Raimond Spekking - CC-BY-SA 4.0
Macht der Digitalkonzerne

Wie sich Temu der Politik entzieht

Temu hat mehr als 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzer monatlich in Europa. Doch Lobbyarbeit gegenüber der Politik gibt die chinesische Handelsplattform nicht an. Obwohl der Konzern mittlerweile durch den Digital Services Act (DSA) der EU reguliert wird. Wie passt das zusammen?

von 19. Dezember 2024

Offenbar verfolgt der Techkonzern eine Strategie, die er bereits auf dem US-Markt erfolgreich angewandt hat: sich Politik, Behörden, Steuern und Regeln so lange wie möglich zu entziehen und dabei maximalen Profit herrauszuschlagen. Ziel von Temu ist es, die Präsenz in Europa auszubauen, Regeln spielen für den Tech-Konzern dabei keine Rolle.

Was macht Temu?

Temu bietet in zahlreichen EU-Ländern Billigwaren auf seiner Onlineplattform an. Unter dem Motto „Shoppen wie ein Milliardär“ wirbt der in den USA gegründete, mittlerweile in Shanghai in China ansässige Techkonzern insbesondere um junge Kundinnen und Kunden in Europa. Produziert werden die Produkte ausschließlich in China, die Endproduktion findet in der Regeln nahe bei Flughäfen statt, sodass die Produkte möglichst schnell um die Welt geflogen werden können. Die Qualität der angebotenen Produkte steht zunehmend in der Kritik durch Verbraucherschutzorganisationen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband äußerte sich zunehmend besorgt über die Produktsicherheit bei Temu. Temu steht deswegen zu Recht in Europa und in Deutschland verstärkt in der Kritik.

Wird Temu von China subventioniert?

Auch wenn die bei Temu anbietenden Unternehmen in China deutlich günstiger produzieren können, stellt sich gleichwohl bei den niedrigen Preisen die Frage, ob der chinesische Staat den Konzern in irgendeiner Weise subventioniert. Ein Interesse daran hätte er sicherlich, eine erfolgreiche Onlineplattform in Europa in Stellung zu bringen gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz von Amazon. Eine Studie des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel geht davon aus, dass 99 Prozent aller börsennotierten chinesischen Unternehmen Subventionen vom chinesischen Staat erhalten.

Temus Lobbyarbeit: keine Spur

Trotz seines Expansionskurs in Europa ist der Konzern schlecht erreichbar. Zunächst fällt auf, dass Temu weder Lobbybüros unterhält noch irgendwelche anderen Lobbytätigkeiten in Berlin und Brüssel in den jeweiligen Transparenzregistern angibt. Das gilt auch für den Mutterkonzern PDD Holdings und den an der Holding mit 15 Prozent beteiligten Tencent Konzern aus China. Tencent macht zwar Angaben in den Lobbyregistern in Berlin und Brüssel. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass der Konzern neben seinem eigenen Geschäft auch für Temu Lobbyarbeit betreibt. Auch die Firma Whaleco Technology Limited, unter der Temu in Europa angemeldet ist, weist keine Lobbyarbeit in der EU auf. Auf mehrfache Anfrage zu Aktivitäten in Deutschland von LobbyControl reagierte Temu bedauerlicherweise nicht.

Minibüro für einen Weltkonzern: Die Spur führt nach Irland

Eine brisante Spur führt jedoch nach Irland. In Irlands Haupstadt Dublin sitzt Whaleco, das eben erwähnte Unternehmen, das hinter Temu in Europa steckt. Der Firmensitz ist kein Zufall. Im Niedrigsteuerland Irland zahlt der Konzern nur halb so viele Steuern wie in Deutschland, wo die Plattform aber eigentlich deutlich mehr Produkte absetzt. Auch die meisten großen US-Techkonzerne, wie Meta oder Apple, machen sich das EU-Steuerparadies zunutze und haben deshalb ihren europäischen Sitz in Irland.

LobbyControl/Holger Müller - CC-BY-NC-ND 4.0

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Die Chefin von Whaleco wiederum arbeitet bei Intertrust Management, einem niederländischen Unternehmen, das auf Steuervermeidung spezialisiert ist. LobbyControl vorliegende Unterlagen aus einer Recherche der ARD zeigen, dass die Chefin von Whaleco gleichzeitig 30 Unternehmen leitet. Darunter ist etwa auch eine Tochterfirma der Axa Versicherungsgruppe namen Avicdale Limited, die zwischen 2019 und 2022 mehr als 32 Mio. € Dividende an Shareholder auszahlte.

Irische Kolleg:innen vom Irish Council for Civil Liberties haben für uns vor Ort geschaut, wie die Büros von Temu aussehen. Das Ergebnis: ein kleines Büro scheint es dort zu geben. Was es zusätzlich gibt, ist ein Briefkasten, auf dem der Name Temu steht. Vieles deutet damit darauf hin, dass Temu an seinem europäischen Sitz in Dublin nur eine sehr kleine Dependance mit wenigen Mitarbeiter:innen hat. Das bestätigten uns auch Journalisten der ARD, die vor Ort waren. Was jedoch erneut fehlt, sind zugängliche Ansprechpartner. Auch wenn man ins irische Lobbyregister schaut, fehlt jede Spur von Temu.

Cargo: erfolgreiche Umgehung des Zolls

Raimond Spekking - CC-BY-SA 4.0
Hauptumschlagsplatz von Temu ist der belgische Flughafen Lüttich.
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Hauptumschlagsplatz von Temu ist der belgische Flughafen Lüttich.

Der Großteil der von Temu in Europa verkauften und in China produzierten Produkte kommt direkt per Flugzeug in der EU an. Hauptumschlagsplatz von Temu, aber auch von anderen chinesischen Online-Plattformen wie AliExpress oder Shein, ist der belgische Flughafen Lüttich. Er ist zu einer Art Drehscheibe für chinesische Techplattformen geworden und wird auch aktuell weiter ausgebaut.

Durch die schieren Massen an Produkten, die Temu in Lüttich einführt, kommt der Zoll vor Ort überhaupt nicht hinterher. "Die massive Flut von teilweise gesundheitsgefährdender Billigware aus Fernost trifft an unseren Grenzen auf einen Zoll, der darauf nicht vorbereitet ist", stellte NRW- Finanzminister Optendrenk gegenüber dem WDR fest. Anders als bei Containerware, etwa im Hamburger Hafen, wird Cargoware per Flugzeug nur stichpunktartig von den Zollbeamten geprüft.

Temus Dreistigkeit braucht Grenzen

Es zeichnet sich bei Temu ein Muster ab: Der Konzern entzieht sich Behörden und Politik so weit und so lange er kann. Durch die Abwesenheit an Lobbyist:innen in Berlin, Brüssel und Dublin, gibt es keine unmittelbaren Ansprechpartner vor Ort für die Politik. Durch den Firmensitz in Irland, der nur aus einem kleinen Büro besteht, ist selbst dort nur ein eingeschränkter Kontakt möglich. Und durch den Cargotransport mit dem Flugzeug gelingt es Temu oft die Zollbehörden zu umgehen.

Der Fall Temu macht deutlich, dass Europa ein Problem mit der Durchsetzung seiner Gesetze hat. Weder die Qualität der Waren noch die Zollkontrollen hat Brüssel bei dem chinesischen Techkonzern im Griff – mit negativen Folgen für Verbraucher:innen und europäische Unternehmen, die sich selbst an Regeln halten und unter dem Preisdruck von Temu leiden. Temu kann mit Billigwaren von teilweise zweifelhafter Qualität den europäischen Markt überfluten.

  • Eigentlich sollte bei der Produktqualität der Digital Services Act der EU greifen. Die EU-Kommission hat in diesem Rahmen ein Verfahren eingeleitet. Wir hoffen, dass dies bald Konsequenzen hat.
  • Gleiches gilt für den belgischen Zoll, der dringend mehr Ressourcen für eine effektive Kontrolle am Flughafen von Lüttich braucht.
  • Bei den niedrigen Preisen auf der Temu-Plattform stellt sich zudem insgesamt die Frage, ob sie ausreichend durch das Geschäftsmodell des Konzerns erklärt werden können oder ob der chinesische Staat im Hintergrund Temus Expansion in Europa unterstützt. Dem sollte die EU-Kommission zusätzlich nachgehen und prüfen, ob China Temu in irgendeiner Form subventioniert.

Wir brauchen endlich starke, durchsetzungsfähige Gesetze. Hierfür sind mehr Ressourcen, aber auch der politische Wille für eine konsequente Umsetzung erforderlich. Andernfalls büßt Europas Demokratie seine Glaubwürdigkeit und Integrität ein.

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