Reichtum und Einfluss

Streichungen im Regierungsbericht: Die Autorin der brisanten Studie im Interview

Unsere Recherchen zu den gestrichenen Passagen im Armuts- und Reichtumsbericht haben gestern hohe Welle geschlagen. Gestrichen wurden vor allem die Ergebnisse einer Studie, die untersucht hat, ob sich soziale Ungleichheit auch in politischen Entscheidungen niederschlägt. Wir haben bei Lea Elsässer, einer der Autorinnen der Studie, nachgefragt.
von 16. Dezember 2016

Unsere Recherchen zu den gestrichenen Passagen im Armuts- und Reichtumsbericht haben gestern hohe Welle geschlagen. Gestrichen wurden vor allem die Ergebnisse einer Studie, die untersucht hat, ob sich soziale Ungleichheit auch in politischen Entscheidungen niederschlägt. Wir haben bei Lea Elsässer, einer der Autorinnen der Studie eines Forscherteams an der Universität Osnabrück, nachgefragt.

LobbyControl: Frau Elsässer, sind Sie der Bundesregierung jetzt dankbar, dass Ihre Studie so viel Aufmerksamkeit bekommen hat?

Lea Elsässer, Koautorin der Studie „Systematisch verzerrte Entscheidungen“

Elsässer: Wir freuen uns erst mal, dass das Thema jetzt öffentlich stark diskutiert wird, da es uns ein großes Anliegen ist. Wir arbeiten im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts schon länger an dem Thema und hoffen, dass es über den Armuts- und Reichtumsbericht hinaus weiterhin Aufmerksamkeit erweckt.

Was sind denn die Hauptaussagen der Studie?

Wir haben untersucht, ob die deutsche Bundespolitik sich stärker an den Wünschen und Interessen höherer Einkommensgruppen orientiert als an denen unterer Einkommensgruppen. Dazu haben wir Umfragen aus dem Zeitraum von 1998 bis 2013 ausgewertet und mit den tatsächlich getroffenen Entscheidungen des Bundestages verglichen. Wir finden einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Meinung höherer Einkommensgruppen und den danach getroffenen politischen Entscheidungen, aber keinen oder sogar einen negativen Zusammenhang für die Armen. Dieses Muster ist besonders deutlich ausgeprägt, wenn sich Befragte mit unterschiedlichem Einkommen in ihren politischen Meinungen unterscheiden.

Es stimmt also, dass sich Reiche in der Politik mehr Gehör verschaffen können als Arme?

Ja, zumindest stimmen die politischen Entscheidungen sehr viel häufiger mit dem überein, was Reiche politisch befürworten.

Im aktuellen Bericht wird ja angedeutet, dass Ihre Ergebnisse eventuell nicht aussagekräftig genug seien. Was sagen Sie dazu?

Unsere Studie orientiert sich in ihrem Forschungsdesign an international anerkannten Studien. Das wurde auch so mit unserem Auftraggeber, dem Arbeitsministerium, vereinbart. Die Befunde sind dementsprechend belastbar und aussagekräftig. Es ist richtig, dass in unserer Studie nicht viel zu den Wirkungsmechanismen gesagt wird, also zu der Frage: Wie kommen eigentlich diese verzerrten Entscheidungen zustande? Dies war aber auch nicht Teil unseres Auftrags vom Ministerium und ist eine Folgefrage, die unserer Meinung nach weiter erforscht werden muss.

Können Sie Beispiele nennen, wo sich Reiche offenbar besonders gut in der Politik durchsetzen konnten?

Wir haben unsere Analysen auch für einzelne Politikbereiche durchgeführt, zum Beispiel für den Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier kann die Schieflage der Repräsentation besonders verheerende Auswirkungen haben. Wenn Einkommensstarke weniger Umverteilung oder staatliche Eingriffe in den Markt befürworten, sich die Politik aber stärker an ihren Meinungen orientiert, kann dies zu noch mehr ökonomischer Ungleichheit führen. Tatsächlich finden wir, dass höhere Einkommensgruppen sich tendenziell für weniger staatliche Eingriffe aussprechen und ärmere Gruppen mehr Umverteilung befürworten. Gleichzeitig ist die Schieflage der Repräsentation in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr ausgeprägt.

In den USA gab es ja eine ähnliche Studie. Wie wurde diese Studie dort aufgenommen?

Ja, die wichtigste Studie dazu stammt von Martin Gilens. Die Ergebnisse für die USA sind unseren sehr ähnlich und haben dort in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Sie haben in den USA eine wichtige Debatte zu den politischen Auswirkungen sozialer Ungleichheit angestoßen.

Gibt es auch weitere Beispiele für solche Studien?

Für die USA gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Studien zu dem Thema, die die Schieflage in der politischen Repräsentation auch auf anderen legislativen Ebenen untersuchen, beispielsweise auf der Ebene der Bundesstaaten. Für andere Länder gibt es bisher noch wenig Forschung zu dem Thema.

Werden Sie sich jetzt dafür einsetzen, dass Ihre Ergebnisse doch noch in den endgültigen Bericht aufgenommen werden?

Wir werden uns vor allem dafür einsetzen, dass unsere Ergebnisse wissenschaftlich korrekt wiedergegeben werden.

Frau Elsässer, vielen Dank für das Interview!

Gerne.

Zur Person: Lea Elsässer ist eine der Autorinnen der Studie Systematisch verzerrte Entscheidungen? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998 bis 2015, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für den Armuts- und Reichtumsbericht in Auftrag gegeben wurde. Elsässer ist Politikwissenschaftlerin, sie promoviert zum Zusammenhang von Ungleichheit und Repräsentation in Osnabrück und ist Gastdoktorandin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Foto: Lea Elsässer

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