2005 wurde LobbyControl aus der Taufe gehoben. Ulrich Müller war von Anfang an dabei. Er hat den Verein mit erdacht und aufgebaut und war bis 2016 geschäftsführender Vorstand. Damals übergab er die Geschäftsführung, um wieder stärker inhaltlich zu arbeiten. Seitdem hat er u.a. zu Monsanto oder dem AfD-Spendenskandal recherchiert und sich mit der Macht der großen Digitalkonzerne auseinander gesetzt. Bereits im Herbst hat er auf unserer digitalen Mitgliederversammlung angekündigt, dass er sich in diesem Jahr auf neue Pfade begeben will. Jetzt ist die Zeit des Abschieds gekommen: Uli Müller verlässt LobbyControl. Wir werden ihn und sein Engagement vermissen.
Zum Abschied haben wir ihn nach persönlichen Höhepunkten, politischen Einschätzungen und seinen Plänen gefragt. Wir wünschen ihm für zukünftige Projekte alles Gute und freuen uns, ihn auf Mitgliederversammlungen wieder zu treffen. Bis bald – und auf einen Kaffee-Besuch im Kölner oder Berliner Büro. Danke für die 17 Jahre!
Lieber Uli, 17 Jahre warst du Teil von LobbyControl – warum hörst du nun auf? Ist inzwischen alles transparent und die Lobbyisten sind in Schach gehalten?
Nein, das ist leider nicht so. Wir haben zwar einiges erreicht, etwa mit dem neuen Lobbyregister. Aber der Grund aufzuhören liegt woanders. Ich habe jetzt 17 Jahre vor allem darauf geschaut, was schief läuft. Ich will mich jetzt stärker mit Alternativen beschäftigen. Wie können wir gesellschaftliche und ökonomische Strukturen schaffen, die gerechter sind, ausgewogener und damit allen mehr Freiräume bieten?
Das hat sich verstärkt in den letzten zwei Jahren, in denen ich stärker zu ökonomischer Machtkonzentration als Demokratieproblem gearbeitet habe. Ich möchte diesen Ansatz gegen die Monopolisierung der Wirtschaft gerne ausbauen. Ich glaube, dass es da ein Potential gibt, das über das Arbeitsfeld von LobbyControl hinausgeht.
Was waren für dich persönlich Erfolge und Meilensteine, an Die Du dich besonders erinnerst?
Da gibt es viele. Eine tolle Erfahrung war in der Anfangszeit, mit anderen Organisationen wie dem Corporate Europe Observatory das Brüsseler Lobbyregister auf den Weg zu bringen und schrittweise zu verbessern. Das hat viel Spaß gemacht, diese europäische Zusammenarbeit und die gemeinsamen Treffen in Brüssel. Dann gab es einen kleinen Moment, als wir 2009 die verdeckte Kampagne der Bahn für die Bahnprivatisierung recherchiert haben. Ich erinnere mich genau an den Moment, als aus dem Fax das Eingeständnis der Bahn kam, ja, wir haben über eine Denkfabrik getarnt eine Kampagne betrieben, um die Bahnprivatisierung durchzusetzen. Und wir wussten, so, jetzt können wir mit der Geschichte rausgehen. Das war die erste größere investigative Geschichte.
Es gibt viele weitere Meilensteine: dass wir ein Berliner Büro gründen konnten, 2013 den ersten Lobbyreport veröffentlicht haben, mit dem wir regelmäßig über die politischen Fortschritte in Sachen Lobbyregulierung berichten. Bis zu den Karenzzeit-Regeln oder dem verpflichtenden Lobbyregister – nach Jahren und viel Arbeit konnten wir tatsächlich einige unserer Forderungen umsetzen.
Neben Errungenschaften gibt es immer auch Baustellen, mit denen man länger zu tun hat. Welche Entwicklung hat dich überrascht und ist es auch mal ganz anders gekommen als erhofft?
Erst mal war es eine große Baustelle, die Organisation aufzubauen. Wir haben ja von Null angefangen. Wir hatten keine Finanzierung, nur ein prinzipielles Interesse der Bewegungsstiftung, uns zu unterstützen. Das war ein längerer Weg, einen Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern aufzubauen, die so eine Organisation tragen. Für diesen Rückhalt bin ich sehr dankbar.
Auf der anderen Seite hat man über lange Jahre immer wieder Dinge, die nicht so klappen, weil die politischen Beharrungskräfte riesig sind. Etwa dass es noch möglich ist, Parteien über Sponsoring Geld zukommen zu lassen, ohne dass der Geldgeber offen gelegt werden muss. Das wundert und ärgert mich, dass das trotz mehrerer Skandale nicht geändert wurde. Vielleicht klappt es jetzt endlich mit der Ampel. Ich finde es immer noch erstaunlich, dass man an vielen Stellen den Eindruck hat, das wichtigste ist, Skandale auszusitzen. In der politischen Mitte und gerade bei der Union hat man sich lange Jahre nicht darum gekümmert, dass diese Skandale nach und nach Vertrauen kaputt machen. Letztes Jahr haben CDU und CSU über die Masken-Skandale und die Aserbaidschan-Affäre dann den politischen Preis bezahlt. Aber ich glaube, lange hat man gedacht, man kommt damit durch und kann das immer wieder aussitzen. Diese fehlende Bereitschaft, Konsequenzen zu ziehen, die finde ich problematisch.
Welche Schieflagen siehst Du heute und wie können wir unsere Demokratie stärken?
Wir haben immer noch sehr ungleiche Machtstrukturen. Wenige finanzstarke Akteure haben großen Einfluss auf Politik und ihre Interessen werden stärker gehört. Dafür gibt es auch empirische Belege. Das wird aus meiner Sicht zu wenig als ein Grundproblem für Demokratie wahrgenommen. Ich würde da gerne grundlegender ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass es in der Gesellschaft, in der Wirtschaft nicht zu so einer starken Machtkonzentration kommt. Das hat sich leider in den letzten Jahrzehnten verstärkt, weil man an Stellen wie der Kartellpolitik lange viel hat durchgehen lassen. Da gibt es einen Bedarf, ökonomische Strukturen stärker ausgewogen zu gestalten. Die Monopolisierung von ökonomischer Macht zu beschränken, gerade im Bereich Big Tech, aber auch in anderen Sektoren.
Das erfordert aber politischen Mut, oder?
Ja. Wir müssen uns anschauen, warum die Politik immer wieder Angst davor hat, in die Wirtschaft einzugreifen. Wie können wir dafür sorgen, dass der Staat Probleme effektiv angeht, etwa im Klimabereich? Die Politik schreckt häufig davor zurück, an den Kern des Problems zu gehen. Etwa bei den Banken, das Investmentbanking vom regulären Bankgeschäft zu trennen oder die Eigenkapitalregeln angemessen hoch zu setzen. Stattdessen baut man viele Teilregulierungen auf, weil man nicht an den Kern heran geht. Das ist auf Dauer kontraproduktiv. Man schafft viele Regulierungen, aber vielleicht nicht die, die grundlegend etwas verändern würden. Da müssen wir darüber reden, dass harte Eingriffe in die Wirtschaft sinnvoll sein können und am Ende vielleicht weniger aufwendig, als Probleme zu verschleppen und nur mit Teillösungen voran kommen zu wollen.
Du hast schon mehrfach durchklingen lassen, dass Du dich stärker mit Alternativen und ökonomischen Strukturen beschäftigen willst. Was sind denn genau Deine Zukunftspläne?
Ich freue mich erst mal, wenn ich einen Moment durchatmen kann, nachdem ich die letzten Wochen alle alten Unterlagen und Recherchen übergeben habe. Dann will ich mich mit verschiedenen Leuten über ein neues Projekt austauschen. Ich überlege, nochmal eine neue Organisation zu gründen. Die soll sich mit Monopolisierungstendenzen in der Wirtschaft beschäftigen und mit gerechteren ökonomischen Strukturen. Wie können wir die Mischwirtschaft, die wir jetzt haben, ausgewogener machen, gerechter, aber auch anpassungsfähiger und widerstandsfähiger. Die letzten Jahre haben an verschiedenen Stellen gezeigt, dass das nötig ist. Aus ökologischen Gründen natürlich, aber auch aus ökonomischen. Die Globalisierung, die wir die letzten Jahrzehnte betrieben haben, war stark auf die Interessen großer Unternehmen ausgerichtet. Jetzt zeigt sich, dass dadurch die Systeme anfällig werden, gerade in Krisensituationen. Da müssen wir nochmal hingucken und bessere Gestaltungsprinzipien entwickeln.
Zum Schluss: Wie fühlt es sich an, aus der Organisation auszusteigen, die Du mit aufgebaut hast?
Ich bin natürlich etwas wehmütig, aber auch positiver Dinge. Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, LobbyControl zu einer wichtigen Stimme für mehr Transparenz und Demokratie zu machen. Wir haben einiges erreicht, zuletzt etwa mit dem Lobbyregister oder mit unserer Arbeit zum Digital Markets Act. Ich freue mich, dass die Organisation gut aufgestellt ist. So kann ich ganz unbesorgt gehen und weiß, dass LobbyControl weiter gute Arbeit machen wird. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken, die das Projekt unterstützt haben, von Stiftungen über Partnerorganisationen bis zu ganz vielen Leuten, die daran geglaubt haben und uns mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen unterstützt haben. Und natürlich bei allen Kolleginnen und Kollegen, das Team wird mir fehlen.
PS: Wer die Aktivitäten von Uli Müller weiter verfolgen will, kann seinem Twitter-Account folgen – auch wenn er nur gelegentlich schreibt.
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