An der Skaterbahn in Rheinberg am Niederrhein stehen seit Kurzem ein Kirschbaum und eine Bank. Beides wurde von Amazon gesponsert. Der Bürgermeister von Rheinberg war von dieser „vorbildlichen Aktion“ begeistert. Er bedankte sich für den „wertvollen ökologischen und sozialen Beitrag“, wie die Lokalzeitung berichtete.
Für Amazon kam dieser positive Bericht gelegen. Der Konzern steht wegen Steuervermeidung, schlechter Arbeitsbedingungen und der Vernichtung von Rücksendungen unter Druck. Auch die Abhängigkeiten im Cloud-Bereich und die Monopolstellung im Onlinehandel sorgen für Kritik. Um seine Kritiker:innen zu besänftigen und einen drohenden Imageverlust zu vermeiden, betont Amazon gerne sein „soziales Engagement“: Katastrophenhilfe, Unterstützung von Tafeln und die Förderung von Bildung.
Spontane Aktion?
War die Baumpflanzung wirklich eine spontane Aktion der Amazon-Mitarbeiter:innen, wie der Artikel suggeriert, oder Teil einer fragwürdigen PR-Strategie? Wir haben uns auf die Suche gemacht, um herauszufinden, was hinter den Geschenken von Amazon steckt.
Wir haben uns bei den streikenden Gewerkschafter:innen, bei den beschenkten Tafeln und bei Amazon selbst erkundigt. Und wir waren in Rheinberg und haben uns vor Ort ein Bild vom „wertvollen ökologischen und sozialen Beitrag“ gemacht. Unser klares Fazit: Diese PR-Aktivitäten des Amazon-Konzerns dienen dazu, von den negativen Folgen seiner Macht abzulenken.
Amazons Charme-Offensive in Rheinberg
Ein anschauliches Beispiel, um die Image-Kampagne von Amazon näher zu betrachten, ist die 31.000-Einwohner-Stadt Rheinberg. Seit 2011 ist der Konzern mit seinem Logistikzentrum DUS2 dort vertreten. 2023 waren es etwa 1500 Beschäftigte. Diese wurden in den letzten Monaten von Amazon jedoch deutlich abgebaut.
Von Beginn an gab es in Rheinberg Kritik an den Arbeitsbedingungen und der Steuervermeidung des Konzerns. Vor allem die Gewerkschaft Verdi hat regelmäßig zu Streiks in Rheinberg aufgerufen, um einen einheitlichen Tarifvertrag zu fordern. Doch die kritischen Stimmen in Rheinberg sind leiser geworden.
Mit dafür verantwortlich ist eine Lobbystrategie, die mit Geschenken seine Kritiker:innen besänftigen will. Am Amazon-Standort Rheinberg kann man gut sehen, wie Amazon in regelmäßigem Abstand mit seinen Aktivitäten und Geschenken dafür sorgt, dass die Lokalpresse positiv über den Konzern berichtet. 2024 waren es allein in der Rheinischen Post bisher vier Artikel über den erwähnten Kirschbaum, gespendetes Schulmaterial, die Unterstützung der Tafel und den Stützpunkt für Katastrophenhilfe.
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Auch in den Jahren davor gab es immer wieder Artikel, die den Online-Riesen in positivem Licht erscheinen ließen: So wurde eine Mitarbeiterin aus Rheinberg als „Amazon-Star“ ausgezeichnet. Amazon hat einen Ferienzirkus mit 5.000 Euro unterstützt und den Rheinberger Leseclub mit 10.000 Euro gefördert. Amazon ist in Rheinberg mit unterschiedlichen Aktivitäten aktiv und inszeniert sich als Unternehmen mit gesellschaftlicher Verantwortung.
Dabei wollen wir nicht missverstanden werden: Unsere Kritik richtet sich ausschließlich an die Aktivitäten und Ziele von Amazon und nicht an die Empfänger:innen dieser Geschenke. Für die Kinder ist es toll, dass in Rheinberg ein Leseclub gegründet wurde.
Was ist Deep Lobbying?
Als sogenanntes Deep Lobbying werden Lobbystrategien bezeichnet, die sich nicht direkt an politische Entscheidungsträger:innen richten, sondern über Umwege funktionieren. Sie zielt darauf ab, mit langfristigen Strategien die Einstellungen, Stimmung und Diskurse in der Bevölkerung und der Politik zu beeinflussen und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Politische Entscheidungen werden also indirekt über die Einflussnahme auf die Öffentlichkeit beeinflusst. Damit geht Deep Lobbying über Einflussnahme auf einzelne Gesetzesverfahren hinaus. Dazu gehören besonders Aktivitäten, die den Ruf eines Unternehmens oder einer Branche verbessern sollen. Ergänzt wird das Deep Lobbying von Amazon durch direkte Lobbyarbeit in Berlin sowie durch millionenschwere Werbekampagnen.
Das Kalkül von Konzernen wie Amazon dabei ist klar: Mit positivem Image und Zustimmung in der Bevölkerung lässt sich die Politik einfacher für die eigenen Belange einspannen. Gleichzeitig sollen Politik und Öffentlichkeit überzeugt werden, dass es im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen keinen Handlungsbedarf gibt. Solche Reputationskampagnen sind daher als Teil der Lobbystrategie des Unternehmens zu werten.
Bei Amazon kommt die Besonderheit hinzu, dass die Aktivitäten sich auf das unmittelbare Umfeld um die Logistikzentren des Konzerns konzentrieren. Damit zielen die Aktivitäten des Konzerns vor allem auf die Kommunalpolitik ab. Sie ist zuständig für weitreichende Entscheidungen, etwa zur Höhe der Gewerbesteuer oder dem Ausbau von Logistik-Kapazitäten, die Amazon unmittelbar betreffen.
Die Übergänge zur Werbung sind fließend, eine klare Abgrenzung der einzelnen Kategorien ist nicht möglich. Ein wichtiger Unterschied liegt in den verschiedenen Zielgruppen: Während bei Werbung Konsument:innen angesprochen und eine Markenbindung erreicht werden soll, ist bei indirekter Lobbyarbeit letztlich die Politik das Ziel der Aktivitäten. Gleichzeitig können solche Kampagnen auch mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen und damit auch mehrere Zielgruppen parallel ansprechen. So kann sich ein besserer Ruf auch positiv bei Konsument:innen bemerkbar machen, ohne dass diese mit direkter Produktwerbung angesprochen wurden.
Überblick: Geschenke und Sponsoring von Amazon
Um seinen Ruf zu verbessern, ist Amazon neben der Katastrophenhilfe vor allem im Bildungsbereich aktiv. Das zentrale Programm nennt sich „Amazon Future Engineers“. Neben Deutschland ist es auch in zahlreichen anderen Ländern wie Indien oder USA aktiv. Das 2021 gestartete Programm hat nach eigenen Angaben von Amazon innerhalb des ersten Jahres 180.000 junge Menschen erreicht und mehr als 2.500 Lehrkräfte im digitalen Bereich weitergebildet.
Die Angebote sind vielfältig. Es beinhaltet virtuelle Touren durch Logistik- und Rechenzentren für Schüler:innen, Tools zum Lernen und Lehren der Python-Programmiersprache oder öffentliche Class Chats mit verschiedenen IT-Expert:innen von Amazon.
In Deutschland gibt es zudem ein breites und kaum zu überblickendes Netzwerk an Bildungsorganisationen, die mit Amazon im Bildungsbereich kooperieren. Dieses Netzwerk von Organisationen erfüllt für Amazon zwei Funktionen: Es erhöht die Reichweite und Glaubwürdigkeit der Bildungsaktivitäten des Konzerns. Die Glaubwürdigkeit wird vor allem durch offizielle Kooperationen unterstrichen. So ist Amazon in Thüringen an der Bildungsinitiative „Klima-Programmierer: Klima-Resilienz durch Coding“ beteiligt, die u. a. in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Bildungsminister stattfindet.
Auch außerschulische Aktivitäten finanziert Amazon. So wurden nach eigenen Angaben im Rahmen des „Back to School - Community Fund 2023“ 72 Projekte mit insgesamt 500.000€ gefördert.
Welches Kalkül für Amazon hinter solchen Aktivitäten steckt, konnten wir bereits 2016 aufdecken. Schon damals hatte Amazon versucht, mit dem Wettbewerb „Kindle Storyteller Kids“ sich in den Städten, in denen Amazon Logistikzentren betreibt, seinen Ruf zu verbessern und von kritischen Debatten, etwa um die Arbeitsbedingungen, Steuervermeidung und negativen Auswirkungen der Monopolmacht, abzulenken. Nach Kritik von uns wurde der Wettbewerb in mehreren Bundesländern verboten und dann eingestellt.
Kooperationspartner von Amazon im Bildungsbereich in Deutschland und Österreich
- Hacker School
- DaVinciLab und MadeByKids. Organisieren gemeinsam die Amazon Future Engineer YouthHackathon Awards 2024
- Teach First Deutschland
- Save the Children (Makerlabs)
- Joblinge
- Science on Stage Deutschland
- MINT Zukunft schaffen
- Wissensfabrik
- Calliope
- EUCodeWeek
- SchlaU-Werkstatt
- ROCK YOUR LIFE!
- Meet and Code
- Deutschlandstipendium
- Junge Tüftler*innen
- ReDI School of Digital Integration
- App Camps
- IT4Kids
Neben der Katastrophenhilfe und dem Bildungsprogramm gibt es viele Aktivitäten im sogenannten Bereich „lokale Hilfe“. Dabei stellt sich Amazon als Unternehmen mit großer gesellschaftlicher Verantwortung dar: Es gibt den „Global Month of Volunteering“, das Projekt „Amazon. Goes Gold – For Kids with Cancer“ (Mitarbeiter:innen gehen im Schlafanzug zur Arbeit) und die „Amazon Stars-Auszeichnung“, die an besonders engagierte Mitarbeiter:innen verliehen wird. Nach eigenen Angaben hat Amazon im Jahr 2023 rund 850 Organisationen mit Geld-, Zeit- und Sachspenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützt.
Gefahr von Abhängigkeiten bei der Infrastruktur
Ein besonderer Schwerpunkt von Amazon am Standort Rheinberg ist die Katastrophenhilfe. Der sogenannte „Disaster Relief Hub“ besteht seit Anfang 2024 und kann nach eigenen Angaben in 72 Stunden Hilfsgüter in ganz Europa bereitstellen. Zuletzt etwa bei den Flutkatastrophen in Zentral- und Osteuropa.
Was auf den ersten Blick als ein weiterer Baustein für den Imagegewinn von Amazon erscheint, offenbart sich auf den zweiten Blick als potenziell weitreichendes Problem. Katastrophenhilfe ist in Deutschland eine staatliche Aufgabe. Durch den Einstieg von Amazon in die Katastrophenhilfe besteht die Gefahr, dass hier ein privater Konzern zumindest in Teilen die Kontrolle über staatliche Aufgaben übernimmt. So können problematische Abhängigkeiten entstehen, die wiederum Einfluss auf den Umgang der Politik mit den Missständen bei Amazon haben können.
Zudem kann Amazon selbst darüber entscheiden, wo und wem diese Hilfe zukommt. Das könnte im Zweifelsfall bedeuten, dass sich Amazon für die Hilfe entscheidet, die einen besonders großen Imagegewinn verspricht, und nicht dort, wo die Not am größten ist und die Hilfe am dringendsten benötigt wird.
Das kritisiert auch die Stadtforscherin Maja-Lee Voigt: „Würde Amazon mehr Steuern zahlen, wäre diese Hilfe für den öffentlichen Sektor vielleicht auch besser finanzierbar. Die öffentliche Hand muss die Hoheit über die öffentliche Infrastruktur behalten und sicherstellen, dass möglichst alle daran teilhaben können.“
Amazon macht sich unentbehrlich
Besonders eng ist die Kooperation von Amazon mit den Tafel-Einrichtungen in der Nähe der Logistikzentren. Immer mehr Menschen sind auf die Hilfe der Tafeln angewiesen. Gleichzeitig fehlen Lebensmittelspenden und ehrenamtliche Helfer:nnen.
Amazon unterstützt die Tafeln in mehrerer Hinsicht: Regelmäßig helfen Mitarbeiter:innen beim Verteilen. Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, werden den Tafeln von Amazon zur Verfügung gestellt. Zudem stellt Amazon logistische Kapazitäten zur Verfügung, um die Lebensmittel einzusammeln und zu verteilen.
Während die Aktivitäten von Amazon symbolischen Charakter haben, hören wir von den Tafeln, dass die Unterstützung durch Amazon eine wichtige Hilfe ist und sie die Lebensmittel ohne Amazon nicht in der Menge und der Passgenauigkeit an armutsbetroffene Menschen umverteilen könnten.
Geschenke verhindern härtere Gangart
Amazon hat es also geschafft, sich in diesem Bereich unentbehrlich zu machen. Das wissen auch die verantwortlichen Kommunalpolitiker, die sich angesichts knapper Kassen eine härtere Gangart gegenüber Amazon zweimal überlegen werden, wenn sie damit riskieren, die Versorgung von armutsbetroffenen Menschen zu verschlechtern.
Amazon profitiert in vielerlei Hinsicht von diesem „sozialen Engagement": Es bietet die Chance, mit positiven Artikeln in der Lokalpresse aufzutauchen. Außerdem können Kontakte zu den Verantwortlichen der Logistikstandorte geknüpft oder gepflegt werden. Auf seiner Website listet das Unternehmen zudem seine zahlreichen Aktivitäten als Beleg für seine gesellschaftliche Verantwortung auf. Bei Kritik, etwa an Steuervermeidung, verweist Amazon auf diese Aktivitäten.
Kritik an dem Konzern, der wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Steuervermeidung in die Schlagzeilen geraten ist, findet im Rahmen dieser Aktivitäten keinen Raum. Dabei stehen Amazon und die anderen großen Tech-Konzerne global zunehmend unter Druck. Auch wenn es angesichts des Kaufrausches zu Black Friday nicht den Eindruck macht.
Die Kehrseite der Medaille
Besonders aktiv sind die Gewerkschaften, die regelmäßig für einen Tarifvertrag und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen weigert sich Amazon bislang, die Arbeitsbedingungen tarifvertraglich abzusichern. Anfang Oktober 2024 haben wir uns bei einem Streik im Logistikzentrum DUS2 in Rheinberg über die Situation vor Ort informiert. Wir trafen auf streikende Beschäftigte, die stolz auf die bereits erreichten Verbesserungen waren, aber auch deutliche Kritik am Konzern übten.
Immer wieder zeigen Recherchen wie etwa von Correctiv, wie schlecht die Bedingungen bei Amazon tatsächlich sind und wie sehr die Angestellten ausgebeutet werden: Die Arbeit wird rund um die Uhr überwacht, es herrscht ein hoher Zeitdruck und Zeit für Pausen und Erholung gibt es kaum.
Auch die negativen Auswirkungen der Monopolstellung von Amazon – der Konzern hat in Deutschland beim Onlinehandel einen Marktanteil von 60 % – stehen zunehmend in der Kritik. Davon sind nicht nur kleine und mittlere Unternehmen betroffen, die von Amazon zunehmend abhängig sind. Die negativen Auswirkungen sind weitreichender: Amazon vermeidet systematisch Steuern, indem der Konzern sich in den Ländern mit den niedrigsten Steuerquoten niederlässt. Im Jahr 2020 hat Amazon beispielsweise trotz eines Rekordgewinns wegen der Corona-Pandemie keine Körperschaftssteuer in Luxemburg gezahlt. Dabei laufen etwa 75 % aller Geschäfte von Amazon außerhalb der USA über die Steueroase.
Auch in Sachen Datenschutz handelt Amazon mehr als bedenklich: Der Konzern sammelt systematisch unsere Daten, um Profile von uns zu erstellen. Hier besteht viel Potential für Datenmissbrauch. Außerdem zerstört Amazon in großem Umfang zurückgesendete Ware, es fehlt an Nachhaltigkeit.
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All das kann sich der Konzern nur leisten, weil es niemanden gibt, der ihn daran hindert: Kleinere Wettbewerber nicht, da sie entweder von der Plattform verdrängt oder aufgekauft werden. Und auch die Politik reagiert nicht ausreichend. Diese Situation nutzt Amazon aus, um seine Macht weiter auszubauen und mittels Lobbymacht gegenüber der Politik und gesellschaftlicher Imagepflege zu verteidigen.
Zeit, die Macht von Amazon zu begrenzen
Wir sollten uns daher von den Geschenken von Amazon und der damit verbundenen fragwürdigen Lobbystrategie nicht beeindrucken lassen. Hinter dem „sozialen Engagement“ des Konzerns steckt Kalkül, auch wenn es teils für die Menschen eine echte Hilfe darstellt. Denn die negativen Auswirkungen der Macht von Amazon sind weitreichend.
Langfristig würden wir alle mehr davon profitieren, wenn Amazon faire Steuern zahlen würde, seine Monopolmacht begrenzt ist und es für die Arbeiter:innen einen Tarifvertrag geben würde. Langfristig haben wir alle etwas davon, wenn wir weniger abhängig von dem US-Techmonopolisten sind. Es ist Zeit, die Macht von Amazon zu begrenzen.