Skandale wie die Lobbyaffäre um Philipp Amthor sind unangenehm, manchmal aber auch höchst segensreich: Sie können dazu führen, dass Missstände, die wie in Stein gemeißelt schienen, ganz plötzlich beseitigt werden. Viele Jahre lang blockierten die Unionsparteien jeden Fortschritt bei der Lobbyregulierung – und nun kann es CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gar nicht schnell genug gehen mit der Transparenz. Noch in dieser Legislaturperiode, möglichst noch im kommenden Herbst, wolle man „ein vernünftiges Lobbyregister“ einführen. Na endlich!
Allerdings: Wir haben schon bei anderen Skandalen erlebt, dass die von der Politik hoch und heilig versprochenen Konsequenzen ausblieben. So haben wir etwa trotz aufsehenerregender Sponsoring-Affären um Spitzenpersonal von CDU und SPD (Rent-a-Rüttgers, Rent-a-Sozi) immer noch keine gesetzlichen Regeln für Parteisponsoring. Denn der politische Reformeifer verpuffte, sobald die öffentliche Empörung abklang und die Schlagzeilen sich anderen Themen widmeten. Das darf nicht noch einmal passieren.
Die Transparenzgegner stehen mit dem Rücken zur Wand
Union und SPD haben inzwischen erste Gespräche über ein Lobbyregister miteinander aufgenommen. Die Konservativen können das Thema Lobbytransparenz nicht länger ausbremsen, ohne massiv an Ansehen zu verlieren – auch bei der ihnen besonders gewogenen Industrie. Ausgerechnet einer der mächtigsten Lobbyisten der Republik, BDI-Präsident Dieter Kempf, drängte letzte Woche auf die zügige Einführung des Lobbyregisters. Die Transparenzgegner innerhalb der Union stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand.
Das ist eine gute Ausgangsbasis dafür, dass die GroKo tatsächlich einen konkreten Vorschlag macht. Ob das GroKo-Modell aber Schlupflöcher groß wie Scheunentore lässt, steht auf einem anderen Blatt. Gerade bei der Lobbyregulierung hat die Politik leider häufig eine Vorliebe für möglichst schwache Vorschriften bewiesen. Deshalb gibt es etwa bei der Parteienfinanzierung oder auch bei den Nebeneinkünften für Abgeordnete fatale Lücken in den Regelwerken.
Ein Beispiel: 2009 haben wir erkämpft, dass Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte offenlegen müssen. Doch der Bundestag war nicht bereit, eine Offenlegung auf Euro und Cent vorzuschreiben. Stattdessen geben Abgeordnete ihre Einnahmen nur ganz ungefähr an - in einem groben Stufenmodell, bei dem vor allem die Einnahmen der größten Neben-Verdiener von einem diskreten Schleier des Nichtwissens umweht bleiben. Sagen wir mal so: Das ist suboptimal.
Die bestehenden Regeln: Schwammig, lückenhaft, eingeschränkt
Der Fall Amthor wirft ein grelles Licht auf viele Mängel in den bestehenden Vorschriften. Pikanterweise verkündete Bundestagspräsident Schäuble (CDU) bereits, er könne keinen Regelverstoß seines jungen Parteifreunds erkennen. Und das, obwohl die Schäuble unterstellte Bundestagsverwaltung und die Berliner Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen noch am Anfang stehen.
Mit seiner vorgreifenden Auslassung beweist Schäuble zum einen, dass die Aufsicht über Lobbyregeln besser einem unabhängigen Beauftragten anvertraut werden sollte – und nicht dem Bundestagspräsidenten, der zwangsläufig parteipolitisch befangen ist. Schäubles Satz zeigt aber auch: Unethisches Verhalten bedeutet bisher leider nicht zwangsläufig auch einen sanktionierbaren Regelverstoß. Denn die geltenden Regeln sind oft schwammig formuliert und mit zahllosen Ausnahmen und Einschränkungen versehen. Einige Beispiele:
- Geldwerte Vorteile wie die Aktienoptionen, die Amthor von Augustus Intelligence bekam, werden von den bestehenden Offenlegungspflichten nicht erfasst.
- Abgeordnete arbeiten nebenbei als bezahlte Lobbyisten, obwohl das Abgeordnetengesetz vordergründig verbietet, dass sie Geld für die Durchsetzung von Partikularinteressen annehmen.
- Wer dafür einen Vertrag als „Berater“ hat, braucht nicht einmal seine Auftraggeber zu nennen. Ein Beispiel ist Ex-Bauminister Peter Ramsauer (CSU), der allein 2019 von drei anonymen Mandanten für „strategische Beratung“ zwischen 241.000 und 445.000 Euro kassierte.
Der frühere BGH-Richter Thomas Fischer schrieb einmal, Täter müssten sich schon „extrem dumm“ anstellen, um strafrechtlich wegen Abgeordnetenbestechung belangt zu werden. Das ist bitter, aber wir lassen uns davon nicht entmutigen.
Wir brauchen Regeln, die nicht nur für „Dumme“ gelten
Der Amthor-Eklat kann eine Chance sein, auch bei den Regeln für Abgeordnete Fortschritte zu erzielen. Zumindest in der öffentlichen Debatte konnten wir in den letzten Tagen (auf buchstäblich allen Kanälen) dazu beitragen. Die ethischen Maßstäbe, denen das Recht Geltung verschaffen soll, müssen immer wieder angemahnt und eingeklagt werden, um das Bewusstsein für gute demokratische Umgangsformen geschärft zu halten. Wenn Kritik an ethischem Fehlverhalten ausbleibt, reimen sich die Freunde fragwürdiger Praktiken schnell einen Persilschein daraus zurecht.
Für Philipp Amthor, der einen „Fehler“ bisher lediglich darin sieht, sich „politisch angreifbar“ gemacht zu haben, bedeutet der Skandal vorläufig einen Karriereknick: Seine Kandidatur für den schon sicher geglaubten Parteivorsitz in Mecklenburg-Vorpommern zog er zurück. Seine zweite fragwürdige Nebentätigkeit (für die Wirtschaftskanzlei White & Case) lässt er zumindest vorübergehend ruhen. Und auch dem Amri-Untersuchungsausschuss, in dem er Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hätte befragen sollen, gehört er nicht mehr an. Amthors Arbeit im Ausschuss stand unter dem Verdacht eines Interessenkonflikts, da Maaßen laut Spiegel-Recherche ebenfalls zum Umfeld der Firma Augustus gehört.
Seine freie Zeit sollte Amthor nun vor allem nutzen, um zur Aufklärung des Falls beizutragen. Denn viele Fragen sind noch offen, von denen auch die (straf-)rechtliche Bewertung abhängt. Wie sah etwa die Vereinbarung über Aktienoptionen konkret aus, mit denen sein Lobbyeinsatz für die New Yorker Firma Augustus Intelligence offenbar belohnt wurde? Welche Rolle spielt Amthors zweite Nebentätigkeit für die Wirtschaftskanzlei White & Case? Laut Spiegel stand die Kanzlei mit Augustus in Beziehung. Und es wäre mindestens interessant zu erfahren, was das Ziel der Kontaktanbahnung zwischen Augustus und der Bundesregierung war. Amthor beklagte sich in seinem Brief an Wirtschaftsminister Altmaier über „hohe Strompreise“. Sollte Altmaier etwa für eine Firma, die am deutschen Markt nicht einmal tätig ist, einen Sondertarif aushandeln?
Kennzeichenpflicht für Lobbyisten
Ein Lobbyregister hätte zwar nicht alle diese Fragen vorab beantwortet – aber manches frühzeitig erkennen lassen. Es hätte sichtbar gemacht, dass eine New Yorker Firma auf die deutsche Politik Einfluss zu nehmen versucht. Es wäre auch deutlich geworden, ob Amthor bei Augustus oder White & Case als Lobbyist arbeitete oder in anderer, politisch nicht sensibler Funktion beschäftigt war. Aus den – vorschriftsmäßigen – Angaben Amthors über seine Nebentätigkeiten beim Bundestag gehen seine Funktionen nicht hervor.
Ein Lobbyregister hat übrigens auch präventive Funktion: Es kann Akteure mit ethisch fragwürdigen Vorhaben von der Umsetzung ihrer Pläne abhalten. Denn wer Kern-Informationen über die eigene Lobbyarbeit offenbaren muss, wird eher erwischt, falls diese Lobbyarbeit unlautere Praktiken umfasst. In dieser Hinsicht funktioniert das Register ganz ähnlich wie die Kennzeichenpflicht bei Kraftfahrzeugen. Auch diese verhindert nicht jede Übertretung von Verkehrsregeln – senkt die Bereitschaft zum Überfahren roter Ampeln insgesamt aber ganz erheblich.
Denn Sanktionen stehen dahinter: Punkte in Flensburg für Verkehrssünder - oder auch Strafen für Lobbyisten, die sich nicht an die Regeln halten. Es geht beim Lobbyregister eben nicht nur um eine Art erweitertes Branchen-Telefonbuch, sondern auch um die Sanktionierung von ethischen Maßstäben, ohne die eine Demokratie nicht funktioniert
Der Weg zum Lobbyregister wird ein Marathonlauf unter Zeitdruck
Es hängt von vielen Details ab, ob das Lobbyregister tatsächlich umfassende Transparenz liefern wird. Für uns ist – nach fast 15 Jahren Kampf für verbindliche Lobbyregulierung – ziemlich klar, dass der Weg dorthin kein Spaziergang wird, sondern eher ein Marathonlauf unter Zeitdruck. Der Bundestag geht jetzt in die lange Sommerpause, und bis zum Herbst werden andere Themen nach vorne drängen.
Wir werden darum kämpfen müssen, dass das Lobbyregister wirklich ganz oben auf der Tagesordnung steht, wenn der Bundestag seine Arbeit wieder aufnimmt. Wir werden die GroKo immer wieder daran erinnern müssen, dass es mit einem Show-Stück nicht getan ist. Und wir werden immer wieder erklären müssen, welche Regeln für eine ehrliche, solide Lösung zwingend notwendig sind. Die wichtigsten Kriterien haben wir unserem Appell "Lobbyregister jetzt!" an die Mitglieder von Bundesregierung und Bundestag zusammengestellt.
Das machen wir auf verschiedenen Ebenen: in direkten Gesprächen mit Politiker:innen, mit fachlichen Stellungnahmen, mit unserer Unterschriftenaktion, mit Presse-Interviews und über unsere Kanäle in den Sozialen Medien. Diese Arbeit ist aufwendig, so kleinteilig wie intensiv, und sie fordert uns oft auch dann, wenn andere Feierabend oder Wochenende haben. Damit wir diese Arbeit weiterhin in der notwendigen hohen Schlagzahl leisten können, brauchen wir Sie. Bitte unterstützen Sie uns mit einer Spende – schon 10 Euro sind eine große Hilfe.
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