Zahlreiche Lobby- und Korruptionsskandale der letzten Monate und Jahre zeigen demnach, dass die EU nicht ausreichend vor Einflussnahme durch Drittstaaten und Konzerne geschützt ist. Auch sorgt fehlender politischer Wille dafür, dass bestehende Lobbyregeln nicht konsequent durchgesetzt werden. Der Report zeigt auf, was Parlament, Kommission und Rat in der kommenden Wahlperiode tun müssen, um sich effektiv gegen die erhebliche Einflussnahme auf die Institutionen zu schützen und für Transparenz zu sorgen.
Die EU-Institutionen nehmen Vertrauensverlust in Kauf
Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl:
„Die europäische Demokratie steht im Fadenkreuz von Machtinteressen. Konzerne und ihre Verbände betreiben mit viel Geld, Personal und privilegierten Zugängen Lobbyarbeit in Brüssel und finden dafür vorteilhafte Bedingungen vor. Drittstaaten beeinflussen die politische Willensbildung in der EU zu ihrem eigenen Vorteil und Machterhalt. Die EU-Institutionen haben es versäumt, sich in dieser Wahlperiode ausreichend vor dieser Einflussnahme zu schützen. Mit diesem Mangel an politischem Willen gefährden sie die europäische Demokratie und nehmen einen Vertrauensverlust der Wählerinnen und Wähler in Kauf. Denn Korruptionsskandale wie „Katargate“, aber auch der aktuelle Skandal um mögliche russische Geldzahlungen an Maximilian Krah zeigen, dass die gegenwärtigen Mechanismen nicht ausreichen, um illegitime Einflussnahme frühzeitig zu erkennen oder zu verhindern.“
Ohne Durchsetzung helfen die besten Regeln nichts
Aurel Eschmann, Experte für Lobbyregulierung und Co-Autor des Berichts:
„Zwar haben die EU-Institutionen auf nach Katargate in dieser Wahlperiode einige neue Lobbyregeln gesetzlich verankert, sodass die Regeln teils besser sind als in Deutschland. Doch helfen die besten Regeln nichts, wenn sie nicht unabhängig kontrolliert und durchgesetzt werden. Bisher ist kein einziger Abgeordneter im EU-Parlament für einen Verstoß gegen Lobbyregeln sanktioniert worden. So gehen weiterhin Akteure im Parlament ein und aus, die den Eintrag ins EU-Lobbyregister verweigern, obwohl dies bereits bei der Aufarbeitung des „Katargate“-Skandals als ein wichtiges Schlupfloch erkannt worden war. Fast die gesamte ID-Fraktion im Europäischen Parlament, zu der auch die AfD gehört, gibt ihre Lobby-Treffen nicht an. So wie auch einige andere Abgeordnete. Folgen hat das keine – das ist ein strukturelles Versagen. Es ist kein Wunder, dass Politiker:innen keine Sorge haben, für ihre Handlungen sanktioniert zu werden. Anstatt mit dem neuen Ethikgremium ein weiteres zahnloses Gremium zu schaffen, müssen die EU-Institutionen eine unabhängige Lobbybehörde einsetzen, die die bestehenden Regeln wirklich kontrollieren und durchsetzen kann.
Ungleichgewicht von Machtinteressen durch Konzerne und Drittstaaten
Nina Katzemich, Expertin für Lobbyismus bei der EU und Co-Autorin der Studie:
„In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Präsenz und Einflussnahme von großen Konzernen in der EU weiter verstärkt. Gerade internationale Konzerne geben inzwischen immense Summen für Lobbyarbeit aus. In den vergangenen 10 Jahren haben die 50 Konzerne mit den größten Lobbyausgaben in Brüssel diese Ausgaben um zwei Drittel erhöht. Kleine Unternehmen oder zivilgesellschaftliche Initiativen haben diesen Summen wenig entgegenzusetzen. Die fehlende Durchsetzung der Lobbyregeln verschärft dieses Problem weiter, weil das finanzstarken Lobbyakteuren immer mehr privilegierte Zugänge verschafft. Wir sehen z.B. Beamte der EU-Kommission viel zu oft zu Unternehmen wechseln, die sie zuvor noch kontrolliert haben. Wenn wir diesen einseitigen Lobbyeinfluss nicht beschränken, bleiben Maßnahmen zum Schutz von Umwelt, Menschenrechten oder Verbraucher:innen auf der Strecke und das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die EU wird geschwächt.“
Hintergrund
Mit der Reihe EU-Lobbyreport bilanziert LobbyControl seit 2019 die wichtigsten Entwicklungen in den Bereichen Lobbyismus und Lobbyregulierung in einer Wahlperiode.
- Mindestens 29.000 Lobbyist:innen sind unseren Berechnungen zufolge regelmäßig in Brüssel unterwegs, um die EU-Institutionen zu beeinflussen. Vor 8 Jahren lag diese Zahl noch bei 25.000 Lobbyist:innen, der Trend geht also trotz Pandemie klar nach oben. Natürlich dürften viele weitere Lobbyist:innen ebenfalls Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen betreiben, ohne direkt sichtbare Kriterien wie ein Lobbybüro vor Ort oder Treffen mit den EU-Kommissar:innen und ihren Kabinetten.
- Zusammengerechnet betrugen die Lobbyausgaben aller Akteure im EU-Transparenzregister im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro. Dieses Geld geben in erster Linie Unternehmen und ihre Verbände aus – Nichtregierungsorganisationen müssen seit September 2021 kein Lobbybudget mehr angeben, stattdessen geben sie Auskünfte über ihre Einnahmen.
Weitere Hinweise
- Den vollständigen EU-Lobbyreport 2024 finden Sie hier als PDF.
- Die Broschüre gibt es hier kostenlos zu bestellen.
- Wir setzen uns mit einem Online-Appell für eine EU-Lobbybehörde mit Biss ein.