Nach seiner umstrittenen Rolle in den TTIP-Verhandlungen geht Ex-EU-Handelskommissar Karel de Gucht in die Privatwirtschaft. Dies geht aus einem Bericht unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) hervor. De Gucht wechselt in die Vorstände des Telekommunikationskonzerns Belgacom und der Privatbank Merit Capital. Beide Unternehmen betreiben Lobbyarbeit auf EU-Ebene. Es bestehen somit erheblich Gefahren für Interessenkonflikte mit seinem ehemaligen Job. Das macht den Seitenwechsel äußerst fragwürdig.
De Gucht: Bereits als Kommissar umstritten
Karel De Gucht war von 2010 bis 2014 EU-Handelskommissar, nachdem er zuvor das Ressort für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung innehatte. Im Auftrag der EU leitete er die Verhandlungen zu verschiedenen Handelsabkommen, unter anderem die mit Kanada (CETA), Südkorea und den ostafrikanischen Ländern. Unter de Gucht begannen auch die TTIP-Verhandlungen mit den USA. Er gehörte zu den umstrittensten Kommissaren der letzten Kommission, insbesondere aufgrund seines energischen Eintretens für Schiedsgerichtsbarkeit im TTIP- und CETA-Abkommen.
EU-Kommission genehmigt fragwürdige Seitenwechsel
Am 18. März 2015 genehmigte die Kommission nun De Guchts Wechsel in die Vorstände von Belgacom und Merit Capital NV sowie seine Tätigkeiten als Professor für Europarecht an der Vrijen Universiteit Brussel und als Präsident am Institut für Europäische Studien. Alles unter der Voraussetzung, dass er im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeiten keine Lobbyarbeit bei der EU-Kommission betreibe und nicht auf sein Insiderwissen aus der Zeit als Kommissar zurückgreife.
Belgacom-Genehmigung hängt noch von belgischer Regierung ab
Auf Nachfrage unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) zur Benennung De Guchts in den Vorstand teilte Belgacom mit, momentan keine Angaben machen zu können. Dies läge daran, dass die belgische Regierung noch keine Informationen über die Benennung eines neuen Vorstandsmitglieds kommuniziert hätte. Die belgische Regierung ist berechtigt, die Hälfte der Mitglieder des Vorstands von Belgacom zu benennen. Die belgische Tageszeitung De Standaard berichtete, der belgische Minister für Telekommunikation Alexander de Croo könne eine Benennung de Guchts in den Belgacom-Vorstand nicht bestätigen. Die Regierung hätte demnach noch nicht darüber entschieden.
Telekommunikationsunternehmen hat Interesse an EU-Handelspolitik
Belgacom ist eine auf dem belgischen und internationalen Markt tätige Telekommunikationsunternehmensgruppe, zu der auch Proximus und Skynet gehören. Belgacom gehört zu 53% dem belgischen Staat und ist der größte Telefonbetreiber Belgiens.
Das Unternehmen selbst ist nicht im derzeit freiwilligen EU-Lobbyregister eingetragen, das Tochterunternehmen Proximus allerdings schon. Belgacom ist ferner Mitglied der Lobbygruppe „European Telecommunications Network Operators‘ Association“ (ETNO) und der „Federation of Enterprises in Belgium“ (FEB). Innerhalb der Amtszeit de Guchts als Handelskommissar haben ETNO und Skynet Treffen mit der EU-Kommission wahrgenommen.
Treffen von Belgacom mit der EU-Handelsdirektion
Beispielsweise war Skynet am 17. April 2013 – kurz bevor die TTIP-Verhandlungen begannen – bei einem Treffen zwischen der Generaldirektion für Handel und verschiedenen Industrievertretern zugegen, bei dem letztere ihre Interessen bezüglich Urheberrechtsbestimmungen in TTIP äußerten. Bei einem Treffen am 31. Juli 2013 haben Beamte der Kommission ETNO über die erste TTIP-Verhandlungsrunde informiert und versprochen, die Standpunkte ETNOs weiter zu analysieren, zu diskutieren und so zu identifizieren, ob neue Elemente in die Verhandlungen mit aufgenommen werden sollten.
Telekommunikations- und IT Branche drittgrößter Lobbyakteur bei TTIP
Als die Generaldirektion für Handel die TTIP-Verhandlungen zwischen 2012 und 2013 vorbereitete, wurde sie dabei von 298 Stakeholdern beeinflusst, davon stammten 269 aus dem privaten Sektor. 520 der 560 Treffen mit Lobbyisten, die die Kommission insgesamt wahrnahm, fanden mit Unternehmenslobbyisten statt. Einer Analyse von CEO zufolge war der Telekommunikations- und IT-Sektor die drittgrößte Lobbygruppe, hinter der Agrar- und Lebensmittelindustrie und branchenübergreifenden Unternehmensgruppen.
Merit Capital NV betreibt Lobbyarbeit auf EU-Ebene
De Gucht erhielt außerdem die Genehmigung der Kommission, dem Vorstand von Merit Capital beizutreten. Merit Capital ist eine unabhängige Privat- und Geschäftsbank mit Firmensitz in Antwerpen. Sie unterhält Niederlassungen in Deurle, Hasselt, Kortrijk und Leuven sowie in Zürich.
Die Erklärung der finanziellen Interessen De Guchts vom 28. März 2011 bezeugt, dass er dem Aufsichtsrat der Merit Capital Group bereits vor seiner Zeit bei der Kommission angehörte. Im Aufsichtsrat vertrat er 2000-2004 Immo Degus.
Enge Beziehungen zu Merit Capital
De Gucht beschreibt Immo Degus als ein in Belgien tätiges Immobilienunternehmen. Der Unternehmenssitz ist in Berlare. Es gibt nur eine Geschäftsführerin – De Guchts Ehefrau Mireille Schreurs – und einen Geschäftsführer – seinen Sohn Jean-Jacques. De Gucht selbst war Vorsitzender des Aufsichtsrats und Vorstandsvorsitzender von 1987 bis 2004; bis Mai 2006 war er Mitglied des Aufsichtsrats.
De Guchts anderer Sohn scheint auch bei Merit Capital involviert zu sein. In den Geschäftsbüchern von 2013 ist Frederic De Gucht als Geschäftsführer (bis 17.05.2016) aufgeführt.
De Guchts Erklärung von 2011 zeigt außerdem, dass er 65,000 Aktien von Merit Capital (damaliger Wert: ca. €475,000 ) besaß sowie 50% der Anteile von Immo Degus. Aus seiner finanziellen Erklärung von 2014 geht hervor, dass er 5% der Anteile an Immo Degus besitzt (inkl. Immobilienvermögen) sowie 744,700 Merit Capital Aktien, die schätzungweise etwa €1,900,474 wert sind.
Merit Capital ist nicht im EU-Lobbyregister eingetragen. Allerdings ist Merit Mitglied im „Belgisch Financieel Forum“, in der „Belgian Corporate Finance Association“ und auch bei Febelfin, der größten Gruppe der belgischen Finanzlobby. Febelfin macht ausdrücklich deutlich, dass sie EU-Lobbyarbeit im Auftrag ihrer Mitglieder betreiben und ist Teil der European Banking Federation (EBF), die sehr aktiv auf EU-Ebene ist.
Aktuelle Karenzzeitregel auf EU-Ebene
Der aktuelle Verhaltenskodex für EU-Kommissare besagt, dass Kommissare in den ersten 18 Monaten, nachdem sie ihr Amt verlassen haben, eine Genehmigung der Kommission einholen müssen, um neuen beruflichen Beschäftigungen nachzugehen.
Der Kodex schreibt weiterhin vor, dass die Kommission die Meinung der zuständigen Ethikkommission einholen soll, wenn die neue Beschäftigung in Beziehung zum Ressort des ehemaligen Kommissars steht. Für alle ausgeschiedenen Kommissare besteht grundsätzlich ein Verbot über 18 Monate, Lobbyarbeit bezüglich ihres ehemaligen Ressorts im Rahmen ihrer neuen Beschäftigung zu betreiben und dabei bestehende Kontakte zu Mitgliedern der Kommission und deren Mitarbeitern zu nutzen. Dies gilt nicht, wenn ein vorhergegangener Kommissar ein öffentliches Amt übernimmt.
De Guchts Wechsel zeigt: Zu laxe Karenzzeitregeln für EU-Kommissare
Die Regelungen sind insgesamt aufgrund der vielen Schlupflöcher nicht ausreichend und die Dauer der Abkühlungsphase zu kurz. Nur zum Vergleich: LobbyControl fordert für Mitglieder der deutschen Bundesregierung eine Karenzzeit von drei Jahren. Auf EU-Ebene ist zudem nicht klar definiert, was Lobbytätigkeiten sind. Das Lobbyverbot gilt außerdem nur für einen engen Zuständigkeitsbereich. LobbyControl fordert, dass Lobbyarbeit während der Karenzzeit grundsätzlich nicht möglich sein sollte und nicht nur im engen vormaligen Verantwortungsbereich.
Zwar wechselt De Gucht nicht direkt in einen Lobbyjob, aber es besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen den Interessen seiner neuen Arbeitgeber und De Guchts vormaliger Rolle als EU-Handelskommissar. In dieser Funktiom war De Gucht in einer Schlüsselposition für Unternehmensinteressen in der EU und hat unter anderem die TTIP-Verhandlungen ins Leben gerufen. Um hier schon den Anschein einer Interessenverknüpfung zu vermeiden, hätte die EU-Kommission den Wechsel für die Dauer der Karenzzeit untersagen sollen. Zudem wird De Guchts amtliches Insiderwissen sowie sein politisches Kontaktnetzwerk den neuen Arbeitgebern zu Gute kommen, auch wenn De Gucht nicht direkt für die Lobbyarbeit der Unternehmen zuständig ist. Dies gilt insbesondere für den Telekommunikationskonzern Belgacom, der bereits während de Guchts Zeit als EU-Kommissar in Sachen Handelspolitik in engem Kontakt mit der EU-Kommission stand. Daher sollte die belgische Regierung De Gucht nicht in den Vorstand von Belgacom berufen.
Weitere Infos:
- Bericht von unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) zu Karel de Gucht, auf dem dieser Beitrag basiert.
- Infos zum Treffen von Belgacom mit der EU-Handelsdirektion zu TTIP.
- Infos zum Lobbyeinfluss auf die TTIP-Verhandlungen im Überblick.
- De Guchts Erklärung der finanziellen Interessen.
Bildquelle: Handelskommissar Karel De Gucht / ec.europa.eu
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