Die Besetzung des Autogipfels am 27. November 2023 spricht Bände: Die Chefs von VW, Mercedes und BMW sind mit dabei – flankiert von anderen Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und deren Betriebsräte und der IG Metall. Mit Agora Verkehrswende ist einzig ein Umwelt-Think Tank auf dem Gipfel vertreten. Zudem sind zwei Wissenschaftler:innen des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität dabei.
Mit anderen Worten: Weder Umwelt- noch Verbraucherverbände noch andere Verkehrsbranchen waren bei dem hochrangigen Treffen dabei. Das widerspricht unserer Einschätzung nicht nur dem Ampel-Koalitionsvertrag, sondern auch Kanzler Scholz‘ Ankündigung eines ausgewogeneren Mobilitätsgipfels. Es braucht endlich einen Mobilitätsgipfel mit ausgewogener Besetzung und angemessener Themenbreite!
Verwirrende Berichterstattung: Laut Bundesregierung und zahlreichen Medienberichten waren angeblich doch Umweltverbände eingeladen
Waren nun Umweltverbände zum Autogipfel eingeladen oder nicht? Zu dieser Frage gab es etwas Verwirrung. Schon im Vorfeld des Gipfels hatte ein Regierungssprecher auf der Regierungspresse-konferenz angekündigt, dass „Teilnehmerinnen und Teilnehmer (…) aus dem Bereich der Umweltverbände und Wissenschaft“ eingeladen seien. Diese Aussage wiederholte die Bundesregierung in der Pressemitteilung zum Ende des Autogipfels. In der Berichterstattung über den Gipfel wurde diese Aussage aufgegriffen. Dort hieß es dann, es seien „Vertreter von Umweltverbänden“ eingeladen gewesen, so etwa in der Tagesschau oder im Deutschlandfunk.
Offen blieb aber zunächst, wer diese angeblich anwesenden Umweltverbände waren. Aus internen Kreisen wurde LobbyControl bestätigt, dass kein Umweltverband anwesend war. Möglicherweise wurde der Think Tank „Agora Verkehrswende“ als Umweltverband angesehen. Doch von einem Plural - also gleich mehreren Umweltverbänden wie in vielen Medien berichtet - kann erst recht nicht die Rede sein.
Auf unsere Nachfrage wiederholte das Bundespresseamt zunächst ihre Formulierung aus den Pressemitteilungen, nannte aber keine konkreten anwesenden Umweltverbände und veröffentlichte auch keine Teilnahmeliste. Wir forderten darauf erneut Klarheit ein. Die Bundesregierung bestätigte darauf hin zwei Tage nach dem Gipfel, dass kein Umweltverband anwesend war.
Gleichzeitig schrieb ein Regierungssprecher, dass das Format laut Koalitionsvertrag vorsieht, dass "Vertreterinnen und Vertreter der Automobil- und Mobilitätsbranche, Umwelt- und Verkehrsverbände, Sozialpartner, Wissenschaft, Länder und kommunale Spitzenverbänden" zusammenkommen. Die Besetzung variiere aber je nach Thema. Übersetzt: Eigentlich müssten Umweltverbände dabei sind, waren sie dieses Mal aber nicht - warum auch immer.
Vermutlich hat die Bundesregierung den Klima-Think Tank Agora als Umweltverband angesehen, was ja durchaus verzeihlich ist. Einen Anlass, ihre Kommunikation zu korrigieren, sah die Bundesregierung aber nicht. Die irreführende Meldung, dass Umweltverbände bei dem Gipfel dabei waren, hatte derweil ihre mediale Runde gedreht.
Das ist problematisch, denn: Es ist keine Lappalie, wer zu hochrangigen Regierungsgipfeln eingeladen ist und wer nicht – noch dazu, wenn es in der Vergangenheit immer wieder Kritik daran gab und es gegenteilige Ankündigungen der Bundesregierung dazu gab. Dazu braucht es dringend korrekte und nachvollziehbare Informationen.
Aktualisierung vom 30.11.2023: Wir haben die Antwort der Bundesregierung auf unsere Nachfrage dazu nachträglich eingearbeitet.
Gemeinwohl statt Klüngelpolitik
Schon seit Jahren kritisieren wir das Format Autogipfel. Der Grund: Wenn die Autokonzerne weitgehend unter sich sind, können sie sich in vertrauter Runde sicher sein, dass ihre Interessen gehört werden. Dabei geht es vor allem um eine kurzfristige Förderung ihrer bestehenden Geschäftsmodelle. Zuletzt wurde in diesen einseitig besetzten Lobby-Gipfeln vor allem über finanzielle Unterstützung der Autoindustrie beraten, wie etwa Kaufprämien.
Doch eine solche einseitige Fokussierung steht im Widerspruch einer langfristig ausgerichteten Verkehrspolitik, die zukunftsfähige Mobilitätskonzepte anstrebt und so dem Gemeinwohl dient. Um diese zu beraten, braucht es eine breitere Beteiligung: Dazu zählen vor allem auch Umwelt- und Verbraucherverbände und andere Verkehrsträger.
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Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung kündigte an, dass Beratungen über die Zukunft der Automobilindustrie zukünftig ausgewogener sein sollten. Doch daran hat sich Scholz bereits beim ersten Autogipfel seit Beginn der neuen Wahlperiode nicht gehalten: Immerhin wurde dort ein Umweltverband nachgeladen, und er kündigte nach scharfer Kritik eine breitere Besetzung zukünftiger Gipfel an. Doch mit Blick auf die jetzige Teilnehmer:innen wurde dieses Versprechen erneut nicht erfüllt.
Wer ist beim Autogipfel dabei?
Politik: Bundeskanzler, Bundesminister:innen (BMWK, BMDV, BMAS, BMUV), Ministerpräsidenten Hessen und Niedersachsen
Wirtschaft: Autokonzerne: VW, Mercedes, Ford, Opel, Tesla; BMW war verhindert; Zulieferer: Bosch, ZF Friedrichshafen, Continental; weitere Unternehmen: Infineon, Northvolt; Verbände: VDA, BDEW, VDIK
Arbeitnehmer:innen/Gewerkschaften: IG Metall, Gesamtbetriebsräte der anwesenden Unternehmen
Sonstige: Agora Verkehrswende (klimapolitischer Think Tank), CAM (Think Tank zur Autoindustrie); vier Wissenschaftler:innen in ihrer Funktion als Vorsitzende vom Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität und Vorsitzende Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft
Wer fehlt?
u.a.: Umweltverbände, Verbraucherverbände, Sozialverbände, Vertreter:innen anderer Verkehrsbranchen (z.B. Rad- und Schienenverkehr, öffentlicher Verkehr)
Quelle: Informationen von LobbyControl. Eine Teilnahmeliste hat die Bundesregierung auf Nachfrage nicht veröffentlicht.
Einseitige Expertengremien im Wirtschafts- und Verkehrsministerium
Die angekündigte ausgewogenere Beratung wurde offenbar nur ansatzweise bei den Expertengremien der Bundesregierung umgesetzt. Der Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität (EKM) wurde in dieser Wahlperiode im Verkehrsministerium (BMDV) eingerichtet. Dieser Kreis ist ebenfalls recht unausgewogen besetzt, hat aber immerhin einen größeren Anteil an Vertreter:innen aus Wissenschaft, Forschungsinstituten und Think Tanks unterschiedlicher Ausrichtung dabei. Daneben sind auch hier Wirtschaftsverbände, Agora Verkehrswende, IG Metall, aber auch der ADAC vertreten. Umweltverbände fehlen auch hier, aber auch die Autokonzerne selbst.
Im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima angesiedelt ist der Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft (ETA), der ebenfalls Vertreter:innen von Wissenschaft, Wirtschaft und Agora Verkehrswende umfasst. Beide Gremien setzen die Arbeit der früheren Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) fort. Diese behandelte überwiegend technologische Fragen – mit Ausnahme der AG 1 zum Thema Klima, die nun in ähnlicher Besetzung in den Expertenkreis im BMWK übergegangen ist.
Beide Expertengremien sind auch in die „Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft der Bundesregierung“ (STAM) eingebunden, die den Autogipfel organisiert. Es bleibt offen, welchen Einfluss diese Gremien auf die Bundesregierung tatsächlich haben, wenn parallel die hochrangigen Autogipfel weiterhin einseitig besetzt sind.
Neuausrichtung der Autoindustrie braucht breite und ausgewogene Beteiligung
Eine Klüngelrunde im Kanzleramt ist der völlig falsche Weg, um über die großen Herausforderungen im Bereich Mobilität zu beraten – gerade angesichts der Klimakrise, der angespannten Haushaltslage und der Krise in der Autoindustrie. Statt Klientelpolitik braucht es eine klare Ausrichtung auf zukunftsfähige Mobilitätskonzepte – zugunsten des Klimas, des Verbraucherschutzes und langfristig gesicherter Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland.
Die Autokonzerne haben sich – auch durch ihren immensen Lobbyeinfluss – bislang immer wieder als Bremser beim zukunftsfähigen Umbau des Verkehrssektors erwiesen. Fachleute kritisieren, dass sich die Autoindustrie mit ihrem Fokus auf schwere „Premiummodelle“ selbst in eine anhaltende Absatzkrise hineinmanövriert habe.
Auch in Sachen Klimaziele hinkt der Verkehrssektor hinterher, wie erst vor wenigen Monaten der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung feststellte. Es ist daher auch thematisch einseitig, wenn auf dem Autogipfel nur über die Zukunft der E-Mobilität beraten werden soll und andere verkehrspolitische Themen außen vor bleiben.
Angesichts der Haushaltskrise mutet es zudem gerade zu dreist an, wenn die Autobranche bereits jetzt gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel ankündigt, dass sie auf klimaschädliche Subventionen – etwa das Dienstwagenprivileg – keinesfalls verzichten will. Die Aufgabe der Bundesregierung ist es nicht, vorrangig die Geschäftsinteressen der Autolobby zu schützen, sondern den Verkehrssektor – einschließlich der Autoindustrie – zukunftsfest aufzustellen. Das ist ein schwieriger Prozess, der unbedingt ausgewogene und breite Beteiligung erfordert. Ein breites Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbänden macht es vor und formulierte im Vorfeld des Autogipfels gemeinsame Forderungen zur Zukunft der Autoindustrie.
Weitere Informationen
Unsere Pressemitteilung zum Autogipfel am 27.11.2023: Wieder ein einseitiger Autolobby-Gipfel im Kanzleramt