Am 26. Februar 2025 wird die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, nach Antwerpen reisen, um den unternehmensfreundlichen „Clean Industrial Deal“ der EU vor über 300 Unternehmensvertreter:innen vorzustellen.
Eine neue Analyse von Corporate Europe Observatory und LobbyControl („The EU's lobby league table: tech, banking, energy, chemicals dominate“,) zeigt, dass die Ausgaben der Wirtschaftslobby ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht haben. Ein Blick auf die „Tabellenspitze“ zeigt: Allein die Akteure, die Lobbyausgaben ab einer Million Euro jährlich angeben, haben ihre Lobbybudgets seit 2020 um ein Drittel erhöht, seit dem vergangenen Jahr um 41 Millionen Euro. Dieser Ausgabenanstieg spiegelt sich in der Deregulierungs-Agenda der zweiten von der Leyen-Kommission wider.
Die Untersuchung basiert auf Daten unserer Datenplattform LobbyFacts. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehören:
Gesamtausgaben für Lobbyarbeit: Die 162 Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die EU-Lobbybudgets ab 1 Million Euro pro Jahr angeben, geben zusammen mindestens 343 Millionen Euro Lobbyausgaben pro Jahr aus.
Jährlicher Anstieg: Dies entspricht einem Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Fünfjähriges Wachstum: Seit 2020 haben diese Unternehmensinteressen fast 86 Millionen Euro mehr angegeben, was einem Anstieg von einem Drittel über fünf Jahre entspricht.
Unterschätzung: Diese Zahlen sind wahrscheinlich stark unterschätzt, wie in der Analyse erläutert. (Stand der Daten: 8. Februar 2025)
"Angesichts der Lobbyausgaben von Unternehmen auf Rekordniveau ist es keine Überraschung, dass die Forderungen der Industrie die EU-Politik prägen. Der Clean Industrial Deal könnte ein weiteres Beispiel für die Vereinnahmung durch Unternehmen werden – bei dem Subventionen und Deregulierung Vorrang vor ökologischer und sozialer Gerechtigkeit haben. Ohne strenge Transparenzregeln und deren Durchsetzung sowie Initiativen zur Bekämpfung der Vereinnahmung von politischen Institutionen oder Regulierungsbehörden wird die Industrie weiterhin hinter verschlossenen Türen massiv Einfluss auf die Agenda der EU nehmen“, warnte Corporate Europe Observatory-Analystin und Aktivistin Vicky Cann.
Top-Lobbying-Sektoren und Hauptakteure:
Die Branchen mit den höchsten Angaben unter den registrierten Unternehmen mit Lobbybudgets von 1 Million Euro oder mehr sind Big Tech (67 Millionen Euro, darunter Meta, Microsoft); Banken und Finanzen (53,8 Millionen, darunter Association for Financial Markets in Europe, European Banking Federation); Energie (45 Millionen, darunter FuelsEurope und Shell); Chemie und Agrarindustrie (45 Millionen, darunter European Chemical Industry Council, Bayer); branchenübergreifende Handelsverbände (26,3 Millionen, darunter BusinessEurope, Bundesverband der Deutschen Industrie); und Pharma (21,8 Millionen, darunter European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations, Novartis).
Die Kunst des „Underreportings“?
Die tatsächlichen Zahlen dürften sogar noch höher liegen. Obwohl einige Unternehmen und Wirtschaftsverbände über Büros in Brüssel, Vollzeit-Lobbyist:innen und mehrere Mitgliedschaften in Wirtschaftsverbänden verfügen, geben sie unplausibel niedrige Lobbybudgets an. Unsere Analyse deutet beispielsweise darauf hin, dass einige große Unternehmen – darunter Nestlé, Unilever und Yara – ihre Ausgaben möglicherweise zu niedrig angeben. Dies wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Daten im offiziellen – aber letztlich freiwilligen – EU-Lobbytransparenzregister auf.
Auch Wirtschaftsverbände wie FoodDrinkEurope und der European Round Table for Industry (ERT) geben trotz intensiver Zusammenarbeit mit EU-Entscheidungsträger:innen Lobbyausgaben an, die wir für unrealistisch niedrig halten. So gibt der einflussreiche Nahrungsmittelverband FoodDrinkEurope (mit Mitgliedern wie Mars und Coca Cola) beispielsweise nur 200.000 bis 299.999 Euro an jährlichen EU-Lobbykosten an, obwohl der Gesamtumsatz 5,4 Millionen Euro beträgt und erhebliche Personalkosten anfallen. ERT hingegen gibt nur 400.000 bis 499.999 Euro an jährlichen EU-Lobbyausgaben an, obwohl es in den letzten 10 Jahren mehr als 150 hochrangige Treffen mit der Kommission hatte und weithin als eine der einflussreichsten Lobbygruppen in Brüssel gilt.
Solche Bedenken können entstehen, weil das EU-Lobbyregister nur auf freiwilliger Basis geführt wird und es an starken Durchsetzungsmechanismen mangelt. Solange es kein rechtsverbindliches EU-Lobbyregister gibt, werden Unternehmensvertreter diese Schwachstellen weiterhin ausnutzen, die Transparenz einschränken und die demokratische Rechenschaftspflicht untergraben.
Während Unternehmenslobbyisten Hunderte Millionen in die Beeinflussung der EU-Politik investieren, haben sich die jüngsten politischen und medialen Debatten unverhältnismäßig stark auf die 15 Millionen Euro an LIFE-Mitteln konzentriert, die Umwelt-NGOs für eine Vielzahl von Aktivitäten erhalten haben. Dieser starke Kontrast wirft die Frage auf, wessen Einfluss die Entscheidungsfindung der EU wirklich prägt.
Nina Katzemich, LobbyControl-Aktivistin, sagt: "Wenn große Unternehmenslobbyisten Rekordsummen ausgeben, um die EU-Politik zu gestalten – und dennoch ihren Einfluss ohne Konsequenzen untertreiben können – ist klar, dass das Transparenzsystem der EU versagt. Ein freiwilliges Register, das mit irreführenden Daten gespickt ist, ist der Macht der Unternehmen nicht gewachsen. Die einzige Möglichkeit, Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, besteht darin, die Lobbytransparenzregeln rechtsverbindlich zu machen und sie durchzusetzen. Eine Ablenkungsdebatte über die Transparenz von NGOs allein ist völlig fehl am Platz.“
Die bevorstehende Überprüfung des EU-Lobbyregisters im Jahr 2025 bietet eine entscheidende Gelegenheit, verbindliche Regeln und Durchsetzungsmechanismen einzuführen, die Transparenz und Rechenschaftspflicht in den Machtkorridoren Brüssels gewährleisten.
Hinweise für Redakteur:innen
· Die vollständige Analyse finden Sie hier.
- Die Daten finden Sie hier.
Die in dieser Analyse verwendeten Daten stammen von LobbyFacts, einem gemeinsamen Projekt von Corporate Europe Observatory und LobbyControl. Seit 2012 sammelt LobbyFacts täglich die Daten aus dem EU-Lobby-Transparenz-Register. Das Archiv von LobbyFacts ist einzigartig und ermöglicht Vergleiche des deklarierten Lobbyings über verschiedene Zeiträume hinweg.
Die Zahlen spiegeln die gemeldeten jährlichen Lobby-Ausgaben der 162 Unternehmen und Handelsverbände wider, die Ausgaben ab 1 Million Euro für EU-Lobbyarbeit angeben. Der Datensatz wurde am 8. Februar 2025 extrahiert. Aufgrund von Schlupflöchern und unzureichender Berichterstattung im freiwilligen Register dürften die tatsächlichen Lobby-Ausgaben deutlich höher sein.
In den vergangenen Monaten waren einige Medien und die politische Rechte völlig mit der „Non-Story“ über 15 Millionen Euro beschäftigt, die grüne NGOs aus dem LIFE-Förderprogramm der EU erhalten haben, das alle Arten von Aktivitäten der Zivilgesellschaft abdeckt, während die größten Unternehmenslobbys vor ihrer Nase mindestens 343 Millionen Euro pro Jahr für EU-Lobbyarbeit ausgegeben haben, einschließlich einer Steigerung von 41 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr.