LobbyControl kritisiert, dass sich aus diesen Personalien Interessenkonflikte ergeben können und fordert einen konsequenten Umgang damit. Die künftige Bundesregierung müsse eine ausgewogene Beteiligung verschiedener gesellschaftliche Interessen an der Politik sicherstellen.
Christina Deckwirth, Sprecherin von LobbyControl, kommentiert:
„Mit Frau Reiche wird eine Energieunternehmerin zur Energieministerin gemacht. Sie wird sich in ihrer neuer Position kaum aus allen Entscheidungen zurückhalten können, die ihren jetzigen Arbeitgeber betreffen. Es ist höchst fraglich, ob Reiche die nötige kritische Distanz und Unabhängigkeit zur Energiewirtschaft einhalten kann, um ausgewogen zu entscheiden.“
Das gilt besonders für die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform des Gebäude-Energiegesetzes. Der Lobbyverband VKU – Reiches langjähriger Arbeitgeber – war stark daran beteiligt, das sogenannte Heizungsgesetz zu verwässern – vor allem zugunsten großer Gaskonzerne. Auch Westenergie und deren Mutterkonzern Eon haben geschäftliche Interesse im Bereich Gas und Gasnetze. Ähnliches gilt für das große Thema Wasserstoff. Westenergie hat wirtschaftliche Interessen in diesem Bereich und lobbyiert laut Lobbyregister dazu.
Mit Wildberger wird ein Top-Lobbyist Minister
Mit Herrn Wildberger wird nicht nur ein Unternehmer, sondern auch ein Top-Lobbyist zum Minister gemacht. Wildberger ist Vizepräsident des mächtigen Lobbyverbands HDE und vertritt damit die Interessen von Konzernen wie Aldi, Lidl und Amazon. Der Wirtschaftsrat und der HDE zählen zu den größten Lobbyverbänden in Deutschland mit Ausgaben von über 5 bzw. 7 Mio. Euro.
Es ist fraglich, wie unabhängig Wildberger über Fragen von Digitalisierung und Staatsmodernisierung entscheiden kann. Die künftige Bundesregierung muss nun sicherstellen, dass den bisherigen Arbeitgebern keine einseitigen Vorteile oder privilegierte Zugänge eingeräumt werden. Herr Wildberger muss sein Amt als Vizepräsident des einflussreichen Handelsverbands HDE sowie seine Funktionen im CDU-nahen Lobbyverband Wirtschaftsrat ablegen und eine breite und ausgewogene Beteiligung an politischen Entscheidungen sicherstellen“, so Deckwirth weiter.
Das zukünftige Digitalministerium wird die zentrale Zukunftsfrage der Regulierung der Tech-Konzerne und das Thema Bürokratieabbau verantworten. Gerade letzteres Thema wird von vielen Lobbyist*innen immer wieder dazu verwendet, Unternehmensinteressen Vorrang gegenüber anderen gesellschaftlichen Anliegen einzuräumen.
Kritik an Weimer als Kulturstaatsminister
„Sehr kritisch sehen wir die Personalie Wolfram Weimer. Als Chef seiner Weimer Media Group hat Weimer selbst handfeste Interessen in dem Bereich. Er hat sogar den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frage gestellt. Es ist kaum vorstellbar, wie er das Amt des Kulturstaatsministers unabhängig ausüben kann, der Interessenkonflikt erscheint nicht auflösbar, wenn Weimer seine Beteiligung an der Weimer Media Group nicht aufgibt“, sagt Christina Deckwirth.
Gerade bei externen Besetzungen wie bei Wildberger, Reiche und Weimer wird eine große Lücke bei den Integritätsregeln für Mitglieder der Bundesregierung relevant. Es gibt in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – für Minister*innen und Staatssekretäre keine Pflicht, Angaben zu Unternehmensbeteiligungen zu machen. Sich daraus ergebende Interessenkonflikte bleiben unsichtbar. Falls Reiche oder Wildberger Anteile ihrer Unternehmen halten, sollten sie diese gegebenenfalls freiwillig verkaufen.
„Die beiden Personalien zeigen deutlich, dass es bei Offenlegungspflichten für Unternehmensbeteiligungen eine riesengroße Lücke gibt. Die neue Bundesregierung muss hier endlich eine Regulierung ausarbeiten. Die aktuellen Personalbesetzungen werfen kein gutes Licht auf die nächste Bundesregierung – und zeigen gleichzeitig wie wichtig, Fragen von Integrität und Transparenz in den nächsten vier Jahren sein werden. Dazu schweigt der Koalitionsvertrag. Gleichzeitig muss die neue Bundesregierung nun einmal mehr beweisen, dass sie Entscheidungen unter ausgewogener Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen trifft – und nicht einseitig Wirtschaftslobbyinteressen bedient.“
Update 16:10 Uhr: Inzwischen wurde bekannt, dass Wolfram Weimer aus der Weimer Media Group aussteigt. Der Interessenkonflikt ist damit aber nicht gelöst, selbst wenn er seine Beteiligungen an seine Frau übertragen sollte. Christiane Götz-Weimer soll nach übereinstimmenden Medienberichten die alleinige Geschäftsführerin des Unternehmen werden.
Hintergrund
- Während es für den Wechsel aus der Bundesregierung zu Unternehmen und Verbänden seit 2015 Regeln gibt, wenn auch zu schwache, gilt das für den umgekehrten Fall nicht. Trotzdem ist auch hier ein Blick auf mögliche Interessenkonflikte und eine unabhängige Amtsführung nötig. Minister:innen dürfen ohne gesonderte Erlaubnis laut Bundesministergesetz keine Nebentätigkeiten in Form von Aufsichtsratsmandaten oder Verbandspositionen haben – letzteres gilt auch für ehrenamtliche Positionen in öffentlichen Ämtern.
- Für den Besitz von Aktien gibt es aktuell keine Offenlegungs- oder Anzeigepflichten für Minister*innen oder Staatssekretäre. In vielen anderen Ländern und auch auf EU-Ebene ist es inzwischen völlig selbstverständlich, dass ranghohe Entscheidungsträger*innen Angaben zu möglichen finanziellen Interessenkonflikten machen. Zwar müssen Bundestagsabgeordnete Beteiligungen an Unternehmen ab einer Schwelle von fünf Prozent der Anteile offenlegen. Für Minister*innen, die nicht zugleich Abgeordnete sind, gilt das jedoch nicht. LobbyControl hat hier immer wieder Offenlegungspflichten angemahnt.
- Katherina Reiche wechselte 2015, noch ganz knapp bevor die neuen Seitenwechselregeln beschlossen worden, aus ihrem Amt als Staatssekretärin im damaligen Verkehrsministerium zum Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Das sorgte damals für breite Kritik – auch von LobbyControl.
- Karsten Wildberger ist neben seiner Unternehmenstätigkeit auch Vizepräsident des Handelsverbands HDE sowie Vizepräsident des CDU-nahen Lobbyverbands Wirtschaftsrat. Damit hat er den Posten des zukünftigen Bundeskanzlers Friedrich Merz übernommen, der ebenfalls lange Vizepräsident des Wirtschaftsrats war.