Nebeneinkünfte

Aktion: Seitenwechsel von Kommissaren unterbinden!

Am 10. Februar diskutieren EU-Kommission und die Spitzen des Europaparlaments über einen neuen Verhaltenskodex für EU-Kommissarinnen und Kommissare. Auch der neue Entwurf erlaubt ehemaligen Kommissaren, rasch in eine Lobbytätigkeit zu wechseln – mit minimalen Einschränkungen. Wir fordern die Abgeordneten auf, sich für deutliche Verschärfungen des Kodex einzusetzen. Bitte unterstützen Sie unsere Aktion mit Ihrer Unterschrift […]
von 3. Februar 2011

Am 10. Februar diskutieren EU-Kommission und die Spitzen des Europaparlaments über einen neuen Verhaltenskodex für EU-Kommissarinnen und Kommissare. Auch der neue Entwurf erlaubt ehemaligen Kommissaren, rasch in eine Lobbytätigkeit zu wechseln – mit minimalen Einschränkungen. Wir fordern die Abgeordneten auf, sich für deutliche Verschärfungen des Kodex einzusetzen. Bitte unterstützen Sie unsere Aktion mit Ihrer Unterschrift !

Das EU-Parlament hat bisher großen Druck auf die Kommission ausgeübt, ihren Verhaltenskodex zu erneuern. Sie dürfen sich jetzt von der EU-Kommission nicht mit diesem schwachen Entwurf abspeisen lassen. Unterschreiben Sie deshalb unseren offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden und den Parlamentspräsidenten, in dem wir sie auffordern, den Verhaltenskodex in zentralen Punkten zu verändern. Unterschreiben Sie schnell, denn die „Konferenz der Präsidenten“ berät schon nächste Woche.

Aktualisierung, Mittwoch, 9. Februar: Die Aktion ist abgelaufen – in der kurzen Zeit haben 2017 Menschen unterschrieben, danke! Wir werden die Unterschriften heute an die Europaabgeordneten übergeben und die nächsten Tage berichten, wie die Gespräche zwischen EU-Kommission und Europaparlament gelaufen sind und wie es weiter geht.

Hintergrund:

Die Seitenwechsel aus dem Amt geschiedener EU-Kommissarinnen und –Kommissare, die wir in den vergangenen Monaten beobachtet haben, waren ebenso skandalös wie dreist:

Ex-Kommissar Günter Verheugen betreibt neben zahlreichen Beratertätigkeiten – unter anderem bei der Royal Bank of Scotland sowie im internationalen Beirat der Lobbyagentur Fleishman-Hillard – seit April 2010 seine eigene Lobbyagentur. Soeben hat ihm die Kommission dafür auch die offizielle Erlaubnis erteilt – zwar mit der Auflage, für 26 Monate ab Ausscheiden aus dem Amt nicht mit seinen ehemaligen Dienststellen Kontakt aufnehmen zu dürfen. Dies dürfte seine Arbeit jedoch nicht übermäßig beeinträchtigen. Für die Strategieberatung, auf die die „European Experience Company“ laut Internet besonderen Wert legt, bedeutet dies keine wirkliche Einschränkung, und er gibt natürlich auch für andere Dienststellen als seine eigene einen ausgezeichneten Türöffner ab.  Der ehemalige Kommissar für Meeresangelegenheiten, Joe Borg, wechselte zu einer Lobbyagentur, die Lobbyarbeit in Meeresangelegenheiten betreibt; der ehemalige Binnenkommissar Charles McCreevy macht nun Lobbyarbeit für den Billigfluganbieter Ryanair, über den er zuvor als Kommissar mehrfach Entscheidungen getroffen hatte. Lesen Sie alle Fälle ausführlich in unserem Lobbypedia-Portal.

All diese Seitenwechsel hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr gestattet, teilweise mit Auflagen versehen. In einem einzigen Fall, dem geplanten Wechsel von Charles McCreevy zur „NBNK Investments PLC“, einem im Aufbau befindlichen Finanzinstitut, legte sie ihr Veto ein. Die öffentliche Kritik an diesen Seitenwechseln war jedoch groß. Zivilgesellschaft und EU-Parlament übten massiven Druck aus, so dass Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sich schließlich gezwungen sah, seine bereits 2009, im Zuge seiner Wiederwahl, gemachte Ankündigung, den Verhaltenskodex für Kommissarinnen und Kommissare zu erneuern, in die Tat umzusetzen. Zuvor , im Oktober 2010, hatte das EU-Parlament einen Teil des Kommissionshaushalts gesperrt, mit der Auflage, diesen neuen Verhaltenskodex inklusive einer mindestens zweijährigen Abkühlrist endlich vorzulegen.

Der neue Verhaltenskodex

Die uns vorliegende Version des Kodex ist eine inoffizielle Version, die ALTER-EU zugespielt wurde – allerdings wurde sie von der EU-Kommission nicht dementiert. Zunächst muss man feststellen, dass es in der Tat Verbesserungen gibt: Erstens sollen die ausgeschiedenen Kommissarinnen und Kommissare statt bisher 12 Monate zukünftig 18 Monate lang die Kommission über ihre neuen Tätigkeiten informieren. Zweitens sollen sie in dieser Zeit keine Lobbyarbeit betreiben dürfen, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft. Insgesamt müssen wir aber feststellen: Mit geringfügigen Einschränkungen dürfen ehemalige EU-Kommissarinnen und -Kommissare mit diesem Kodex auch in Zukunft Lobbyisten sein. Lesen Sie eine detaillierte Kritik am neuen Kodex in unserem Blog.

Zu unseren drei Forderungen im Einzelnen:

– Ausweitung der  Berichtspflicht ehemaliger Kommissarinnen und Kommissare an die Kommission über neue Tätigkeiten auf drei Jahre: Von der EU-Kommission ist in ihrem neuen Kodex die Verlängerung der Berichtspflicht – also der Frist, in der Ex-Kommissare der Kommission über neue Tätigkeiten Bericht erstatten müssen und diese sie auf eventuelle Interessenkonflikte prüft – von einem auf anderthalb Jahre vorgesehen. Schlüssig ist dies nicht. Wie die Financial Times Deutschland im letzten Sommer herausfand, können ehemalige Kommissarinnen und Kommissare bis zu drei Jahre Übergangsgelder von der Kommission beziehen. Diese dienen laut einem Kommissionssprecher dem Erhalt der Unabhängigkeit der ehemaligen Kommissare. Wenn dieser Aspekt der Kommission drei Jahre lang Übergangsgelder von etwa € 280.000 jährlich wert ist, dann muss sie diese Unabhängigkeit von den ehemaligen Kommissaren auch aktiv einfordern.

In diesen drei Jahren Verbot aller bezahlten Lobbytätigkeiten und Lobbyberatungstätigkeiten, und zwar für alle Themen, nicht nur für die früheren Zuständigkeitsbereiche der Kommissare: Schön und gut, dass für anderthalb Jahre immerhin der Kontakt zu den eigenen Dienststellen verboten werden soll, dies ist ein wichtiger erster Schritt. Wenn es allerdings darum geht, seine internen Kenntnisse der Funktionsweisen der EU-Kommission zur Verfügung zu stellen oder als Türöffner zu dienen, können ehemalige Kommissare auch in anderen Themenfeldern ihr Geld wert sein. Weil in der Kommission Entscheidungen nach dem Kollegialitätsprinzip, also gemeinsam getroffen werden, besteht außerdem auch für andere als die eigenen Bereiche die Gefahr, dass Entscheidungen zugunsten eines zukünftigen Arbeitgebers gefällt werden. Dass das Verbot einer Lobbytätigkeit auch das einer Lobbyberatung mit einschließt, ist zwar eigentlich klar, da auch die EU-Definition für den Begriff Lobbying Lobbyberatung mit einschließt. Um der Klarheit willen sollte es aber mit aufgenommen werden.

Zusammensetzung des Ad-Hoc-Ethik-Komitees, das über das Vorliegen von Interessenkonflikten entscheidet, aus unabhängigen Experten, eigenständige Recherchen und Veröffentlichung sowohl seiner Empfehlungen an die Kommission als auch deren daraus folgende Entscheidungen: Seit langem kritisieren wir, dass die Mitglieder des Ad-Hoc-Komitees, das zusammengerufen wird, wenn Kommissare eine Tätigkeit in ihrem früheren Zuständigkeitsbereich antreten wollen, nicht unabhängig sind. Des Weiteren haben wir in einer Studie gemeinsam mit unserem ALTER-EU-Netzwerk herausgefunden, dass die Mitglieder des Ad-hoc-Ethik-Komitees äußerst oberflächlich recherchieren, ob bei geplanten Seitenwechseln in die Privatwirtschaft Interessenkonflikte drohen und sich auf die Aussagen der betroffenen Kommissare über die Inhalte ihrer neuen Tätigkeit verlassen.

Eine weitere relevante Forderung wäre, Interessenkonflikte überhaupt erst einmal richtig zu definieren – bisher findet sich keine Definition dafür im Verhaltenskodex.

Debatte in der „Konferenz der Präsidenten“

Dass die Kommission ihren neuen Verhaltenskodex mit dem EU-Parlament diskutieren muss, war von Anfang an vorgesehen – warum sie sich nun entschieden hat, dies gerade in der „Konferenz der Präsidenten“ zu debattieren, ist unklar. Das Gremium setzt sich zusammen aus dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek so wie den Vorsitzenden der einzelnen Fraktionen: Für die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) ist dies der Franzose Joseph Daul, für die Fraktion der progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, für die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa der Belgier Guy Verhofstadt, für die Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit, für die Fraktion Europäische Konservative und Reformisten der Pole Michal Tomasz Kaminski, für die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke der deutsche Lothar Bisky, und für die Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie Nigel Farage und Francesco Speroni.

Dieses Spitzenpersonal des Europäischen Parlaments wird am 10.2. über den neuen Verhaltenskodex für Kommissarinnen und Kommissare diskutieren. Wie die Entscheidung des Gremiums aussehen wird, ist schwer einzuschätzen. Deshalb ist es wichtig, jetzt nochmal Druck zu machen.

Wenn der Entwurf in der nächsten Woche dem Parlamentspräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments zur Entscheidung vorgelegt wird, sollen diese wissen: Bürgerinnen und Bürger in Europa lehnen es ab, dass Ex-Kommissarinnen und -Kommissare ihre Kontakte und internen Kenntnisse meistbietend an Unternehmen und Lobbygruppen verkaufen dürfen. Helfen Sie uns mit Ihrer Unterschrift!

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