So viel Zuneigung hatten wohl die wenigsten erwartet. Seit Wochen erklärt der stets angriffslustige Foodwatch-Gründer Thilo Bode der Republik, warum „Die Diktatur der Konzerne“ – so der Titel seines neuen Buches – die Demokratie gefährdet. Und dann sagt „Deutschlands bekanntester Aktivist“ („Der Spiegel“) doch tatsächlich: „Ich finde Konzerne ganz toll.“
So geschehen am Montagabend bei der Diskussionsveranstaltung „Wie viel Konzern braucht die Welt – wie viel Konzern verträgt die Welt?“, auf der Bode mit LobbyControl-Geschäftsführerin Imke Dierßen und den Industrielobbyisten Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und Norbert Theis, Geschäftsführer des Hauptstadtbüros des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), auf dem Podium saß.
Die Machtfrage
Die Grenzen dieses interessanten Austauschs zeigten sich bereits bei der Bestandsaufnahme. Auf der einen Seite kritisierten Bode und Imke Dierßen die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Industrie und Zivilgesellschaft, verwiesen auf Marktmacht, Lobbybudgets, den Drehtüreffekt zwischen Politik und Wirtschaft und das Problem der von Konzernen „gekaperten Gesetzgebung“. Auf der anderen Seite verwiesen Theis und Scheel auf die ebenfalls gute Vernetzung der Zivilgesellschaft und die hohe Kampagnenfähigkeit von NGOs, die auch mit kleinen Budgets die Öffentlichkeit mobilisieren könnten. „Das vermeintliche David gegen Goliath stimmt so nicht“, sagte Scheel. „Wer sagt, dass es Machtungleichgewichte nicht gibt, der will sie nicht hergeben“, konterte Bode.
Überhaupt Bode. Der einstige Greenpeace-Chef packte seine Anfangspointe („Konzerne haben eine hohe Innovationskraft und Technologiekompetenz – nutzen sie aber zu selten“) in eine knallharte Abrechnung. Und die sieht so aus: Die Marktmacht einiger globaler Konzerne wie Amazon, Google oder Nestle sei in den vergangen 30 Jahren massiv gestiegen und habe zu einer neuen Qualität des Lobbyismus geführt. Konkret heißt das: Konzerne können Regierungen durch ihre angebliche „Systemrelevanz“ erpressen, Medien und Wissenschaft beeinflussen, Konkurrenten aufkaufen, einzelne Gesetze wie die Lebensmittelampel oder eine stärkere Finanzmarktregulierung durch riesige Lobbykampagnen verhindern und reihenweise Politiker als Lobbyisten einkaufen. „Es entsteht eine verwobene Schicht, die gemeinsame Interessen haben“, sagt Bode. Der politisch-industrielle Komplex.
Wohin das führe, zeige der Dieselskandal. Dem Gemeinwohl werde geschadet – und die Politik schaue zu. „Eine Beleidigung für jeden Menschen, der in diesem Land lebt“, so Bode.
Hoffnungslos sei die Lage dennoch nicht. Schließlich seien die aktuellen Machtungleichgewichte nicht in Stein gemeißelt, könnten einzelne Aktivisten oder NGOs wie aktuell die Deutsche Umwelthilfe mit ihren Klagen gegen die Autoindustrie durchaus einiges bewirken.
VDA-Lobbyist fordert mehr Drehtür
Eine Spitze, auf die VDA-Mann Scheel in der anschließenden Diskussion nicht eingehen wollte. Stattdessen argumentierte er, dass wir im Sinne eines besseren Verständnis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft „nicht weniger, sondern mehr Drehtür“ bräuchten. Auf das Thema Sammelklagen gegen Unternehmen angesprochen, reagierte Scheel dagegen gereizt. Wie man in den USA sehen könne, führe dieses Instrument zu einer Spaltung der Gesellschaft und nutze letztlich nur einer reichen Elite. Die besten Kunden von Privatjets dort seien doch Anwälte, so Scheel, übrigens selbst promovierter Jurist.
Einen Konsens – immerhin – gab es beim Thema Transparenz. So bezeichnete Scheel das Lobbyregister als ein „berechtigtes Anliegen“ über das sein Verband intern diskutiere. VCI-Lobbyist Theis wiederum durfte die Initiative seines Verbands mit Transparency Internation für mehr Lobbytransparenz (Lobbyregister, Legislative Fußspur, Lobbybeauftragter) ausführlich vorstellen.
Lob gab es dafür von Imke Dierßen, die allerdings auch klar stellte, dass Lobbytransparenz nur eine Voraussetzung sei, um für die Demokratie problematische Machtungleichgewichte ernsthaft angehen zu können: „Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen. Aber mit uns können sie rechnen.“
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