – zügig auslaufen soll.
Diese Interessen und die Macht der dahinterstehenden Konzerne und deren Lobbygruppen wurden in den vergangenen Monaten viel zu wenig thematisiert. Dabei ist die Rolle der Gaslobby ein zentraler Grund, warum die Debatte um die Zukunft des Heizens so heftig war: Hier versuchte eine ganze Branche, sich mit aller Macht gegen ihr absehbares Ende zu wehren um sich weitere Milliardengeschäfte zu sichern. Wer ist diese Gaslobby?
Pipelines in die Politik
Unsere neue Studie beleuchtet die Macht der fossilen Gaslobby in Deutschland.
Über 40 Millionen Euro Lobbyausgaben
Die politische Macht der Unternehmen und Lobbyverbände der Gasindustrie lässt sich anhand ihrer hohen Lobbyausgaben beziffern: Über 40 Millionen Euro brachten Unternehmen und Lobbyverbände der Gasindustrie für ihre Lobbyarbeit im Jahr 2021 auf. Hinzu kamen weitere Millionen aus der gasverbrauchenden Industrie, davon allein 3,8 Millionen Euro vom mächtigen Konzern BASF. In der Heizungsdebatte traten zudem der Hauseigentümerverband Haus und Grund sowie die Lobby der (Gas-)Heizungsbauer als Bremser auf.
Die Akteure der Gaslobby sind weniger bekannt als etwa die großen Autokonzerne oder Stromkonzerne. Entlang der Gaslieferkette sind dies mächtige Gasförder- und Handelskonzerne wie Wintershall, VNG, das Gazprom-Nachfolgeunternehmen SEFE, Netzbetreiber wie Open Grid Europe oder Eon oder Thüga als Anteilseigner zahlreicher Stadtwerke.
Ihre wirtschaftlichen Interessen sind klar: Sie wollen den Ausstieg aus dem Gas so lange wie möglich aufhalten und dazu auch die bestehende Gasinfrastruktur noch möglichst lange weiternutzen. Dafür stellen sie in Aussicht, dass das Gasnetz zukünftig mit Wasserstoff auch klimafreundlich verwendet werden könne. Doch dies ist laut Expertenmeinung nur sehr eingeschränkt möglich. Stattdessen drohe eine Ausrichtung auf Wasserstoff zur Kostenfalle zu werden.
Mächtige Lobbyverbände für das Heizen mit Gas
Die Gaskonzerne haben sich in zahlreichen Lobbyverbänden organisiert, die sich allesamt in den vergangenen Monaten in der Debatte um das Heizungsgesetz lautstark zu Wort gemeldet haben: Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bewirbt in seiner Gemeinschaftsaktion Gas weiterhin die breite Verwendung von Erdgas, und bietet seinen Mitgliedern dafür umfangreiche Marketingtools und Werbematerialien an. Dazu zählt auch die Werbung für den weiteren Einbau von Gasheizungen. Erst jüngst hat der BDEW eine eigene Abteilung Wärme aufgebaut, um für die Lobbyarbeit rund um das Gebäudeenergiegesetz mehr Ressourcen zu haben. Mit der früheren Grünen-Politikerin Kerstin Andreae an der Spitze ist der Draht ins grün-geführte Wirtschaftsministerium kurz.
Ein weiterer großer Verband der Branche ist der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Dieser Verband hat die Funktion, Standards für die Branche auszuarbeiten, die dann im Rahmen der „technischen Selbstverwaltung“ staatlich anerkannt werden. Zusätzlich agiert er aber ähnlich wie der BDEW als Lobbyverband für die Branche. Der Gaslobbyverband Zukunft Gas bündelt ebenfalls die Interessen großer Gaskonzerne und trägt diese über großangelegte Kampagnen an die Politik und an die Öffentlichkeit heran. Zusätzlich bindet er Stadtwerke in seine Lobbyarbeit ein, indem er diese durch Marketinginstrumente umwirbt und ihnen spezielle Veranstaltungen anbietet.
Lobbyprojekt: „Transformationspfad für die neuen Gase“
In der Vergangenheit haben Gaskonzerne mit Hilfe von PR-Agenturen das fossile Erdgas als vermeintlich saubere Zukunftsenergie inszeniert. So wurde Erdgas lange als sauberer und klimafreundlicher Energieträger und sogenannter „Partner der Energiewende“ dargestellt und wahrgenommen. Ausgeblendet wird dabei, dass Erdgas durch Methanlecks entlang der Lieferkette ein höchst klimaschädlicher Energieträger ist.
Mitten in der Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz stellten die drei einflussreichen Lobbyverbände BDEW, DVGW und Zukunft Gas gemeinsam einen Transformationspfad für die neuen Gase vor. Darin erklären die Verbände, dass die Gaswirtschaft nun zur Wasserstoffwirtschaft werde. Sie verbreiten damit weiter den Mythos, dass Wasserstoff eine Zukunftstechnologie sei, die fossiles Erdgas klimafreundlich ersetzen könne. Zu den „neuen Gasen“ zählen die Verbände außerdem auch Biogas, das ebenfalls nur eingeschränkt zur Verfügung steht – oder auch Wasserstoff, der aus Gas hergestellt wird und damit nicht klimaneutral ist.
Fragwürdig bei dieser Studie ist auch, dass sich die Szenarien über die zukünftige Verfügbarkeit und Kosten von grünem Wasserstoff fast nur auf Studien beziehen, die von der Gasindustrie selbst beauftragt und finanziert wurden. Einzig eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) ist nicht von der Gasindustrie bezahlt, doch auch das EWI ist eng mit der Gasindustrie verbunden. Hier scheint man sich die Kosten und Verfügbarkeit von Wasserstoff im eigenen Interesse schönrechnen zu wollen.
Die Gaslobby und die Rolle der Stadtwerke
Eine zentrale Rolle beim Streit über die Zukunft des Heizens spielen die vielen lokalen Stadtwerke, die vor Ort unter anderem für die Energie- und Wärmeversorgung zuständig sind. Ihnen gehören zudem die Gasverteilnetze, die vor allem die Haushalte mit Gas zum Heizen versorgen. Diese Gasverteilnetze bringen den Stadtwerken bislang große Einnahmen. Sie werden aber dann weniger genutzt, wenn Haushalte für die Wärmewende auf Wärmepumpen oder Kommunen auf Fernwärmenetze umsteigen. Das stellt die Stadtwerke ohne Frage vor große Herausforderungen.
Stadtwerke haben in aller Regel kommunale Anteilseigner. Was jedoch viele nicht wissen: Große Konzerne wie Eon oder Thüga haben sich in mehrere hundert Stadtwerke eingekauft und nehmen so geballt Einfluss auf deren zukünftige Ausrichtung. Sie haben dabei das Interesse, dass ihnen die Stadtwerke als Abnehmer von Gas erhalten bleiben und greifen ebenfalls den Mythos vom Heizen mit Wasserstoff auf. Vor allem diese Stadtwerke tun sich schwer damit, sich von ihrer Abhängigkeit vom Gas zu lösen.
Der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) ist der zentrale Lobbyverband der Stadtwerke. Er hat die Aufgabe, diese verschiedenen Interessen zu bündeln. In der Debatte ums Heizen mit Wasserstoff hat er sich mit einer eigenen Plattform klar positioniert: Gemeinsam mit dem Verband DVGW betreibt der VKU die Lobby-Plattform H2vorOrt, in der etwa 40 Stadtwerke Mitglied sind. Die Plattform propagiert, dass Stadtwerke ihre Gasverteilnetze auf die Verwendung für Wasserstoff vorbereiten. H2vorOrt war damit ein mächtiger Akteur, der im Namen der Stadtwerke Lobbyarbeit betrieben hat, um das Heizen mit Wasserstoff im Heizungsgesetz zu verankern.
Lobbyplattform H2vorOrt spannt SPD-Politiker ein
Dazu hat H2vorOrt auch relevante Politiker eingebunden – so zum Beispiel den Düsseldorfer SPD-Bundestagsabgeordneten Andreas Rimkus. Rimkus ist der Wasserstoffbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion und wirbt in dieser Rolle für die breite Verwendung von Wasserstoff. Er tritt regelmäßig auf Lobbyevents zu Wasserstoff auf. Auf der Webseite von H2vorOrt lässt er sich so zitieren: „Die Transformation der Gasverteilnetze ist mitentscheidend für das Entstehen einer H2-Wirtschaft. Dazu leistet H2vorOrt einen sehr wertvollen Beitrag.“ In seiner Funktion als Berichterstatter beim Heizungsgesetz war er ein zentraler Akteur, der – wie Insider berichten – das Heizungsgesetz mit aufgeweicht hat.
Ähnlich wie H2vorOrt bindet auch der PR-Lobbyverband Zukunft Gas die Stadtwerke für seine Lobbyarbeit ein. In diesem Verband sind noch rund 90 Stadtwerke Mitglied und werden dort über die spezielle Plattform H2kommunal eingebunden. Auch hier geht es darum, den Stadtwerken zu suggerieren, sie könnten ihre Gasverteilnetze zukünftig für Wasserstoff nutzen. Auch bei Zukunft Gas waren Politiker:innen über einen Beirat eingebunden – darunter der Kasseler SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels. Gremmels trat zwar Ende 2021 aus dem Beirat von Zukunft Gas aus, blieb aber weiter im Kontakt. Auch Gremmels war als Energiepolitiker für die SPD ein zentraler Akteur bei der Erarbeitung des Heizungsgesetzes.
Die FDP als Sprachrohr der fossilen Lobby
Neben der SPD hat sich vor allem die FDP koalitionsintern als Bremser beim Heizungsgesetz gezeigt. Wie bereits in der Debatte um das Verbrenner-Aus fiel die FDP vor allem dadurch auf, dass sie mit dem Narrativ der „Technologieoffenheit“ abermals Lobbyarbeit für die Nutzung eines umstrittenen Energieträgers machte – damals den Verbrennungsmotor mit E-Fuels, jetzt das Heizen mit Wasserstoff. Innerhalb der FDP war es vor allem der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, der auf einem Parteitag gegen die eigene Parteispitze opponierte und diese mit einem Antrag dazu drängte, einen bereits ausgehandelten Kompromiss zum Heizungsgesetz noch weiter zu verwässern.
Dazu ist wichtig zu wissen: Schäffler ist Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik Prometheus, die den Begriff Freiheit missbraucht, um jegliche staatliche Eingriffen, zum Beispiel zum Schutz des Klimas, abzuwehren. Prometheus steht auch im Lobbyregister, verweigert dort aber die Auskunft über ihre Spender und ihre Lobbyausgaben. Auch auf Nachfrage verschweigt Schäffler, wer den Verein finanziert.
Prometheus ist Teil des „Atlas Network“, das unter anderem vom Öl- und Gaskonzern ExxonMobil, vom Tabakkonzern Philipp Morris und den rechtskonservativen US-Milliardären Koch-Brothers gesponsert wurde. Das Netzwerk fördert weltweit neoliberale und libertäre Organisationen. Schäffler bezeichnet sich selbst als „Klimaskeptiker“ und verharmlost die Klimakrise etwa mit solchen Aussagen: „Und wird es dennoch ein wenig wärmer, dann freue ich mich über die besseren Ernteerträge, die milderen Winter und den besseren Wein.“
„Habecks Heiz-Hammer“ und die Rolle der Bild-Zeitung
Ein besonders auffälliger Akteur in der Heiz-Debatte war die Bild-Zeitung vom Springer-Verlag. Über Monate machte das Blatt Stimmung gegen „Habecks Heiz-Hammer“. Viele Aussagen der Bild-Zeitung waren nachweislich falsch, stellte der Journalist Malte Kreutzfeldt in einer breiten Auswertung fest. Die Welle an Hetze und Fehlinformation zu einem klimapolitischen Vorhaben war beispiellos und prägte die politische und öffentliche Debatte wesentlich. Vor allem die FDP nutzte dies für ihren koalitionsinternen Widerstand gegen das Heizungsgesetz.
Auch hier ist die Information wichtig, dass ein fossiler Konzern beteiligt ist: Der Konzern KKR hält 35,6 Prozent der Anteile des multinationalen Medienkonzerns Springer. In einer Studie aus dem Jahr 2022, die die Portfolios der größten Beteiligungsgesellschaften der Welt auf klimaschädliches Investment auswertete, schnitt KKR am drittschlechtesten ab. Ob KKR direkten Einfluss auf die Berichterstattung in der Bild-Zeitung ausübt, lässt sich allerdings nicht nachweisen.
Klar ist aber: KKR hat fossile Interessen und profitiert davon, wenn in Deutschland Gesetze verhindert werden, die den Ausstieg aus dem Erdgas beschleunigen. Und die sogenannten „Döpfner-Leaks“ haben außerdem gezeigt, dass Springer-Chef Döpfner durchaus Einfluss auf die Berichterstattung nimmt – und zwar klar gegen mehr Klimaschutz.
Hoffnungsschimmer: Stadtwerke bieten der Gaslobby die Stirn
Der Durchmarsch der Gaslobby beim Heizungsgesetz lässt sich nicht in allen Einzelheiten aufklären – zumindest noch nicht. Im Dunkeln bleibt, welche Kontakte es während der Aushandlung des Heizungsgesetzes gab und wer möglicherweise an welchen Papieren oder Sprechzetteln mitgeschrieben hat. Hier braucht es dringend mehr Transparenz – etwa in Form einer Lobbyfußspur, die den Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess in den Ministerien sichtbarer machen würde.
In unserer umfangreichen Gaslobby-Studie konnten wir aber zeigen, wie langfristig die Gaslobby ihre Narrative und Netzwerke aufgebaut hat und wie politische Institutionen ihre Türen für die Gasindustrie weit geöffnet haben. Damit verfügte die Gasindustrie über beste Pipelines in die Politik. Diese langfristige Vorarbeit hat sich für die Gasindustrie nun offenbar ausgezahlt: Ministerialbeamte und Bundestagsabgeordnete standen bereits unter dem Einfluss der Narrative der Gaslobby und waren teils schon in deren Netzwerke eingebunden.
Auch wenn das Heizungsgesetz vermutlich nach der Sommerpause beschlossen wird, ist die Debatte um die Zukunft des Heizens noch längst nicht beendet. Hier rücken nun Stadtwerke wieder stärker in den Fokus – und hier zeigen sich einige Spaltungen: Auf der einen Seite spricht sich der VKU im Namen der Stadtwerke für die Wasserstoff-Option beim Heizen aus. Auf der anderen Seite warnt ein Stadtwerke-Verbund rund um die Stadtwerke München vor „Wasserstoff als Kostenfalle“.
Ein Hoffnungsschimmer der letzten Wochen: Bereits mehrere Stadtwerke sind aus dem Gaslobby-Verband Zukunft Gas ausgetreten – u.a. auch als Reaktion auf einen offenen Brief, in dem wir sie zum Austritt aufforderten. Manche Begründungen, die die Stadtwerke dabei liefern, lassen aufhorchen. So sagte etwa Falk-Wilhelm Schulz, Geschäftsführer der Stadtwerke Tornesch gegenüber der Schleswig-Holsteinischen Zeitung: „Wir müssen aus dem Gas aussteigen – was soll ich da mit einem Lobbyverband, der für Gas aus erneuerbaren Quellen Energien wirbt?“ Das Heizen mit Wasserstoff – so Schulz – sei „der totale Quatsch“ und viel zu teuer. Es bleibt zu hoffen, dass solche Stimmen in der Öffentlichkeit lauter werden – und Verbraucher:innen und Kommunen vor Fehlinvestitionen schützen und dem Klimaschutz nützen.
Stadtwerke raus aus der Gaslobby!
Der Lobbyverband Zukunft Gas macht massiv Druck für Geschäfte mit klimaschädlichem und langfristig teurem Erdgas. Dafür spannt er auch kommunale Stadtwerke vor seinen Lobby-Karren. Unterstützen Sie unseren Appell an die Stadtwerke.