LobbyControl - CC-BY-NC-ND 4.0
Macht der Digitalkonzerne

Wie Big Tech die Debatte um den Digital Markets Act verzerrt

Ein Fünftel aller Teilnehmer:innen an Workshops der EU-Kommission hatten enge Verbindungen zu Big Tech. Das deckt eine neue Recherche von CEO, SOMO und LobbyControl auf. 

von 29. Oktober 2024

Zur Durchsetzung des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) organisierte die Europäische Kommission im März 2024 öffentliche Workshops, um Feedback von den Unternehmen und Endverbraucher:innen einzuholen, die von der Macht der Digitalkonzerne betroffen sind. Eigentlich sollten die daran Beteiligten etwaige Verbindungen zu Tech-Konzernen offenlegen, um so eine Einflussnahme zu beschränken.

Unseren Analysen zufolge wurde diese Auflage der Kommission jedoch größtenteils ignoriert. Google, Amazon & Co gelang es, die eigenen Rechts- und Lobbyabteilungen durch ein umfangreiches, geheimes Netzwerk aus Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen, Wirtschaftsverbänden und Denkfabriken zu verstärken. Ausgewogene Verhältnisse zwischen Big Tech und den Regulierungsbehörden sehen anders aus. Momentan bereitet die Europäische Kommission einen weiteren DMA-Workshop vor, diesmal mit Booking.com. Für diesen kann und muss es gelingen, Interessenkonflikten noch besser vorzubeugen.

Workshops zur Einhaltung des DMA

Im März 2024 organisierte die Europäische Kommission eine Reihe öffentlicher Workshops, in denen geprüft werden sollte, inwieweit sich die Tech-Konzerne an die Bestimmungen des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) halten. Mit fast 4.000 registrierten Teilnehmer:innen war der Andrang groß. Angemeldet waren Unternehmen, Anwaltskanzleien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftler:innen, Aufsichtsbehörden sowie Wirtschaftsverbände.

Man wollte so Feedback von Nutzer:innen, Wettbewerbern, Unternehmen und anderen Betroffenen einsammeln, die auf die Dienste der Gatekeeper angewiesen sind. Untersuchungen von Corporate Europe Observatory (CEO), LobbyControl und SOMO zeigen jetzt, dass 21 % der Angemeldeten Verbindungen zu Gatekeepern hatten. Dazu zählten Vertreter:innen von 34 Anwaltskanzleien, 22 Lobbyfirmen, 17 Wirtschaftsverbänden, 10 Beratungsunternehmen und 8 Denkfabriken.

Enge Verbindungen zu Big Tech-Unternehmen

Zählt man die Angestellten der Gatekeeper selbst noch hinzu, kommt man auf 26 % aller Anwesenden. Das sind mehr als die von der Macht der Techkonzerne betroffenen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengenommen.

Kategorie der InteressenvertreterAnzahl der registrierten Teilnehmer:innenProzentsatz der registrierten Teilnehmer:innen
Gatekeeper
Angestellte der Gatekeeper2055 %
Ohne bekannte Verbindungen zu Gatekeepern
von Gatekeepern betroffene Unternehmen – Wettbewerber76819 %

Öffentliche Stellen
60315 %

Anwaltskanzleien
53613 %

Wissenschaftler:innen
2446 &

Wirtschaftsberatungen
1454 %

Student:innen
1283 %

Journalist:innen
1273 %

Andere
1263 %
Branchenverbände1223 %
PR-Agenturen872 %
Zivilgesellschaftliche Organisationen571 %
Denkfabriken10 %
Mit bekannten Verbindungen zu Gatekeepern
Anwaltskanzleien48812 %
PR-Agenturen1764 %
Branchenverbände662 %
Wirtschaftsberatungen602 %
Denkfabriken391 %
Zivilgesellschaftliche Organisationen190 %
Insgesamt3997

Mehr über unsere Methodik erfahren Sie am Ende der Kurzstudie.

Die von der EU-Kommission initiierten Workshops waren ein bemerkenswerter Versuch, Politik transparenter zu gestalten. Durchaus positiv zu bewerten ist auch, dass die Europäische Kommission alle Teilnehmer:innen dazu aufforderte, Verbindungen zu Gatekeepern offenzulegen.

Unsere Analyse der Teilnahmelisten zeigt jedoch, dass die entsprechende Frage meist ignoriert wurde. Transparent waren lediglich Beschäftigte der Gatekeeper (wenn auch nicht alle) sowie drei Anwälte, die als externe Berater für Gatekeeper tätig oder dorthin abgestellt sind, und eine Behörde des französischen Wirtschaftsministeriums. Letztere machte jedoch keine genaueren Angaben und nannte auch keine Namen, wodurch ein Versehen nicht auszuschließen ist.

Die meisten registrierten Teilnehmer:innen mit bekannten Verbindungen zu den Techkonzernen behielten diese für sich – unabhängig davon, ob es sich um vertragliche Verhältnisse handelte (bspw. bei Lobbyagenturen und Anwaltskanzleien), um finanzielle Unterstützung oder um die Mitgliedschaft von Gatekeepern in teilnehmenden Verbänden.

Verbindung zu Big Tech nicht offengelegt

Im Vorfeld der Workshops ergriff die Kommission zusätzliche Maßnahmen, um Anmeldungen auf Verbindungen zu Gatekeepern hin zu kontrollieren. Im Registrierungsformular gab es eigens eine Frage dazu. Darüber hinaus gab die Kommission Beschäftigten von Gatekeepern, kleinen und mittelständischen Unternehmen, die von der Macht von Gatekeepern betroffen sind, und zivilgesellschaftlichen Organisationen Priorität für die persönliche Teilnahme an den Workshops. Alle anderen, also „Journalist:innen, Berater:innen, externe Anwält:innen, Wissenschaftler:innen oder Student:innen“, konnten zwar ebenfalls an Workshops teilnehmen, jedoch nur online.

Den für das Verfahren verantwortlichen Beamten zufolge wurden die im Anmeldeformular abgefragten Angaben zu bestehenden Verbindungen lediglich dazu genutzt, die Teilnehmer:innen in Gruppen einzuteilen und vorrangig diejenigen zur Teilnahme vor Ort zuzulassen, die keine Verbindungen zu Gatekeepern hatten. Aufgrund des Zeitdrucks wurden die entsprechenden Informationen jedoch ohne weitere Prüfung akzeptiert. Wie aus Kasten 1 und Kasten 2 ersichtlich wird, konnten jedoch Verteter:innen vor Ort teilnehmen und sich an der Diskussion beteiligen, die bestehende Verbindungen zu den Technologieriesen nicht offengelegt hatten.

„Die Studie bringt eine Realität ans Tageslicht, die wir als Vertreter:innen der KMU vor Ort miterleben: Die Techkonzerne nutzen eine ganze Reihe fragwürdiger Praktiken, um Einfluss auf die Entscheidungsfindung der EU zu nehmen. Sowohl die Kommission als auch die anderen EU-Institutionen sind gar nicht dafür gewappnet, das zu verhindern. Das Ergebnis ist ein Prozess, der von denjenigen mit mehr Ressourcen ungebührlich beeinflusst wird. So entsteht das Risiko, dass die Entscheidungen nicht im Interesse der europäischen KMU und der eigentlichen Betroffenen getroffen werden.“

Sebastiano Toffalletti, Generalsekretär von Digital SME EU Alliance, einem Wirtschaftsverband kleiner und mittelständischer Digitalunternehmen in Europa, der keine finanziellen Mittel von Big Tech erhält.

So gelang es Google & Co dank ihrer enormen Ressourcen und ihres umfangreichen Netzwerks von Dritten letztlich doch, Kritik abzuschmettern und die Debatte zu verzerren. Die Daten belegen darüber hinaus eindeutig, wie ungleich die Ressourcenverteilung zwischen den Regulierungsbehörden und den zu beaufsichtigten Unternehmen tatsächlich ausfällt.

Big Tech versteckt sich hinter Strohleuten

Seit mehreren Jahrzehnten schon monopolisieren Big-Tech-Unternehmen wesentliche Funktionen des Internets, wodurch Unternehmen und Endverbraucher:innen ihrer Macht völlig ausgeliefert sind. Mit dem Gesetz über digitale Märkte (DMA) versucht die EU, die Monopolmacht der Digitalkonzerne zu zügeln und die schlimmsten Auswüchse von deren Macht einzudämmen. Unternehmen, die als Gatekeeper betrachtet werden, also Google, Amazon, Meta, Apple, Microsoft, Bytedance und Booking.com1, sind einem ganz spezifischen Regelwerk unterworfen, mit dem wettbewerbswidriges Verhalten unterbunden werden soll. So ist es ihnen zum Beispiel untersagt, auf ihren Plattformen eigene Produkte gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt anzubieten oder personenbezogene Daten aus verschiedenen Diensten zusammenzuführen.

Das DMA ist seit dem 7. März 2024 vollständig in Kraft und stieß von Anfang an auf massiven Widerstand bei den Techkonzernen. Seit das Gesetz beschlossen wurde, wehren sich die Unternehmen mit Händen und Füßen dagegen. Apple, ByteDance und Meta haben den DMA bereits vor Gericht angefochten.

Massiver Widerstand gegen DMA

Doch trotz der andauernden Rechtsstreite mussten die Gatekeeper nachweisen, dass sie sich an die Regeln halten. Dafür fanden nicht nur bilaterale Gespräche mit der Europäischen Kommission statt, sondern die Unternehmen mussten auch Compliance-Berichte veröffentlichen. Drittparteien konnten die darin enthaltenen Informationen bewerten und dazu Feedback geben. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Der Techjournalist Cory Doctorow beschrieb die Pläne der Gatekeeper als „Kriegserklärung“ an die Europäische Kommission.

Entwickler:innen und Aktivist:innen kritisierten Apple scharf und warfen dem Unternehmen arglistige Compliance vor. Die Berichte von Amazon wiederum waren so vage, dass sie beschrieben wurden als „bunt zusammengewürfelte Textbausteine aus der Marketingabteilung, mit denen zumindest der Anschein erweckt werden sollte, man habe pflichtgemäß einen Compliance-Bericht vorgelegt“. Metas Ansatz vom „Zustimmen oder Bezahlen“ stieß schnell auf Widerstand von Datenschutz-Aktivist:innen und ‑Behörden.

Die im März stattfindenden Workshops waren dann eine wichtige Gelegenheit für die Zivilgesellschaft und betroffene Unternehmen, öffentlich die Compliance der Gatekeeper zu hinterfragen.

Großes Lobbynetzwerk der Techkonzerne

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Techkonzerne auf ein weitreichendes Lobbynetzwerk bauen können, die ihren Interessen der EU gegenüber Nachdruck verleihen. Von Lobbyagenturen und Tarnorganisationen bis zu Denkfabriken und Beratungsunternehmen: Dritte zu finanzieren und zu unterstützen, damit diese die eigenen Botschaften endlos wiederholen, ist eine beliebte Strategie von Big Tech. Ein geleaktes Lobbystrategiepapier zeigt, dass zum Beispiel Google einen “Neustart der politischen Debatte” um DMA und DSA (das Gesetz über digitale Dienste) plante, unter anderem auch mithilfe von Verbündeten aus der Wissenschaft und aus den USA. In einem Briefing haben LobbyControl und Corporate Europe Observatory unlängst neugewählte EU-Abgeordnete vor diesen Lobbystrategien gewarnt.

Man setzt nicht auf überzeugende Argumente, sondern will stattdessen Zweifel säen. Große Konzerne machen sich diese Strategie schon seit Langem zunutze, hatte sie sich doch bei der Tabakindustrie bereits bewährt.

1 Booking.com wurde später ebenfalls als Gatekeeper aufgelistet, war jedoch in der ersten Workshop-Runde nicht beteiligt.

Auf die Ergebnisse unserer Recherchen reagierte Tommaso Valletti, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Chefvolkswirt der EU-Wettbewerbsbehörde, mit den Worten:

Durch Interessenkonflikte und fehlende Transparenz sind in der Wettbewerbspolitik und Regulierung die Grenzen zwischen Sachkenntnis und Lobbyarbeit verwischt worden. Ohne eine Lösung für dieses Problem können wir die digitale Zukunft Europas nicht angemessen diskutieren.

Das Lobbynetzwerk von Big Tech bei den DMA-Workshops

1. Anwaltskanzleien

Mit mehr als 1.000 Anwesenden gehörten die Vertreter:innen von 179 Anwaltskanzleien zur größten Gruppe unter den Registrierten. Wie unsere Analyse zeigt, arbeiten mindestens 34 dieser Kanzleien für Gatekeeper an Wettbewerbsfragen oder taten dies in der jüngsten Vergangenheit.

So zum Beispiel Freshfields, die Apple und Meta in deren Klagen gegen den DMA vertritt. Die Anwaltskanzlei hatte insgesamt die meisten Workshop-Anmeldungen (81). Zehn ihrer Beschäftigten waren sowohl für die Workshops von Apple als auch von Meta angemeldet, doch nur in einer Anmeldung war eine externe Beratungstätigkeit für Apple erwähnt.

Skadden, Rechtsbeistand von ByteDance in der Klage gegen die Erfassung als DMA-Gatekeeper, war bei dem ByteDance-Workshop mit einer nicht gerade kleinen Delegation von zehn Rechtsanwält:innen vertreten. Nicht in einer einzigen Anmeldung war die Verbindung zum Gatekeeper erwähnt.

Zu den Anwaltskanzleien, die zwar eindeutige Verbindungen zu Gatekeepern haben, diese jedoch nicht offenlegten, gehört auch BTS&Partners. Die Kanzlei berät Apple durch „Nachverfolgung, Überwachung, Berichterstattung und Analyse bezüglich Vorschriften und neuen Rechtsakten.”

Norton Rose Fulbright LLP „unterstützt Microsofts Abteilung für Wettbewerbsrecht im EMEA-Raum in Fragen der Wettbewerbs-Compliance“. In den 15 Registrierungen wurde nur ein einziges Mal eine Verbindung zu einem Gatekeeper erwähnt, ohne jedoch dessen Namen zu nennen.

Einige der Anwaltskanzleien bieten mehr als nur Rechtsberatung. So beriet Clifford Chance Amazon nicht nur während der Untersuchungen der EU hinsichtlich der Amazon-Marktplätze (Überschneidungen mit dem DMA), sondern betreibt für das Unternehmen auch Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen. Keine einzige Registrierung der 8 Anwält:innen für den Amazon-Workshop erwähnt diese Verbindung.

In gleicher Weise vertritt Covington Microsoft gegenüber der EU in Wettbewerbsfragen und White & Case Meta in Sachen DMA. Latham Watkins ließ seine Anwält:innen für Apple Lobbytreffen zum Thema DMA arrangieren. Nicht in einem einzigen Fall wurden diese Verbindungen publik gemacht. Darüber hinaus scheint Latham die allgemeinen Transparenzbestimmungen zu umgehen, wenn es Apple im EU-Lobbyregister gar nicht erst als Klienten erwähnt.

2. Lobbyagenturen

Techkonzerne greifen gern auf Lobbyagenturen zurück, lassen sich von diesen in der Lobbyarbeit unterstützen oder überlassen ihnen das Lobbying ganz. Daten unserer EU-Lobbyismusdatenbank lobbyfacts.eu zeigen, dass Apple, Amazon, Alphabet, Microsoft und ByteDance im Jahr 2023 Aufträge im Gesamtwert von 8.155.000 Euro an 44 Lobbyagenturen vergeben haben – fast ein Viertel der jährlichen Lobbybudgets der Gatekeeper.

Bei den Workshops waren 53 verschiedene Lobbyagenturen vertreten, verteilt auf insgesamt 263 Anmeldungen. Nicht ein einziges Mal wurde dabei die Lobbyarbeit für die Gatekeeper erwähnt, obwohl 22 der Firmen derzeit im Auftrag von Gatekeepern aktiv sind.

Dazu gehört zum Beispiel Fleishman-Hillard, die sowohl Meta als auch Amazon vertreten, letztere unter anderem bei Themen wie dem DMA. Auch Flint Europe betreibt im Namen von Amazon, Apple, Alphabet, Meta und Microsoft Lobbyarbeit – etwa im Bereich Digitalwirtschaft und Wettbewerb. Shearwater Global wiederum wird von Google für DMA-Lobbyarbeit bezahlt, sowohl direkt als auch über die Anwaltskanzlei Cleary Gottlieb.

Nicht ein einziges Mal erwähnten die registrierten Personen diese Verbindungen.

3. Wirtschaftsverbände

Von den 188 angemeldeten Teilnehmer:innen gehörten 66 zu Verbänden, die von Techkonzernen finanziert werden oder diese zu ihren Mitgliedern zählen. Diese Verbindung wurde jedoch ebenso nicht ein einziges Mal offengelegt.

Das ist umso überraschender, da einige dieser Verbände hauptsächlich für Big-Tech-Unternehmen Lobbyarbeit betreiben. So der Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie (CCIA Europe), zu dessen Mitgliedern Alphabet, Amazon, Apple und Meta zählen. In der Anmeldung wurden dazu keine Angaben gemacht.

Die CODE-Initiative (Coalition for Open Digital Ecosystems) – gegründet von Google und Meta als Diskussionsforum rund um den Plattform-Wettbewerb – erwähnt diese Verbindung ebenfalls mit keinem Wort.

Für den Apple-Workshop angemeldet war unter anderem die Chamber of Progress. Der Verband aus den USA stieß als Tarnorganisation von Big Tech bereits auf starke Kritik. Finanziert wird Chamber of Progress von Amazon, Apple, ByteDance, Alphabet und Meta, doch auch das wurde in der Registrierung nicht offengelegt.

Zu weiteren Wirtschaftsverbänden, die ihre Verbindung zu den Gatekeepern unerwähnt ließen, gehörten auch Allied for Startups, Developers Alliance, DIGITALEUROPE, IAB Europe und Ecommerce Europe.

Apple-Tarnverband weist Kritik an DMA-Compliance zurück
Während der Workshops zu Apple und Amazon tat sich besonders ACT | The App Association durch positive Wortbeiträge zu Apple hervor. Nach dem Apple-Workshop schrieb ACT-Lobbyist Mike Sax auf LinkedIn: „Ganz offensichtlich sieht sich Apple nicht nur verpflichtet, die Anforderungen des DMA zu erfüllen, sondern man will auch sicherstellen, dass die neuen Vorschriften zum Wohle aller sind.“

Mit keiner Silbe erwähnte Sax während seiner Wortmeldungen, dass der Wirtschaftsverband ACT, der nach eigenen Angaben App-Entwickler vertritt, zu großen Teilen von Apple und Amazon finanziert wird. Auf mehrmalige Nachfrage bestätigte ACT gegenüber LobbyControl 2023, dass die Hälfte des eigenen Budgets von 13,5 Mio. Dollar von Apple stamme. Das EU-Lobbybudget des Verbandes fällt mit 100.000–199.999 Euro bedeutend bescheidener aus. Möglicherweise liegt diese Schätzung aber auch zu niedrig: Die beim belgischen Fiskus eingereichten Abschlüsse belegen, dass die Gesamtausgaben des Verbandes 2022 bei 378.000 Euro lagen.

Frühere Angestellte haben darüber hinaus offenbart, dass Apple hinter den Kulissen bei der Positionierung des ACT die Fäden ziehe. In der Tat ähneln die Lobby-Standpunkte des Verbandes verdächtig denen von Apple. Auch hat sich ACT in mehreren Gerichtsverfahren im Auftrag des Unternehmens beteiligt.

So zum Beispiel 2022 bei einem Verfahren vor dem Pariser Handelsgericht, das Apple letztlich zu einer Strafe von 1 Mio. Euro verurteilte, weil das Unternehmen französischen App-Entwickler:innen missbräuchliche Geschäftsklauseln aufgezwungen hatte. Während des Verfahrens wandte sich das französische Wirtschaftsministerium gegen ACTs Intervention zugunsten von Apple mit dem Argument, dass „der von Apple finanzierte belgische Verband ACT von Intransparenz umgeben“ und daher dessen Intervention vor Gericht „rein opportunistisch, dilatorisch und unnötig“ sei.

ACT hat sich schon wiederholt gegen den DMA ausgesprochen und erklärt, alternative App-Stores könnten das Vertrauen der Kund:innen zerstören, Sicherheitsprobleme verursachen und potenziell geistige Eigentumsrechte verletzen. Apple selbst hätte es nicht besser sagen können.

Fünf Tage nachdem sich Sax in seinem LinkedIn-Beitrag für Apple verbürgte, leitete die Europäische Kommission eine Untersuchung gegen das Unternehmen ein: Es bestand der Verdacht, Apple zwinge App-Entwickler:innen missbräuchliche Geschäftsklauseln auf.

4. Denkfabriken

Nur eine der neun Denkfabriken, die an den Workshops teilnahmen, erhielt keine finanzielle Unterstützung von Techkonzernen (und damit nur 1 von 40 Registrierten). In keiner der restlichen 39 Anmeldungen für die DMA-Workshops wurden Verbindungen zu Gatekeepern offengelegt.

Das Centre for Information Policy Leadership (CIPL) zum Beispiel meldete neun Teilnehmer:innen an. Nicht ein einziges Mal wurde die Verbindung zu Gatekeepern erwähnt, obwohl CIPL finanzielle Unterstützung von allen sechs Konzernen erhält.

Bei anderen Denkfabriken sieht es ähnlich aus: Das Centre on Regulation in Europe (CERRE; 7 Anmeldungen) wird von allen sechs Gatekeepern finanziert, das Progressive Policy Institute (4 Anmeldungen) von Amazon und Meta und das Center for European Policy Analysis (4 Anmeldungen) von Amazon, Alphabet und Meta.

International Center for Law and Economics (ICLE)

Lazar Radic, leitender Wissenschaftler für Wettbewerbspolitik am International Center for Law & Economics (ICLE), nahm persönlich am Amazon-Workshop teil. Er betrat das Gebäude gemeinsam mit dem AmazonLobbyisten, der für die Kontakte zu Wissenschaftler:innen zuständig ist. Beide saßen während der Veranstaltung nebeneinander. Sie tauschten sich fortwährend miteinander aus. Nicht lange nach Beginn des Workshops, nach Fragen von ACT (von Amazon finanziert) und CIPL (von Amazon finanziert), wendete sich Radic mit der Frage an Amazon, ob die Einhaltung des DMA für das Unternehmen kostspielig sei. Amazons Compliance-Team war nur allzu gern bereit, die Frage zu beantworten. Zu keinem Zeitpunkt während dieses Austauschs wurde von irgendeiner Seite eingeräumt, dass ICLE auch von Amazon finanziert wird.

ICLE beschreibt sich selbst als globale Denkfabrik. Ihr Hauptsitz befindet sich im amerikanischen Portland, und offiziell eingetragen wurde es unter dem Namen „International Policy Network“. Für das Jahr 2022 deklarierte ICLE Gesamteinnahmen von knapp 5 Mio. Dollar, fast ausschließlich aus Zuwendungen und Fördergeldern. Seit 2017 ist ICLE auch immer häufiger in der EU tätig. Laut der amerikanischen Steuererklärung gab man 2022 in Europa 152.500 Dollar aus. ICLE trägt sich jedoch bislang nicht im EU-Lobbyregister ein.

Zu ihren Einnahmequellen hält sich die Denkfabrik bedeckt. Auf der Webseite ist lediglich zu lesen, sie werde gefördert von „gleichgesinnten Institutionen, Branchenpartnern und von Personen, die an unsere Mission glauben“. Trotz mehrfacher Nachfragen unsererseits gab das ICLE keine Auskunft zu seiner Finanzierung.

Aus verschiedenen Quellen ist jedoch bekannt, dass ICLE Geld von Big Tech erhält. Amazon und Meta berichteten gegenüber Investoren, das ICLE über ihre Public-Policy-Teams zu finanzieren. Der Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie (CCIA), der als Branchenverband die großen US-amerikanischen Techkonzerne vertritt, fördert ICLE seit Jahren direkt. So erhielt ICLE 2022 eine Zuwendung über 100.000 Dollar „zur Unterstützung der ICLE-Forschung und zur Erstellung einer detaillierten Analyse, ob AdTech-Märkte ähnlich wie Finanzmärkte reguliert werden sollten“. Einer der angegliederten Akademiker von ICLE war bis vor Kurzem als Consultant für CCIA tätig, zum DMA und zu anderen Bereichen der Wettbewerbspolitik. Dessen Beratungsfirma betreibt jetzt gegenüber der Europäischen Kommission Lobbyarbeit im Auftrag des von Big Tech geförderten Chamber of Progress.

Es gibt zahlreiche Berichte, dass ICLE auch Geld vom Google Mutterkonzern Alphabet erhalten hat. Geoffrey Manne, einer der Gründer der Denkfabrik, geriet in die Kritik, weil er sich schon seit mehr als einem Jahrzehnt für die Interessen von Alphabet stark macht.

ICLE-Wissenschaftler:innen stehen dem DMA eher skeptisch gegenüber. Sie lehnen das Gesetz zwar nicht komplett ab, gehören aber zu denjenigen, die Zweifel daran säen, ob der DMA überhaupt durchgesetzt werden wird, ob er etwas bewirken kann und ob er irgendwann mehr Wettbewerb schaffen wird. In letzter Zeit waren die ICLE-Autor:innen besonders in Indien, der Türkei und in Brasilien aktiv. Dort versuchen sie mit Gastkommentaren und politischen Stellungnahmen, die Regierungen davon abzubringen, Gesetze im Stile des DMA zu verabschieden. Wer sie dafür bezahlt, bleibt freilich unerwähnt.

Machtungleichgewichte zwischen Big Tech und Regulierungsbehörden

Die Teilnehmerlisten der Workshops bieten auch einzigartige Einblicke in die Personalressourcen, die den Gatekeepern für die Arbeit mit dem DMA zur Verfügung stehen.

Allen voran stand Alphabet mit sage und schreibe 48 Beschäftigten, die für die Workshops registriert waren. Damit jedoch nicht genug.

Nicht ganz unbedeutend war auch die Unterstützung, die das Unternehmen durch 24 Rechtsanwält:innen verschiedenster Kanzleien erhielt: Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP (die Google nicht nur in Wettbewerbsverfahren verteidigt, sondern auch eine Lobbyfirma damit beauftragte, zugunsten des Unternehmens Einfluss auf das DMA zu nehmen), Guarrigues, Gunnercooke, Hengeler Mueller, Hogan Lovells, Slaughter and May (die das Unternehmen in verschiedenen Wettbewerbsverfahren in der EU vertritt, darunter auch im den AdTech-Fällen), VJT & Partners und White & Case.

Hinzu kamen 28 Lobbyist:innen von Lobbyagenturen wie communication matters, Flint Global, Shearwater Global, Kreab, FTI Consulting und andere.

Um die Interessen des Unternehmens kümmerten sich darüber hinaus 13 Vertreter:innen von Branchenverbänden, in denen Alphabet Mitglied ist. Dazu gehörten CCIA, die von Alphabet und Meta neu gegründete Coalition for Open Digital Ecosystems, Developers Alliance, Alliance Digitale, Allied for Startups, Interactive Advertising Bureau und DIGITALEUROPE.

Insgesamt waren bei dem Workshop zu Alphabet mindestens 113 Teilnehmer:innen anwesend, die in einem direkten Verhältnis zum Unternehmen standen. Nicht mitgezählt sind dabei geförderte Dritte wie Denkfabriken, Wissenschaftler:innen, Wirtschaftsberatungsfirmen und zivilgesellschaftliche Organisationen.

GatekeeperAnwalts-kanzleienLobby-agenturenBranchen-verbändeGesamt
Alphabet-Workshop48242813113
Amazon-Workshop132724973
Meta-Workshop1027201067
Apple-Workshop112591055
Microsoft-Workshop152611153
Bytedance-Workshop9135027

Im Vergleich dazu besteht das DMA-Team der EU-Kommission aus rund 80 Personen – 40 von der GD Connect und 40 von der GD Wettbewerb. Ergänzt wurde es nach Bedarf durch andere Beamt:innen der Kommission auf bis zu 100 Personen insgesamt.

Mit Abstand am größten war das Team von Alphabet. Das bedeutend kleinere DMA-Team hingegen muss sich gleichzeitig um alle Gatekeeper kümmern. Dieses Missverhältnis ist besonders relevant, da eine der zentralen Fragen bei der Durchsetzung des DMA eben dieses Ungleichgewicht ist: Den weltweit größten und reichsten Unternehmen stehen so viel mehr Ressourcen zur Verfügung als den für die Durchsetzung verantwortlichen Teams der EU-Kommission. LobbyControl argumentierte bereits 2022 in einem Rechtsgutachten, dass sehr viel mehr Personal für die konsequente Durchsetzung des DMA nötig sei. Dieses Gutachten wurde auch in der Gesetzgebung von Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgegriffen.

Empfehlungen

Unsere Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie problematisch verdeckte Geldflüsse sind: Sie können die öffentliche Debatte verzerren, ohne das dies offensichtlich wird. Es ist seit langem bekannt, dass Techkonzerne oft und gern auf diese Strategie zurückgreifen. Der Gesetzgeber muss also die Lage ganz genau im Blick behalten, wenn er verhindern will, dass Google & Co auf diese Weise die Umsetzung des DMA und anderer Gesetze beeinträchtigen.

Ein erster Schritt wäre hier die Verbesserung des Registrierungs- und Sortierprozesses für die DMA-Workshops. Wir schlagen gezieltere Fragen in den Anmeldeformulare vor. Zum Beispiel:

  • Wurden Sie oder Ihr Unternehmen/Ihre Organisation von einem Gatekeeper beauftragt, diesen in Fragen der Compliance, bei Gerichtsverfahren oder im Umgang mit Regulierungsbehörden zu unterstützen?
  • Haben Sie/Erhalten Sie oder Ihr Unternehmen/Ihre Organisation Förder- oder Sponsorengelder von dem Gatekeeper erhalten?
  • Ist der Gatekeeper Mitglied Ihrer Organisation?

Darüber hinaus sollte im Formular die Registrierungsnummer der angemeldeten Unternehmen/Organisationen im EU-Lobbyregister abgefragt werden. Das würde den Zugang zu Informationen über deren Finanzierung erleichtern.

Ergänzend bedarf es künftig einer Offenlegung möglicher Interessenkonflikte von Redner:innen während der Workshops: vor ihren Wortmeldungen sollten Teilnehmer:innen potenzielle Interessenkonflikte offenlegen. In akademischen Fachartikeln wird das bereits zum Standard.

Um die Ressourcenungleichgewichtte zwischen Regulierern und Gatekeepern zu reduzieren, müssen die EU-Institutionen die personellen und technischen Mittel des DMA-Teams unbedingt aufstocken. Das wird für den Erfolg des DMA von entscheidender Bedeutung sein. Mit den heute beginnenden Haushaltsverhandlungen besteht die nächste Gelegenheit dafür.

Das Ungleichgewicht bei den Ressourcen und der unterschiedliche Zugang zu Informationen kann weiter ausgeglichen werden, indem die EU-Kommission es interessierten Kreisen erleichtert, die Durchsetzung des DMA zu prüfen und daran teilzuhaben. Um das zu erreichen, wird das DMA-Team verstärkt dafür sorgen müssen, dass betroffene Unternehmen und Verbraucherschutzorganisationen an diesen Workshops und ähnlichen Evaluierungsmöglichkeiten teilnehmen können. Außerdem müssen die Gatekeeper dazu gezwungen werden, der Öffentlichkeit detailliertere Informationen zu ihrer Compliance zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel durch die Veröffentlichung von tatsächlich aussagekräftigen Compliance-Berichten.

Methodische Anmerkungen

Um Zugriff auf die Teilnehmerlisten der DMA-Workshops zu erhalten, haben wir eine Informationsfreiheitsanfrage an die Europäische Kommission gestellt. Daraufhin wurde uns die Liste als PDF-Datei zur Verfügung gestellt. Wir haben diese in ein maschinenlesbares Format umgewandelt und dann mithilfe von OpenRefine die Namen der Teilnehmer:innen und die Kategorien der Interessenvertreter bereinigt und gruppiert.

Ergänzt wurde diese Arbeit durch Online-Recherchen, insbesondere bei der Entschlüsselung von Akronymen und bei fremdsprachlichen Namen. In einigen Fällen ist es nicht gelungen, die Details der Anmeldung zu entschlüsseln. In diesen Fällen wurde der eingegebene Name stehengelassen. Wurden in Einträgen mehrere Kategorien angegeben (wie bei Deloitte, die als Anwaltskanzlei, PR-Agentur und Wirtschaftsberatung kategorisiert werden kann), haben wir die eingegebenen Informationen so belassen. Darüber hinaus haben wir die Kategorien Geschäftliche Anwender:innen und Wettbewerber zusammengeführt.

Für die Bewertung bekannter Verbindungen zu den Gatekeepern haben wir folgende Quellen benutzt:

  • für Anwaltskanzleien: die Online-Datenbank des Europäischen Gerichtshofs für laufende DMA-Verfahren, Legal500, Lobbyfacts.eu und die Webseiten der einzelnen Kanzleien
  • für Lobbyagenturen: Lobbyfacts.eu und das EU-Lobbyregister
  • für Wirtschaftsberatungfirmen: Webseiten und Veröffentlichungen der einzelnen Unternehmen
  • für Branchenverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Gruppen: Lobbyfacts.eu, Webseiten und Veröffentlichungen der einzelnen Unternehmen und Organisationen sowie Informationen der Gatekeeper für US-Investoren, in denen Förderungen für Dritte offengelegt sind

Die bestehenden Verbindungen zu Big Tech variieren hinsichtlich Art und Umfang. Einige Vorstände erhalten sehr wenig finanzielle Unterstützung von den Gatekeepern und äußern sich in der Öffentlichkeit durchaus kritisch. So geschehen im Fall von EDRi: Der Dachverband der netzpolitischen Zivilgesellschaft erhielt eine Spende von Apple, die auf der Webseite und im Jahresbericht veröffentlicht wurde. Dennoch äußert sich EDRi öffentlich sehr kritisch über das Unternehmen und hat sogar Beschwerden gegen Apple wegen DMA-Verstößen eingereicht. Auch eines der Regionalbüros der NGO Article 19 hat Spenden von Big Tech (Alphabet) erhalten für andere Arbeitsbereiche als die Arbeit zum DMA in Höhe von 0,7 % der Gesamteinnahmen. Auch in diesem Falle ist die Offenlegung dieser Informationen im Rahmen von öffentlichen Diskussionen wichtig.

Da keine einzelnen Namen genannt wurden, konnten wir die möglichen Verbindungen von Wissenschaftler:innen, Forschungsinstituten und anderen Einzelpersonen nicht analysieren.


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