Seit Anfang März ist ein neues Team im Kanzleramt dafür zuständig, Wechsel von Regierungsmitgliedern in neue Jobs außerhalb des öffentlichen Diensts zu prüfen. Das bestätigte uns ein Sprecher der Bundesregierung, Der Spiegel hatte ebenfalls darüber berichtet. Das sogenannte Karenzzeit-Gremium tritt damit erstmalig seit Einführung der Regelung 2015 in neuer Konstellation zusammen.
Bundespräsident Steinmeier ernannte den ehemaligen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sowie den ehemaligen Vorsitzenden Richter des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle als neue Seitenwechsel-Prüfer. Lammert und Voßkuhle folgen auf Theo Waigel (CSU) und den Ex-Verfassungsrichter Michael Gerhardt, die das Gremium verlassen. Mit der ehemaligen Hamburger Senatorin Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen) gibt es aber auch eine Wiederberufung.
Wichtige Aufgabe der Karenzzeitwächter
Die Prüfarbeit der "Karenzzeitwächtern" ist wichtig für Transparenz und Integrität in der Demokratie. Die Rolle des Gremiums ist zwar nur eine beratende – die letztliche Entscheidung über das Ob und die Länge einer Abkühlphase trifft die jeweils aktuelle Bundesregierung – aber sie ist nicht zu unterschätzen. Denn die Aufgabe des Gremiums ist es, genau zu prüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem neuen Job und Tätigkeiten im Amt gibt oder ob der Wechsel auf andere Weise das Risiko birgt, „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Bundesregierung zu gefährden“, so steht es im Gesetz.
Die Empfehlungen des Gremiums werden zusammen mit der Entscheidung der Bundesregierung veröffentlicht, sodass die Bundesregierung schon sehr gut begründen muss, wenn sie von der Empfehlung abweicht. Seit Einführung der Regelung ist das bisher nicht geschehen.
Zu wenig Abstand
Allerdings hat das Team Waigel-Sager-Gerhardt bisher keine besonders strengen Empfehlungen gegeben, der maximal mögliche Rahmen von 18 Monaten Abkühlphase etwa, wurde noch nie ausgeschöpft. Länger als 1,5 Jahre kann die Aufnahme einer neuen Tätigkeit den wechselnden Minister:innen und parlamentarischen Staatssekretär:innen nicht untersagt werden. Als LobbyControl haben wir das immer wieder kritisiert und fordern eine Karenzdauer von bis zu 36 Monaten. Die längste bisher ausgesprochene Karenzzeit traf den Parlamentarischen Staatssekretär Oliver Wittke (CDU) im Wirtschaftsministerium, der Lobbyist bei der wichtigsten Lobbyorganisation der Immobilienwirtschaft werden wollte, dem Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA). Dieser Wechsel wurde ihm im Dezember 2019 für 16 Monate untersagt. Seit März 2021 ist er nun dort Hauptgeschäftsführer, war aber auch noch bis April 2021 Bundestagsabgeordneter. Dieser und andere Fälle zeigen: Maximal 18 Monate und in der Regel 12 Monate reichen einfach nicht aus, damit genügend Abstand zwischen politischem Amt und neuer Tätigkeit gegeben ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Aufnahme der neuen Tätigkeit bereits kurz vor oder nach Amtsende vereinbart wird und dann lediglich noch einige Monate Wartezeit hinzukommen. Interessenkonflikte werden so jedenfalls nicht verhindert. Eine ausführliche Bewertung der bisherigen Praxis mit vielen Fallbeispiel und Handlungsempfehlungen findet sich im Lobbyreport 2021 (pdf).
Noch wenige Fälle in 2022
Empfehlungen des neuen Gremiums sind bisher nicht bekannt. Die bisher veröffentlichten fünf Fälle seit dem Regierungswechsel hat also noch das alte Gremium geprüft. Das prüfte etwa den Fall des ehemaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der anmeldete, künftig als Redner und Autor tätig sein zu wollen (keine Auflagen) oder den Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der neuer Vorsitzender des Verein Asienbrücke e.V. werden wollte (ebenfalls keine Auflagen). Ansonsten meldete noch der aus dem Kanzleramt kommende Bundestagsabgeordnete Dr. Hendrik Hoppenstedt an, im Verwaltungsrat der Sparkasse Hannover sitzen zu wollen. Dr. Peter Tauber (CDU, bis zum Regierungswechsel Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium) dagegen möchte freiberuflich die Deutsche Vermögensberatung AG beraten. Auch in diesen Fällen sahen Gremium und Bundesregierung keine Probleme. Dem frischgebackenen CSU-Generalsekretär Stephan Maier dagegen wurde Anfang Januar die Aufnahme einer Tätigkeit als Vizepräsident beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für 12 Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs in Seehofers Innenministerium untersagt.
In den nächsten Wochen und Monaten dürfte es aber deutlich mehr Fälle geben, mit denen sich das neue Seitenwechsel-Team befassen muss. Die ehemaligen Minister:innen und Parlamentarischen Staatssekretär:innen der letzten Regierung werden zahlreiche neue Tätigkeiten anstreben, die geprüft werden müssen. Das gilt im übrigen auch für politische Beamte, also Beamtete Staatssekretär:innen und Abteilungsleiter:innen in den Ministerien. Hier fehlt es bedauerlicherweise nach wie vor an einer wirksamen Karenzzeit-Regelung. Das Beamtenrecht ist für Wechsel dieser politischen Spitzenbeamte nicht ausreichend.
Aber auch bei den Ministerinnen und Parlamentarischen Staatssekretären könnte und sollte der bisher mögliche gesetzliche Rahmen durchaus noch besser ausgeschöpft werden. Das geben wir dem neuen Team gerne mit auf den Weg, insbesondere, wenn in explizite Lobbytätigkeiten gewechselt wird. Grundsätzlich setzten wir uns weiter für eine verbesserte Regelung mit längerer Karenzzeit und Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorschriften des Gesetzes oder die von der Bundesregierung ausgesprochenen Auflagen ein.
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