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Macht der Digitalkonzerne

Onlinehändler Shein holt früheren EU-Kommissar Oettinger als Lobbyisten

Der ehemalige EU-Kommissar und frühere Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) vertritt die Lobbyinteressen des Onlinehändlers Shein. Darüber berichtet auch heute die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Porträt von Oettinger. Shein drängt auf den europäischen Markt und schert sich dabei nicht um Verbraucher- oder Umweltschutzregulierung.

von 27. September 2024

Schon früher war Günther Oettinger dafür bekannt, dass er auf Gemeinwohlinteressen keine besondere Rücksicht nahm: In seinen drei Amtszeiten als EU-Kommissar hatte er so viele Gespräche mit Industrievertreter:innen, wie nur wenige andere Mitglieder der EU-Kommission. Bekannt geworden ist unter anderem ein Briefwechsel aus dem Jahr 2012 mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn, indem er ihm versicherte, dass die Interessen von VW bei den Klimaauflagen beachtet worden seien.

Schon als EU-Kommissar lobbynah

Er veranstaltete im Luxus-Skiort Lech am Arlberg sein eigenes „Mini-Davos“, ein Lobbyforum für Konzerne und Politik. Und schließlich hat kein früherer EU-Kommissar so viele Nachfolgetätigkeiten wie Oettinger, teils mit klarem Lobbybezug. Darunter eine eigene Beratungsfirma namens „Oettinger Consult“.

Shein setzt auf externe Beratungen

Ähnlich wie andere chinesische Techkonzerne, setzt auch der Billig-Onlinehändler Shein auf externe Beratungen, um seine Interessen in Europa zu vertreten. Während Tiktok und Huawei auf große internationale Lobbyagenturen wie FTI Consulting oder Brunswick setzen, wird Shein nun von Günther Oettinger unterstützt. Dieser hatte als EU-Kommissar unter anderem das Digitalressort inne.

Neben US-Techkonzernen haben auch chinesische Plattformen keinen guten Ruf bei der europäischen Politik. Das Image der chinesischen Techkonzerne dürfte noch deutlich schlechter in Brüssel sein. Diese setzen deshalb auf Lobbyberatungsfirmen als Türöffner, um Einfluss zu nehmen. Shein gibt insgesamt mindestens 200.000 Euro Lobbyausgaben für Brüssel an, die Hälfte davon fällt für die Dienste externer Beratungsfirmen an.

Der Onlinehändler setzt zudem mit seinem deutschen Cheflobbyisten Martin Reidy auf einen Ex-Mitarbeiter der internationalen Beratungsfirmen FTI Consulting und Brunswick. Obwohl er Cheflobbyist in Berlin ist, sitzt er offenbar in Dublin, am Hauptsitz von Shein in Irland.

Wer ist Shein?
Shein ist eine umstrittene Onlineplattform für Mode- und Sportartikel mit Sitz in Singapur. Umstritten ist das Unternehmen, weil es europäische Verbraucherschutzregeln unterläuft und den Zoll umgehen soll bei seinen Lieferungen per Flugzeug. Derzeit wird Shein im Rahmen des Digital Services Act (DSA) gesondert untersucht.

Bekannt ist das Unternehmen vor allem unter jungen Leuten, nicht zuletzt durch seine massive Onlinewerbung über Social Media. Shein produziert in Asien, verkauft seine Produkte auf dem europäischen, amerikanischen und asiatischen Markt, nicht aber in China selbst. Ursprünglich wurde das Unternehmen in China gegründet, verlagerte aber seinen Sitz 2022 nach Singapur.

Oettingers Arbeit für Shein

Shein konnte nun zusätzlich Günther Oettinger für seine Lobbyarbeit in Europa gewinnen. Dessen Beratung läuft nicht nur über die Lobbyfirma KEKST CNC, in der Oettinger im globalen Beratungsgremium sitzt, sondern auch direkt über den Ex-Kommissar und seine eigene Firma Oettinger Consulting GmbH, wie aus dem EU-Lobbyregister hervorgeht.

Oettinger bestätigte dies auch gegenüber der Zeit und wies darauf hin, dass sein Mandat begrenzt sei auf Geopolitik, Cybersicherheit und Datenschutz. Damit sind jedoch zentrale Aspekte von Sheins Interessen abgedeckt. Insbesondere in der Geopolitik dürfte die Frage nach dem Marktzugang für den Onlinehändler Shein enthalten sein, der immer wieder wegen unfairer Geschäftspraktiken in der Kritik ist.

Mini-Davos in Lech

Oettinger gilt als bestens vernetzt. Nicht nur in Brüssel, sondern auch unter deutschen Unternehmen. Auf das Netzwerk von Oettinger kann sich Shein künftig verlassen. Bereits als EU-Kommissar organisierte er unter anderem einen Exklusivgipfel in den österreichischen Bergen in Lech, um dort politische Entscheidungsträger:innen und Unternehmen zusammenzubringen. Vor allem deutsche Unternehmen waren und sind in Lech zugegen. Oettingers Mini-Davos findet auch heute weiter in Lech am Arlberg statt, obwohl Oettinger mittlerweile ausschließlich Lobbyist ist. Das bestätigt einmal mehr, dass Oettinger weiterhin einen engen Draht in die Politik hat.

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Organisiert wird das Mini-Davos offiziell von United Europe. Diese Organisation findet man nicht im EU-Transparenzregister, obwohl bei den Veranstaltungen EU-Entscheidungsträger:innen zugegen sind. United Europe bezeichnet sich selbst als gemeinnütziger Zusammenschluss, der die internationale Kooperation von Unternehmen, politischen Entscheidungsträger:innen, Individuen und vor allem von jungen Europäer:innen fördert.

Es handelt sich um ein Lobbyforum, das unter anderem vom Stahlunternehmer und Ex-Kanzler Schröder-Freund Jürgen Großmann sowie dem österreichischen Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel initiiert wurde. Präsident von United Europe ist Oettinger selbst. Neben der Veranstaltung am Arlberg bietet United Europe auch ein Mentor:innenprogramm für europäische Führungskräfte an.

Vernetzt durch zahlreiche Tätigkeiten

Auch durch seine zahlreichen Nachfolgetätigkeiten im Anschluss an sein Amt als EU-Kommissar (2010 – 2019) ist Oettinger bestens vernetzt: Wohl kaum ein früherer EU-Kommissar hat so viele Tätigkeiten inne wie er: Sei es der bereits erwähnte Sitz im globalen Beratungsgremium von KEKST CNC, über das der Kontakt mit Shein zustande gekommen sein könnte. Oder seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat beim Tunnelbohrunternehmen Herrenknecht aus Baden-Württemberg, sein Beiratssitz beim Beratungsunternehmen Deloitte Deutschland, oder, oder, oder.... Eine vollständige Liste seiner Nachfolgetätigkeiten findet sich auch in unserer Lobbypedia.

Shein & Co verstärken Lobbyarbeit

Anders als chinesische Techkonzerne treten US-Techkonzerne in Europa bereits seit langem mit massiver Lobbyarbeit auf. Zusammen geben Google, Amazon, Meta, Apple und Microsoft 33 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. Die Ausgaben chinesischer Techkonzerne sind zwar vergleichsweise geringer. Aber auch sie versuchen, mehr Einfluss zu gewinnen. Zusammen geben Huawei und Tiktok mittlerweile mindestens 6,39 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel und Berlin aus.

US Big Tech vs. Chinese Big Tech

Doch es gibt deutliche Unterschiede beim Schwerpunkt und bei der Strategie in der Lobbyarbeit. Während Google, Meta & Co mit viel Lobbydruck versuchten, die Digitalgesetzgebung der letzten EU-Legislatur zu beeinflussen, verhielt sich Tiktok eher zurückhaltender, obwohl die Videoplattform ebenfalls von den neuen Regeln des Digital Services Act (DSA) und des Digital Markets Act (DMA) betroffen ist.

Chinesischen Techkonzernen geht es anders als Google & Co vor allem um den Marktzugang in Europa. Der ist – anders als bei US-Techkonzernen – deutlich gefährdeter in Anbetracht der angespannten geopolitischen Lage zwischen China und der EU. Das zeigt nicht zuletzt der Ausschluss von Huawei aus dem Ausbau des 5G-Netzes in vielen europäischen Ländern.

Lobbyismus gegen EU-Kommission

Gerade deshalb ist neben der eigenen Lobbyarbeit die Zusammenarbeit mit externen Lobbyagenturen ein wichtiger Bestandteil dessen, was chinesische Techkonzerne in Europa betreiben. Dafür dürfte Günther Oettinger mit seinem prall gefüllten Adressbuch und seinen privilegierten Zugängen ein wichtiges Pfund für Shein sein.

Für einen früheren EU-Kommissar kann man diesen Lobbyjob durchaus als problematisch ansehen: Shein dürfte mit seinem Billigangebot gegen zahlreiche Regelungen in der EU verstoßen, insbesondere im Bereich Verbraucherschutz und Umweltschutz. Auch versuchen Konzerne wie Shein in der Regel, Steuern und Zölle zu umgehen.

Frühere EU-Kommissare sollen sich bei der Wahl ihrer Nachfolgetätigkeiten laut Verhaltenskodex integer verhalten. Wir haben Zweifel, dass es integer ist, sich als Interessenvertreter für ein derartiges Unternehmen einspannen zu lassen. Ziemlich klar ist, dass er damit nicht im Interesse seines früheren Arbeitgebers agiert – der EU-Kommission.

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