Im Vorfeld der Parteien haben sich Lobbyorganisationen gegründet, die Unternehmen privilegierte Zugängen zur Politik verschaffen. Die Lobby-Verbände rund um CDU, CSU und FDP haben lange Traditionen und sind besonders groß, doch auch SPD und Grüne haben jüngst mit ähnlichen Organisationen nachgezogen. Die Verbände fallen durch mehrere problematische Konstruktionen auf: Es gibt rechtswidrige Mitgliedschaften in Parteivorständen (CDU und FDP), zahlreiche Politiker:innen mit Funktion in diesen Verbänden sind ihren Offenlegungspflichten in puncto Nebentätigkeiten nicht nachgekommen (vor allem SPD). Und im Umfeld der Grünen organisieren sich vor allem Unternehmen, die traditionell der Partei wenig nahestehen. Unsere neueste Recherche zeigt einmal mehr, dass alle Parteien auf ausreichend Abstand zur Wirtschaftslobby und ausgewogenen Beteiligung in ihren eigenen Reihen achten sollten.
Lobbyverbände mit Parteizugängen: Wirtschaftsnahe Verbände im Vorfeld der Parteien
Wirtschaftsverbänden wird traditionell eine besondere Nähe zum klassischen bürgerlichen Lager aus Unionsparteien und FDP zugeordnet. So ist es auch kein Zufall, dass wirtschaftsnahe Vorfeldorganisation zunächst im Umfeld von CSU, CDU und FDP entstanden sind. Doch jüngst haben sich auch im Umfeld von SPD und Grünen wirtschaftsnahe Vorfeldorganisationen gegründet. Nachdem wir uns schon lange intensiv mit dem Wirtschaftsrat der CDU befasst haben, richten wir nun den Blick auf alle wirtschaftsnahen Partei-Vorfeldorganisationen – auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede und auf ihre teils problematische Rolle.
Gemeinsam haben alle diese Verbände, dass sie formal keine Parteiorganisationen sind, aber allesamt im Umfeld oder auch „Vorfeld“ der Parteien auftreten und Unternehmen gegen die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen Zugänge zur jeweiligen Partei und einzelnen Parteimitgliedern ermöglichen. Auch die Art der Finanzierung ähnelt sich: Neben Mitgliedsbeiträgen werben die parteinahen Vereine Sponsorengelder ein. Doch vor allem mit Blick auf Größe und Machtstellung sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Vorfeldorganisationen allerdings gewaltig.
Wirtschaftsnahe Parteivorfeld- organisation | Nahe- stende Partei | Grün- dungs- datum | Mitglieder | Finanz- angaben; davon Lobby- ausgaben 2021 | Besondere Ver- flechtungen mit der Partei |
Wirtschaftsbeirat Bayern | CSU | 1948 | ca. 1.900 | Beitrags- volumen von 850.000 Euro; 40.001-50.000 Euro | Präsidentin Angelika Niebler ist zugleich MdEP und stell- vertretende CSU- Vorsitzende |
Wirtschaftsrat der CDU | CDU | 1963 | ca. 12.000 Mitglieder | Keine Angaben; 4,76 Mio. Euro | rechtswidriger Gaststatus im CDU-Parteivorstand |
Liberaler Mittelstand | FDP | 1984/ 1996 | ca. 1.800 | Keine Angaben; Eintrag fehlt | rechtswidriger Gaststatus im FDP-Parteivorstand |
Wirtschaftsforum der SPD | SPD | 2015 | 400 | 1,5 Mio. Euro Gesamt- einnahmen; 375.000 Euro | Einbindung vieler SPD-Politiker:innen über einen politischen Beirat |
Grüner Wirtschaftsdialog | Die Grünen | 2018 | ca. 80 | 2020: 334.000 Euro; 165.000 Euro | ein amtieren- der grüner Politiker im Beirat |
Quellen: eigene Angaben der Verbände laut Webseite oder Anfrage, für die Lobbyausgaben 2021: www.lobbyregister.bundestag.de (ergänzt am 1.3.2022), besondere Verflechtungen: eigene Recherche
Groß, bekannt, einflussreich: Wirtschaftsrat der CDU
Der Wirtschaftsrat der CDU ist eine der mächtigsten Lobbyorganisationen mit Einfluss auf die CDU – erst jüngst bremste er bei den europäischen Klimazielen oder beim Lieferkettengesetz. Lange Jahre war der heutige Parteivorsitzende Friedrich Merz das Aushängeschild des Verbands - erst im November 2021 hat er nicht erneut zum Vizepräsidentin des Verbands kandidiert. Die Rolle des Wirtschaftsrats zwischen Lobbyverband und Quasi-Parteigremium haben wir im März 2021 ausführlich in einer Studie beleuchtet – mit einem besonderen Fokus auf der Rolle des Verbands in der Klimapolitik.
In einer weiteren Veröffentlichung haben wir die historische Rolle des Verbands als Geldsammel- und Unterstützerverein für das CDU-Umfeld in den 1970er Jahren beschrieben. Heute finanziert sich der Wirtschaftsrat neben Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen zunehmend auch über Sponsorenzahlungen für Veranstaltungen. Durch seine Organisationsform als Berufsverband profitiert der Wirtschaftsrat auch heute noch von Steuervorteilen.
Eine besonders problematische Konstruktion wurde nun auch unter der neuen Parteispitze fortgeführt: Die Präsidentin des Wirtschaftsrats ist Dauergast im CDU-Parteivorstand. Diese Quasi-Mitgliedschaft im zentralen Parteigremium ist nicht nur politisch fragwürdig, sondern nach Ansicht prominenter Parteienrechtler:innen auch noch rechtswidrig. Das belegt auch ein Rechtsgutachten, das wir Anfang diesen Jahres veröffentlicht haben.
Weder die CDU noch der neue Parteivorsitzende Friedrich Merz haben bislang auf unsere Vorwürfe reagiert. Sie verweigern uns gegenüber eine Stellungnahme zu dem Rechtsgutachten. Stattdessen haben sie Anfang Februar die Wirtschaftsratspräsidentin Astrid Hamker erneut als Dauergast in ihren Vorstand berufen – ein Vorgang, gegen den ein CDU-Mitglied mit unserer Unterstützung nun rechtlich vorgehen wird.
Es gibt gute Gründe, warum der Gesetzgeber vorgesehen hat, dass partei-externe Verbände nicht in Parteivorständen sitzen dürfen: Es braucht klare Grenzen zwischen Lobbyinteressen und Parteianliegen. Und es braucht klare innerparteiliche Strukturen ohne Bevorteilung bestimmter Gruppen. Im Umfeld der CDU gibt es außerdem die parteiinterne Vereinigung „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“, die ebenfalls Unternehmensinteressen in die Partei trägt. Anders als der Wirtschaftsrat ist die MIT allerdings laut Satzung eine Parteivereinigung und ist damit rechtlich an die Partei gebunden, d.h. sie ist an das Parteigesetz gebunden und die CDU hat gewisse Mitspracherechte in der Vereinigung.
Der älteste Verband: der CSU-nahe Wirtschaftsbeirat Bayern
Die älteste wirtschaftsnahe Parteivorfeldorganisation ist der CSU-nahe Wirtschaftsbeirat Bayern (auch genannt Wirtschaftsbeirat der Union). Dieser hatte sich bereits 1948 gegründet und war Vorbild bei der Gründung des Wirtschaftsrats der CDU. Der Verband vertritt die Interessen von über 1.900 Mitgliedern aus der bayerischen Wirtschaft gegenüber der Politik und hat ein Beitragsvolumen von 850.000 Euro (Stand 2021). Neben Mitgliedsbeiträgen nimmt der Wirtschaftsbeirat auch Sponsorengelder für zentrale Veranstaltungen ein. Mitglied sind sowohl Unternehmen als auch zahlreiche Einzelpersonen. Präsidentin ist die Europa-Abgeordnete und stellvertretende CSU-Parteivorsitzende Angelika Niebler – sie ist damit ein zentrales Bindeglied zwischen dem Lobbyverband und der Partei.
Der Wirtschaftsbeirat sendet zwar kein eigenes Mitglied in den CSU-Parteivorstand und betont auch seine Parteiunabhängigkeit, ist aber auch über zahlreiche andere CSU-Funktionär:innen in den eigenen Reihen aufs engste mit der Partei verbunden. Der Wirtschaftsrat organisiert regelmäßig Veranstaltungen mit Gästen überwiegend aus der bayerischen Politik und Wirtschaft.
Zu den Gästen gehören CSU-Politiker:innen aus Brüssel, Berlin und Bayern, Unternehmer:innen und Verbandsvertreter:innen, aber zum Beispiel auch Fritz Vahrenholt, einer der prominentesten deutschen Skeptiker der Klimakrise. Auf Einladung der Arbeitsgruppe Energie und Umwelt sprach er zum Thema: „Unerwünschte Wahrheiten – Klima- und Energiepolitik auf dem Prüfstand“. Der Wirtschaftsbeirat bot hier also einem bekannten und umstrittenen Klimaskeptiker eine Bühne mit Zugang in CSU-Kreise.
Mittelstandsverband mit Zugang zum FDP-Parteivorstand
Der FDP-nahe Liberale Mittelstand gründete sich 1984 als FDP-nahe Wirtschaftslobbyorganisation zunächst unter dem Namen Vereinigung Liberaler Mittelstandspolitik in Bayern, ab 1996 trat er als Liberale Initiative Mittelstand auf und wurde bei der Gründung vom Parteipräsidium „wohlwollend zur Kenntnis genommen", ab 2004 bezeichnet er sich als offiziell als Bundesvereinigung Liberaler Mittelstand. Der Liberale Mittelstand ist mit ca. 1800 Mitgliedern ähnlich groß wie der Wirtschaftsrat Bayern. Die Nähe zwischen Partei und Lobbyverband ist äußerst eng: Genau wie beim Wirtschaftsrat der CDU sitzt auch deren Vorsitzender Olaf in der Beek als ständiger Gast im Parteivorstand der FDP.
Laut André Horenburg, Anwalt und Autor des von uns beauftragen Rechtsgutachten zum CDU-Parteivorstand, widerspricht auch diese Praxis dem Parteiengesetz und der FDP-Parteisatzung. Auf unsere Anfrage hin verweist die FDP darauf, dass der Liberale Mittelstand als Vorfeldorganisation in der Satzung benannt wird und als solche Teilnahmerecht am Parteitag hat. Die Erwähnung in der Satzung bezieht sich aber nur auf den Parteitag und nicht auf den Parteivorstand und ist damit für die rechtliche Einschätzung nicht relevant.
Besondere Nähe zur Partei entsteht dadurch, dass das Büro des Liberalen Mittelstand sich im selben Gebäude wie die Bundesparteizentrale befindet. Auch das Corporate Design des Verbands ist dem der FDP auffällig ähnlich. Zwar berichtet die Partei in ihren Geschäftsberichten über die Aktivitäten ihrer Vorfeldorganisation, Angaben zu deren Finanzierung fehlen allerdings. Der Verband selbst veröffentlicht keinen Jahresbericht, so dass er bezüglich seiner Finanzierung und Mitgliedschaft gänzlich intransparent ist. Genau wie der Wirtschaftsrat der CDU ist der Liberale Mittelstand als Berufsverband organisiert und genießt dadurch Steuervorteile.
Zu den prominenten Mitgliedern des Liberalen Mittelstands gehören zahlreiche amtierende und ehemalige Abgeordnete, Parteivorsitzende und Bundes- und Landesminister, wie zum Beispiel Rainer Brüderle, Philipp Rösler oder der kurzzeitige thüringische Ministerpräsident Thomas Kemmerich, der den Verband bis Frühjahr 2020 leitete.
Im Umfeld der FDP entstand 2016 außerdem das Wirtschaftsforum der FDP, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Unternehmer:innen und Unternehmen zu gewinnen, um einen Wiedereinzug der FDP zur Bundestagswahl 2017 zu sichern. Zu den Mitgliedern gehörten u.a. der damalige Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sowie BASF-Aufsichtsratschef Jürgen Hambrecht. Das Forum hat sich allerdings inzwischen aufgelöst.
Lobbyverband mit Nähe zur Sozialdemokratie: Das Wirtschaftsforum der SPD
Seit einigen Jahren gibt es auch jenseits des bürgerlichen Lagers Wirtschaftslobbyverbände, die als Vorfeldorganisationen dienen. Das Wirtschaftsforum der SPD gründete sich 2015. Die Präsidentin des Wirtschaftsforums und Anwältin Ines Zenke ist – wie schon in der Vergangenheit ihr Vorgänger und ehemalige TUI-Chef Michael Frenzel – zwar kein ständiger Gast im Parteivorstand, wird aber doch regelmäßig zu wirtschaftspolitischen Beratungen eingeladen, allerdings laut Wirtschaftsforum nur „sofern dies ausdrücklich und themenspezifisch gewünscht ist“.
Das SPD-Wirtschaftsforum hat 400 Mitglieder und verfügt über Gesamteinnahmen – ganz überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen – von rund 1,5 Millionen Euro. Der frühere Schatzmeister des Wirtschaftsforums und frühere Finanzunternehmer und Millionär Harald Christ organisierte private Dinner-Runden für ausgewählte Mitglieder des Wirtschaftsforums. Der Investigativ-Journalist Hans-Martin Tillack hatte Einblick in interne Protokolle, die zeigen, dass zum Beispiel der damalige Chef der NRW-SPD Michael Groschek im Februar 2018 mit Vertretern mehrerer großer Energieunternehmen zusammentraf. Christ ist mittlerweile aus der SPD aus- und in die FDP eingetreten und wurde 2020 zum FDP-Schatzmeister gewählt, auch dem Wirtschaftsforum gehört er seit Januar 2020 nicht mehr an.(*)
Das Wirtschaftsforum finanziert sich neben Mitgliedsbeiträgen auch in geringem Maß über Sponsoring – und veröffentlicht jährlich seine Gesamteinnahmen aus Sponsoring (2019: 81.400, 2021: 27.500 Euro) und jeweils eine Liste seiner Sponsoren – genaue Summen pro Sponsor fehlen allerdings auch hier. Damit ist das Wirtschaftsforum weniger transparent als die Partei SPD, die nach dem sogenannten „Rent-a-Sozi“-Skandal über gesponserte Politikkontakte mittlerweile detaillierte Angaben zu ihren Sponsoren macht. Dennoch: Gegenüber den wirtschaftsnahen Verbänden von CDU, CSU und FDP ist das Wirtschaftsforum der SPD deutlich transparenter.
Grüner Lobbyverband mit parteiferner Mitgliedschaft
Der jüngste parteinahe Lobbyverband ist der Grüne Wirtschaftsdialog, der erst 2018 mit expliziter Nähe zur Partei Die Grünen gegründet wurde. Der Verband ist mit 79 Mitgliedern der deutlich kleinste der Wirtschaftsvorfeldorganisationen – doch zu diesen Mitgliedern zählen viele Großkonzerne wie Google, Deutsche Bank oder Airbus. Der Verband gibt seine Mitglieder an und veröffentlicht sein finanzielles Handlungsvolumen (2020: 334.000 Euro) – und ist damit in puncto Transparenz den parteinahen Verbänden von Union und FDP, aber auch dem SPD-Wirtschaftsforum weit voraus.
Der Verband zeigt sich in seinem Jahresbericht 2020 erfreut über sein schnelles Wachstum und kündigte bereits neue Mitglieder für das Jahr 2021 an, darunter der Konzern Amazon. Neben Förderbeiträgen seiner Mitglieder erhält der Verband außerdem Einnahmen aus Projektfördergeldern von großen Unternehmen. Sponsorengelder darüber hinaus nimmt der Verband nicht an.
Die Mitgliedsliste des grünen Wirtschaftsdialogs ist durchaus pikant: Mit Unternehmen aus den Bereichen Rüstung oder Erdöl- und Erdgasindustrie sind dort viele Konzerne vertreten, die bei der klassischen grünen Wählerschaft wohl eher nicht sehr beliebt sind. Auf Nachfrage verweist der Grüne Wirtschaftsdialog darauf, dass ihre Mitglieder sich auf die Ziele aus ihrer Satzungspräambel verpflichten und damit „die Unterstützung der Transformation hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“ und die Pariser Klimaziele unterstützen.
Im Fachforum „Security und Defence“ steht der Austausch mit der Rüstungsindustrie an, darunter beispielsweise auch mit dem umstrittenen Waffenhersteller Heckler und Koch. Der Panzerhersteller Rheinmetall gehört zu den Fördermitgliedern. Das Interesse der Konzerne dürfte dabei klar sein: Der grüne Wirtschaftsdialog ermöglicht ihnen eine Zugriff auf eine Partei, von der sie sich in Teilen bedroht sehen und bei der für sie entsprechend „viel zu holen“ ist.
Vertreter:innen des Grünen Wirtschaftsdialogs nehmen allerdings nicht qua Amt an Gremien der Partei Bündnis90/Die Grünen teil und haben dort auch kein Gastrecht. Der Verband legt außerdem wert darauf, dass er „keine Kontaktvermittlung, Einzelinteressenvertretung oder Unterstützung zum Zweck der Positionierung einzelner Firmen oder deren Vertreter:innen gegenüber politischen Mandatsträger:innen“ betreibe.
Im Sommer 2021 gründete der Verband zusätzlich einen Beirat, dessen Besetzung für die grüne Partei ebenfalls ungewöhnlich ist. Zu den Mitgliedern zählen neben früheren und amtierenden Grünen-Politiker:innen zum Beispiel auch der Wirtschaftsprofessor Lars Feld, der für seine neoliberale Haltung bekannt ist und den jüngst Christian Lindner als Berater ins FDP-geführte Finanzministerium geholt hatte, oder Michael Vassialidis, Vorsitzender der Gewerkschaft IGBCE, die für ihre kritische Haltung zum Kohleausstieg bekannt ist.
Lücken bei Angaben der Nebentätigkeiten
Die Mitglieder der parteinahen Lobbyverbände sind überwiegend Unternehmen und Unternehmer:innen sowie Freiberufler:innen. Doch gerade in den Gremien der Verbände sind auch ehemalige und amtierende Politiker:innen vertreten. Diese Nähe bringt Pflichten mit sich: Mandatsträger:innen müssen ihre Funktionen in Verbänden als Nebentätigkeiten auf der Webseite des jeweiligen Parlaments angeben. Doch viele Abgeordnete kommen diesen Offenlegungspflichten nicht nach (siehe Tabelle (pdf)). Das deutet darauf hin, dass auch in Parteikreisen die Vorfeldorganisationen nicht als parteiexterne Verbände wahrgenommen werden - und zeigt gleichzeitig, dass die Transparenzpflichten für Abgeordnete nicht ausreichend kontrolliert werden.
Ein Blick in die Verbände zeigt, dass bei allen Verbänden mehrheitlich die Angaben fehlen - mit Ausnahme des Grünen Wirtschaftsdialog, in dem keine Mandatsträger:innen Funktionen haben. Diese Daten beziehen sich für den Bundestag allerdings noch auf die letzte Wahlperiode, da die Angaben für die 2021 gewählten Bundestagsabgeordneten noch nicht vorliegen.
Als Funktionsträger im Wirtschaftsrat der CDU hatten Joachim Pfeiffer und Christian von Stetten ihre Funktionen zunächst nicht korrekt auf der Bundestagswebseite angegeben, haben dies aber nach unserer ersten Veröffentlichung zum Wirtschaftsrat der CDU inzwischen nachgeholt. Hier hat aber beispielsweise Wolfgang Schäuble seine Ehrenmitgliedschaft im Wirtschaftsrat nicht als Nebentätigkeit angegeben.
Beim Wirtschaftsbeirat Bayern haben mehrere CSU-Abgeordnete ihre Mitgliedschaft im Präsidium des Wirtschaftsbeirat Bayern nicht angegeben an – dazu zählen Peter Ramsauer (MdB) sowie die Europa-Abgeordneten Monika Hohlmeier, Markus Ferber und Manfred Weber. Bei der FDP zählt der Bundesvorsitzende des Liberalen Mittelstand Olaf in der Beek zu denjenigen, die ihre Funktion nicht angegeben haben. Von den neun Mandatsträgern im Liberalen Mittelstand geben nur zwei ihre Funktionen auf den jeweiligen Parlamentsseiten an.
Der politische Beirat des Wirtschaftsforums der SPD besteht ausschließlich aus Politiker:innen, so dass es hier in absoluten Zahlen gesehen besonders viele Verstöße gegen die Transparenzpflichten gibt bzw. gab. Dazu zählten etwa der neue Parteivorsitzende und damalige Generalsekretär Lars Klingbeil, der damalige Außenminister Heiko Maas (der auch Bundestagsabgeordneter ist) und Fraktionschef Rolf Mützenich. Mit 38 von 59 Mandatsträger:innen liegt die Quote aber noch unter der bei der CSU.
Beim Grünen Wirtschaftsdialog gibt es keine Funktionsträger:innen mit der Verpflichtung, ihre Funktion anzugeben. Als Oberbürgermeister von Darmstadt ist Jochen Partsch der einzige amtierende grüne Politiker mit einer Funktion im grünen Wirtschaftsdialog – in dieser Funktion hat er aber keine Offenlegungspflicht.
Fazit: Lobbykanäle für Unternehmen mit unterschiedlichen Problemen
Wirtschaftsverbände im Vorfeld der Parteien sind exklusive Lobbykanäle für Unternehmen. Sie schaffen ein Umfeld, das Nähe und Vertrautheit zwischen Unternehmen und Parteimitgliedern herstellt und politische Zugänge öffnet. Verstärkt wird diese Nähe durch die Zahlung von Förder- und zum Teil auch Sponsorengeldern. Im Unterschied zu anderen Lobbyverbänden sind die Vorfeldorganisationen speziell auf eine Partei ausgerichtet und werden deshalb häufig auch als parteiintern wahrgenommen, wodurch besonders enge Netzwerke entstehen.
Die Parteivorfeldorganisationen stehen für einen fließenden Übergang zwischen Parteianliegen und Unternehmenslobbyinteressen. Eine solche Vermischung von Partei- und Lobbyarbeit ist problematisch, weil damit privilegierte Zugänge nur für ohnehin finanziell gut ausgestattete Akteure hergestellt werden. Andere gesellschaftliche Gruppen werden damit potentiell benachteiligt. Zudem unterliegen die Vorfeldorganisation trotz ihrer großen Parteinähe nicht den Transparenzvorschriften des Parteiengesetzes. Ihre Finanzierung kann damit im Dunkeln bleiben. Damit werden sie ein Einfallstor für intransparente Geldflüsse in das jeweilige Parteiumfeld. Gleichzeitig genießen sie aber steuerliche Vorteile – sie sind von der Körperschaftssteuer befreit und ihre Mitglieder können ihre Beiträge steuerlich geltend machen.
Besonders kritikwürdig ist es außerdem, wenn die Verflechtungen zwischen Partei und Verband sogar rechtswidrig sind, wie im Fall der Bundesvorstände von CDU und möglicherweise auch bei der FDP. Fehlende Angaben zu den Nebentätigkeiten bestätigen zudem, dass die Organisationen nicht als Lobbyverbände wahrgenommen werden. Es zeigt zudem, dass Angaben zu Nebentätigkeiten noch immer unzureichend kontrolliert werden.
Parteien dürfen sich nicht aus Verantwortung stehlen
Parteinahe Vorfeldstrukturen der Zivilgesellschaft gibt es durch SPD-nahe Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), den Arbeitersamariterbund, Falken oder die Naturfreunde, die durch ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung traditionell eng mit der SPD verbunden sind. Tatsächlich sind die Falken und die AWO im Parteikonvent, dem höchsten Beschlussgremium zwischen den Parteitagen, als beratende Mitglieder vertreten.
Die Gewerkschaften in Deutschland haben ebenfalls traditionell enge Beziehungen zur SPD - sind dagegen aber ausdrücklich parteiübergreifend organisiert. So wird zum Beispiel immer ein Vorstandsmitglied im DGB aus dem Arbeitnehmerflügel der CDU besetzt - und als der damalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer in den SPD-Parteivorstand 2011 als beratendes Mitglied eingeladen wurde, gab es nach heftiger Kritik aus den Gewerkschaften schnell eine Absage.
Auch die klassischen Unternehmerverbände legen - trotz z.T. auch hier bestehender Nähe zu FDP oder Unionsparteien - immer wieder Wert auf ihre Überparteilichkeit. Das gleiche gilt für Umweltverbände, die thematisch bzw. ideengeschichtlich traditionell den Grünen nahestehen. Solche traditionelle oder ideologische Nähe ist nicht vergleichbar mit den engen Verflechtungen der Vorfeldorganisationen, die sich mehr oder weniger explizit auf eine Partei fokussieren und dort - wie im Fall Wirtschaftsrat und Liberaler Mittelstand - auch Sonderzugänge zum Parteivorstand haben.
Denn: Die wirtschaftsnahen Vorfeldorganisationen sind zwar formell nicht mit den Parteien verbunden, doch ihre Ausrichtung auf die jeweilige Partei ist nicht zu übersehen. Im Fall des Wirtschaftsrats und des Liberalen Mittelstands agieren sie sogar wie ein Parteigremium. Deswegen können sich die Parteien auch nicht aus der Verantwortung stehlen: Die parteinahen Verbänden sind auf das aktive Mitwirken der jeweiligen Parteimitglieder angewiesen, in deren Umfeld sie sich gegründet haben.
Werden hier die Verbindungen gekappt, verlieren die Verbände an Einfluss. Diesen Weg sollten die Parteien schnellstmöglich beschreiten. CDU und FDP sollten als ersten Schritt den Parteivorfeldorganisation die rechtswidrigen Sonderzugänge in ihre Parteivorstände entziehen, damit die die Partei die Interessen der Mitglieder vertritt und nicht die der einflussreichsten Lobbyorganisationen.
Beim Vergleich der Vorfeldorganisationen ist es wichtig zu differenzieren: Ein mächtiger und jahrzehntelang gewachsener Lobbyverband wie der Wirtschaftsrat der CDU mit seinen über 12.000 Mitgliedern und Lobbyausgaben in Höhe von 4,75 Mio Euro ist noch deutlich einflussreicher als etwa der Grüne Wirtschaftsdialog mit seinen 80 Mitgliedern und Lobbyausgaben in Höhe von 165.000 Euro. Dennoch: Gerade die drei Parteien der neuen Ampel-Regierung sind für Lobbyakteure zu zentralen Adressaten geworden und sollten deshalb besonders darauf achten, dass sie ausgewogene Zugänge für gesellschaftliche Interessenvertreter:innen herstellen.
Unsere Forderungen:
- an die Parteien und Parteimitglieder: klare Trennlinien zwischen Partei und Vorfeldorganisationen, keine Mitgliedschaft in Partei-Vorständen, Nebentätigkeiten korrekt angeben
- an die Vorfeldorganisationen: Finanzierung offenlegen, irreführende Namensgebung vermeiden
- an die Politik: schärfere Regeln für Transparenz von Nebentätigkeiten, insbesondere Sanktionen und Kontrolle
(*) In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass Herr Christ die Dinnerrunden "organisiert", also keine Vergangenheitsform gewählt. Wir haben dies korrigiert und angefügt, dass Herr Christ seit Januar 2020 aus dem Wirtschaftsforum ausgetreten ist. Wir bitten die Ungenauigkeit zu entschuldigen (28.2.2022).
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